"Spotify kennt mich besser als meine Ex."
28.11.2021, 12:24 Uhr
Eigentlich bin ich Materialistin – durch und durch. Ich mochte schon immer das sanfte Rauschen der alten Tonband-Kassetten, die klackende Art und Weise, wie der CD-Spieler die silberne Scheibe geschluckt und wie die Rillen auf meinen Fingern über die Rillen einer Vinyl-Platte robben. Mochte die aufwendigen, kreativen und Geschichten erzählenden Cover, die zu einer Langspielplatte gereicht wurden und Indizien dafür lieferten, was Hauptthema des intonierten Presswerks ist. Stand als Teenager in den 1990ern samstags im Plattenladen oder im Drogeriemarkt und hörte die Langspieler der angesagten Grunge-Bands rauf und runter. Nie, dachte ich, würde ich dieses Gefühl woanders finden können. Welt aus, Sound an.
Krasser Zuwachs - auch seit Corona
Doch irgendwann passierte es: Ich kam mit Spotify aus Schweden in Berührung, einem der aktuell größten Musikportale beziehungsweise einer der beliebtesten Musik-Apps mit mehr als 270 Millionen Nutzenden weltweit. Über 165 Millionen Menschen (Stand: Juli 2021) bezahlen sogar wie ich die Monatspauschale (in Deutschland sind das 9,99 Euro), die den Premium-Zugang zur Welt der Musik und den Spotify-Features ermöglicht und Werbung ausblendet. Parallel dazu gewinnt der Anbieter auch im Wettbewerb enorm – zu Lasten der Mitbewerber, dem großen Apple Music oder dem kleineren Deezer. Laut statista.de zählt Spotify mit einem Markenwert von 5,52 Milliarden US-Dollar zu einer der wertvollsten Marken weltweit (2020).
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Im ersten Quartal 2015 nutzten 68 Millionen Menschen weltweit, im dritten Quartal 2021 sind es 381 Millionen Menschen, die die Plattform aktiv gebrauchen (statista.com) - damit verzeichnet Spotify in dieser Zeitspanne ein Wachstum von 454 Prozent.
Alle Streaming-Dienste sind im Vergleich zu CDs, die im Laden rund zehn Euro kosten, spottbillig. In Norwegen haben daher 2015 nur noch vier Prozent der unter 30-Jährigen angegeben, dass sie Musikstücke illegal downloaden. Im Jahr 2009 waren es noch rund 80 Prozent gewesen.
Apple Music wirbt mit 50 Millionen Songs im Fundus, Spotify mit über 40 Millionen – und diese Vorstellung macht eine Musikliebhaberin wie mich nahezu nervös. Die große weite Welt der Musik liegt auf meinem Handy und in der Kraft meiner Kopfhörer. Mein Smartphone ist nun mein Plattenladen, nur mit einem schier unfassbar breiten Sortiment.
Es ist wie ein Kaleidoskop, das sich unaufhörlich in unterschiedliche Kombinationen dreht und mir immer neue Optionen und Versionen offenbart. Es ist ein wenig, wie im Amazonas unterwegs zu sein und ständig Neues aus der ganzen Bandbreite der Artenvielfalt zu entdecken.
Seitdem ich Spotify nutze und bezahle, höre ich einfach sehr viel mehr Musik — in der U-Bahn, beim Zähneputzen oder wenn mich etwas besonders bewegt. Nonstop musikdudeln, mein Leben hat nun einen Soundtrack.
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Es begann mit Elise LeGrow. Selten war ich so überrascht oder überwältigt vom Cover eines Welthits wie in diesem Fall: Denn die kanadische Sängerin modelte Chuck Berrys Rock’n’Roll-Klassiker „You never can tell“ dermaßen um, dass ich es, würde ich den Text nicht kennen, niemals als gleichen Song erkannt hätte. Auch die Kompositionen eines meiner Bekannten aus München, des Instrumental-Musikers Tom Doolie, habe ich in einer Playlist entdeckt – als ich in Indonesien im Dschungel saß.
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Kein Plattenkoffer dieser Welt hätte mir diesen Augenblick ermöglichen können. Spotify öffnet mir neue Kreise, legt mir unbekannte Künstler und, wie im Fall LeGrow, neue Versionen altgedienter Musikstücke ans Herz.
