Welttag des Buches
Fantasie oder KI-Formel - Wer schreibt morgen unsere Bücher?
21.04.2025, 11:02 Uhr
Sie schreiben Geschichten, spinnen Handlungsstränge und beenden Kapitel, bevor der Kaffee kalt wird: Künstliche Intelligenzen (KI) sind längst keine Zukunftsmusik mehr - auch nicht in der großen Bücherwelt. Was früher der einsame Kampf am Schreibtisch war, wird heute zunehmend zum Mensch-Maschine-Projekt.
Ein paar Zeilen reichen schon aus, um die berühmt-berüchtigte Schreibblockade zu lösen, eine Kindergeschichte zu basteln oder einen Thriller-Plot in einem Rutsch zu entwerfen. Doch was auf den ersten Blick nach einem praktischen Helfer klingt, sorgt in der Literaturszene für Stirnrunzeln - und Widerstand.
Was passiert mit der Kreativität, wenn KI-Programme wie ChatGPT oder Claude statt Personen schreiben? Kann eine KI wirklich verstehen, was Kinder bewegt oder ein Buch unvergesslich macht? Experten und Autoren bezweifeln das - und warnen vor einem kulturellen Kurzschluss in der Literatur.
„Kinderbücher, zumindest die mit einem literarischen Anspruch, folgen keinem Schema. Sie leben von der Überraschung, vom Witz, von der Wärme“, sagt Kinderbuchautorin Margit Auer der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Das „Geschichten mit Seele“ in Zukunft ein Computer ausspucken soll, sieht sie kritisch: „Klar, KI kann eine nette Geschichte schreiben. Aber diese Geschichte wird austauschbar sein.“
Kreativität lässt sich nicht berechnen
Neben Auer haben sich in den vergangenen Jahren mehrere Autorinnen und Autoren kritisch über Künstliche Intelligenz geäußert. Für „Tintenherz“-Autorin Cornelia Funke ist es alarmierend, dass immer mehr Verlage KI für die Buchgestaltung verwenden. In einem ihrer Instagram-Beiträge spricht sie von einem „Verrat“ an all dem, was Bücher bewirken sollen und können.
Junge Illustratorinnen und Illustratoren versuchten „durch die Kunst ihrer Hände einen Lebensunterhalt zu verdienen. Bei all dem Gezeter über künstliche Intelligenz und ihre Gefahren wird sie nun selbst in Bereichen eingesetzt, die menschliche Kreativität und Ausdruckskraft feiern sollen?“, schreibt sie in ihrem Post. Sie hofft auf ein klares „Nein!“ seitens der Autoren und Verleger. Diese sollen sich nicht um den Spaß bringen, „Bücher mit Menschen zu machen.“
„Es würde massiv gegen meine Autorinnenehre verstoßen, wenn ich mir von KI helfen lassen würde. Kinderbücher sind dann gelungen, wenn sie das Herz ihrer Leserinnen und Leser erreichen“, betont Auer. Für die Autorin der bekannten „Die Schule der magischen Tiere“-Reihe sollen Leserinnen und Leser mit der Hauptfigur mitfühlen - und vor allem „mitbibbern“.
„Sie müssen ihr die Daumen drücken, dass sie irgendwie aus dem Schlamassel herausfindet, in das ich sie als Autorin gestürzt habe.“ Bei Schreibblockaden sollte eine KI nicht die erste Lösung sein. „Es fehlt die Ruhe, die Konzentration, zu viel prasselt auf einen ein. Man muss in sich ruhen, um schreiben zu können.“ Anstatt direkt die KI zu befragen, bevorzuge sie lieber einen Spaziergang in der Natur.
Kultur versus Code: Die Frage des Urheberrechts
Nach deutschem Urheberrecht sind ausschließlich persönliche geistige Schöpfungen von Menschen als Werke geschützt. Daher können Inhalte, die vollständig von Künstlicher Intelligenz generiert wurden, nicht urheberrechtlich geschützt sein. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) betont, dass rein KI-basierten Inhalten die erforderliche menschliche Kreativität fehle.
Doch nicht nur Autorinnen und Autoren sind besorgt. Auch aus der Wissenschaft kommt Kritik – etwa, wenn es um die Frage geht, ob KI überhaupt kreativ sein kann. Dass Maschinen heute Inhalte aus dem Netz übernehmen und in ähnlicher Form wieder ausgeben können, sei keine Überraschung mehr, erklärt Nikola Roßbach, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Kassel. Bei literaturwissenschaftlichen Texten, die sie manchmal von Studierenden erhalte, sei das Ergebnis wenig originell. „Im besten Falle kommt erwartbares, formal gut gemachtes, smart klingendes und gedanklich weitgehend hohles Mittelmaß heraus.“
Literatur braucht das Unerwartbare
Für die Literatur gelte diese Erwartbarkeit bei KI genauso. „Wenn ich 999 Goethe-Texte einspeise und es kommt ein tausendster stark nach Goethe klingender Text heraus – das haut einen jetzt nicht wirklich um, oder?“
Gehe es um die Autorschaft und Originalität, müsse man allerdings erwähnen, dass diese Vorstellungen eine Erfindung der Neuzeit und frühere Texttraditionen ohne solche Postulate ausgekommen seien. „Da waren die Texte zwar nicht maschinengemacht, aber sie wurden zum Beispiel mündlich weitergegeben, ohne eine fixierbare Autorperson und auch ohne einen Innovationsanspruch im modernen Sinn“, sagt Roßbach.
Auch auf der Frankfurter Buchmesse 2024 war KI ein zentrales Thema. Es brauche klare Regeln, betonte damals die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs. KI könne zwar unterstützen, Prozesse vereinfachen und kreative Impulse geben, doch die Fähigkeiten dieser Systeme basieren auf dem „größten Datenklau der Geschichte.“
Wenn der Funke überspringen soll
Gerade im Kinder- und Jugendbuchbereich ist die Beziehung zwischen Autoren, Text und Lesenden oft besonders emotional aufgeladen. „Ich denke, in der Kinder- und Jugendliteratur ist es ähnlich wie in der Kunst allgemein“, erklärt Literaturwissenschaftlerin Roßbach. Auch hier gebe es die eher „anspruchslose Massenware“, die dennoch ihr Publikum erfreuen und unterhalten könne. Dort sei KI-Einsatz gut denkbar.
Auf der anderen Seite werde es weiterhin die anspruchsvollere, tiefere Literatur geben, die an eine unverwechselbare Stimme geknüpft sei. „Und diese Stimme ist dadurch unverwechselbar, dass sie nicht das Erwartbare liefert. Ein neues Buch einer Kinderbuchautorin sieht eben nicht genauso aus wie das vorige“, sagt Roßbach. KI-Sprachmodelle können nur die Wahrscheinlichkeit des jeweils nächsten Wortes berechnen. Menschen dagegen ein vollkommen unwahrscheinliches Wort setzen.
Ob KI zum Werkzeug für Kreative wird oder zur Konkurrenz – das bleibt eine offene Frage. Klar ist nur: Bücher, die berühren oder Emotionen auslösen, entstehen nicht allein durch Algorithmen. Romane und Kinderbücher haben mehrere Erzählebenen. Die Action-Ebene oder die Abenteuergeschichte, die könne vielleicht eine KI schreiben, sagt Auer. „Aber die zwischenmenschliche Ebene, die immer mitschwingen muss, die kriegt doch keine KI hin. Hat eine KI Humor? Ich habe es noch nicht ausprobiert, bezweifle es aber.“




