Prozesse

Justizopfer Genditzki verklagt Freistaat auf 750.000 Euro

27.11.2024, 03:47 Uhr
Genditzki nach seinem Freispruch.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa Genditzki nach seinem Freispruch.

Nachdem er 13 Jahre zu Unrecht wegen des sogenannten Badewannen-Mordes in Haft gesessen hat, verklagt Manfred Genditzki den Freistaat Bayern. Er fordert mindestens 750.000 Euro, wie eine Sprecherin des Landgerichts München I der Deutschen Presse-Agentur sagte. Ein entsprechendes Verfahren sei dort anhängig (Az. 15 O 4348/24). "Der Kläger fordert ein angemessenes Schmerzensgeld, zumindest in Höhe von 750.000 Euro", sagte die Sprecherin. Einen Termin für den Prozess gibt es nach Gerichtsangaben noch nicht. 

Genditzkis Klage ist gestützt auf Amtshaftungsansprüche nach Paragraf 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und Artikel 34 des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht."

Anwältin Rick: "Verhöhnung eines Justizopfers"

Genditzkis Anwältin Regina Rick nannte es "bemerkenswert, wie der Freistaat Bayern insgesamt reagiert". "Sie tragen ernsthaft vor, sie hätten nichts falsch gemacht", sagte sie der dpa. "Aber wenn keiner was falsch gemacht hat, dann fragt man sich, warum ein Unschuldiger in den Knast geht", betonte sie. "Das ist ein bisschen eine Verhöhnung eines Justizopfers."

Eine Sprecherin des Landesamtes für Finanzen teilte hierzu mit: "Der Freistaat Bayern hat im Klageverfahren zu keinem Zeitpunkt die Aussage getroffen, dass er "nichts falsch gemacht" habe". Mit der Klage werde ausschließlich eine Pflichtverletzung eines Sachverständigen geltend gemacht. Dazu habe der Freistaat im Klageverfahren ausgeführt, dass dieser keine Amtspflichtverletzung begangen habe. Fehler der Justiz im Allgemeinen seien nicht Gegenstand der Klage, so die Sprecherin.

Der Fall hatte bundesweit Schlagzeilen gemacht. Nach jahrelangem Kampf für die Anerkennung seiner Unschuld war er im Juli vergangenen Jahres von dem Vorwurf freigesprochen worden, 2008 in Rottach-Egern eine Seniorin in ihrer Badewanne ertränkt zu haben. In dem neu aufgerollten Prozess hatte schließlich selbst die Staatsanwaltschaft Freispruch gefordert. 

Richterin: "Kumulation von Fehlleistungen"

In ihrer bemerkenswerten Urteilsbegründung erhob Richterin Elisabeth Ehrl schwere Vorwürfe gegen die Ermittler und die Justiz, sprach von einer "Kumulation von Fehlleistungen", davon, dass "Kontrollmechanismen hier nicht funktioniert haben" und dass darum einem Menschen "viele Jahre seines Lebens in Freiheit genommen wurden".

Vorangegangen war dem erlösenden Freispruch ein jahrelanger Kampf durch alle Instanzen: Nachdem das Landgericht München II Genditzki 2010 verurteilt hatte, war er in Revision gegangen. Der Bundesgerichtshof verwies das Verfahren an eine andere Kammer des Landgerichts München II zurück, die ihn im Januar 2012 erneut wegen Mordes zur Verdeckung einer anderen Straftat und Körperverletzung zu lebenslanger Haft verurteilte. Auch hiergegen legte Genditzki Revision ein - dieses Mal ohne Erfolg.

Jahrelang hatte Genditzki für die Anerkennung seiner Unschuld gekämpft.

Jahrelang hatte Genditzki für die Anerkennung seiner Unschuld gekämpft. © Sven Hoppe/dpa

Genditzki: "14 Jahre sind weg"

Mehr als 13 Jahre lang saß er im Gefängnis, bevor sein Kampf um ein Wiederaufnahmeverfahren erfolgreich war, weil neue Gutachten untermauerten, dass die alte Frau bei einem Unfall starb und nicht Opfer eines Verbrechens wurde. "Ich werde keine Freudensprünge machen", sagte Genditzki selbst nach seinem Freispruch. "Einen Grund zum Jubeln habe ich nicht, 14 Jahre sind weg."

Im September 2023 hatte Genditzki nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft München zunächst eine Entschädigung von 368.700 Euro erhalten. Dieser Betrag entspricht der Entschädigung für 4.916 Tage im Gefängnis, denn pro Tag stehen Genditzki nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) 75 Euro zu. Genditzki und seine Anwältin hatten aber bereits angekündigt, sich mit dieser Summe nicht zufriedenzugeben und auf Wiedergutmachung zu pochen. 

"Das ist verflixt wenig für 14 verlorene Jahre", sagte Anwältin Rick der dpa und verwies auf Pläne der Politik, den Satz von 75 Euro auf 100 Euro pro Tag in ersten halben Jahr und 200 Euro danach zu erhöhen. Sie kritisierte vor allem, dass ihrem Mandanten noch "Geld für Kost und Logis" abgezogen worden sei. "Auf die Kost und die Logis hätte er gern verzichtet." Auch gegen das Ergebnis dieses StrEG-Verfahrens wollen Genditzki und Rick klagen, wie die Juristin sagte.

"Es stresst ihn natürlich", sagte Rick über ihren Mandanten, dem es "gesundheitlich nicht gut" gehe. "Er hat immer noch Alpträume."

Generalstaatsanwaltschaft verweist auf Rechtslage

Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München sagte, Genditzki habe in zwei weiteren Zahlungen noch einmal insgesamt knapp 451.600 Euro überwiesen bekommen. Insgesamt habe er also rund 820.000 Euro erhalten. Dass die Kosten für "Kost und Logis" abgezogen würden, sei die gültige Rechtslage, sagte der Sprecher. 

Es gebe zwar einen Entwurf für eine Gesetzesreform, um das zu ändern, dieser werde aber voraussichtlich erst am 4. Dezember im Bundesrat behandelt. "Bis dahin sind wir an das geltende Recht gebunden", sagte der Sprecher.

Parallele zum Fall Mollath

Ähnlich wie nun Genditzki hatte auch schon Justizopfer Gustl Mollath, der mehr als sieben Jahre in der Psychiatrie saß, den Freistaat verklagt. Nach einer juristischen Auseinandersetzung vor dem Landgericht München I im Jahr 2019 bekam er insgesamt rund 670.000 Euro vom Freistaat, gefordert hatte er ursprünglich 1,8 Millionen.

Auch Justizopfer Gustl Mollath hatte den Freistaat verklagt.

Auch Justizopfer Gustl Mollath hatte den Freistaat verklagt. © Peter Kneffel/dpa