Natürlich ist das hier kein astreines Loblied auf den Streaming-Dienst oder das Streamen als solches. Denn als Mensch, dessen Kapital das geistige Eigentum ist, verdient man mit eben diesem sein Geld. Und dabei hält Spotify im Vergleich zu ähnlichen Diensten die Zügel besonders streng in der Hand. Und sehr viel fällt für die Künstler und Künstlerinnen nicht ab von Spotifys großem Kuchen (aktuelle Umsatzzahlen: 6,76 Millionen US-Dollar Umsatz 2019).
Ein Verdiener aus Fürth
Johnny Rakete, selbsternannter Rap-Astronaut mit „Heimatkosmos“ Fürth und vor Corona auf seiner „Kummer- und Qualm“-Tour durch Deuschland unterwegs, ist einer der Musiker, die mit Spotify Geld verdienen. Der 29-Jährige sieht den Streamingdienst „prinzipiell eher als Segen“, denn er bringe den Musikern großflächigen Zugang zu mehr Hörern. „Es war noch nie so einfach für Künstler, aus dem Kellerstudio heraus unkompliziert an die Hörer zu kommen“ – und Geld mit Musik zu verdienen.
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Die Frage ist aber, ob diese „0,0-irgendwas-Cent-Beträge für Künstler so korrekt sind“. Dennoch sieht es Rakete pragmatisch: Gäbe es die Plattform nicht, hätte er kaum Einnahmen. „Klar, verdiene ich Geld über Auftritte und Vinyl, aber das Digitale geht in die Massen. Der Markt funktioniert nun mal inzwischen digital.“ Überall auf der Welt kann man seine Musik hören. Andere Anbieter wie etwa Soundcloud brächten für den Künstler nicht viel, weil sie zu wenig Reichweite haben. Grundsätzlich ist das Zurverfügungstellen des musikalischen Kapitals laut Rakete ein Tausch, der für ihn „relativ okay ist“.
So wird Dein Beitrag an Künstler:innen verteilt
Viele Musiker sprechen dagegen von Ausbeutung und darüber, wie undurchsichtig das System der Finanzierung und Ausbezahlung ist. Pop-Ikonen wie Taylor Swift zum Beispiel, oder auch Farin Urlaub oder Herbert Grönemeyer haben Spotify verlassen.
Von der Abo-Gebühr erhält die Plattform selbst 21 Prozent (2,08 Euro), gut 73 Prozent (6,24 Euro) gehen an die Musiklabels, die Kosten für Plattenproduzenten, Texter, Marketing und Vertrieb tragen müssen. Etwa 0,68 Cent Reingewinn gehen tatsächlich an die Künstler – das hat die Beratungsfirma Ernst & Young 2015 im Auftrag der französischen Musikindustrie aufgeschlüsselt. Eine klägliche Entlohnung. Doch: Bei millionenfachem Abruf würden Songs bis zu 425 000 US-Dollar einbringen. Wer allerdings kein durch die Decke schießender Chart-Stürmer ist, hat schlechte Karten.
Unser Porträt "Feine Leute" mit Johnny Rakete
Wechselt der rappende Johnny Rakete die Rollen und ist nicht mehr Künstler, sondern Konsument, dann hält er den Streaming-Dienst für eine „Supersache“, die ihn bequem auf einen riesigen Musikkatalog zurückgreifen lässt. „Spotify kennt mich besser als meine Ex, schlägt mir neue Songs vor und vermittelt sie mir.“
Nie mehr Songs hören, die ich nicht mag
Wie ich stand Rakete früher im Laden, hat CDs rauf und runter angehört und gekauft, von denen ihm letzten Endes nur zwei Songs gefallen haben. „Dank Spotify muss ich nie mehr Musik hören, die ich nicht mag“, sagt er grinsend. Mit Premium-Zugang liefert Spotify noch weit mehr Input. „Morgen früh zum Beispiel hab ich Bock auf HipHop aus Hochindien und sofort kann ich welchen entdecken.“ Dennoch hofft er auf bessere Einnahme-Chancen für die Künstler. Obwohl er Musik „nicht wegen der Kohle“, sondern für die Liebhaber macht, wäre das nur fair, finden er und viele seiner Kollegen. Fakt ist: „Mit dem Streaming verdiene ich letztlich mehr als an einer physischen Veröffentlichung. Ich bin da nicht unzufrieden oder ein gieriger Hund.“
Johnny Raketes Appell: „Kauft meine Platte, geht auf meine Konzerte. Gebt Geld für eure Künstler aus. Unterstützt eure Clubs und haut nicht 60 Euro für einen schicken Nike-Pullover raus!“
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