Obdachlos am Hauptbahnhof: Deshalb schlafen Menschen in den Bahnhofspassagen
2.12.2023, 11:41 UhrWenige Berührungspunkte
Im Alltag spielt Obdachlosigkeit für Dich wahrscheinlich keine große Rolle. Wenn Deine Freund:innen oder Du selbst nicht in der Obdachlosenhilfe arbeiten oder Ihr engagiert seid, ist das nichts Ungewöhnliches. Die meisten haben nur wenige Berührungspunkte mit Menschen "ohne Dach über dem Kopf". Besonders wenn Du noch nicht lange in einer Großstadt lebst, sind in Schlafsäcke gehüllte Menschen in der Öffentlichkeit vielleicht neu für Dich.
In Nürnberg sind die unterirdischen Passagen am Hauptbahnhof die Orte, an denen sich obdachlose Menschen aufhalten und übernachten. Zwischen Ehepaaren mit Einkaufstüten, Familien im Reisefieber oder Berufspendler:innen sitzen Menschen ohne eigenes Zuhause. Besonders viele sind es zwischen November bis März. Der krasse Gegensatz von Wohlstand und Armut ist in den kalten Monaten am sichtbarsten.
Wer gilt als obdachlos?
Über den Alltag und die Welt von Menschen ohne eigene Wohnung weiß die Mehrheitsgesellschaft ziemlich wenig. Auch über die beiden wichtigsten Wörter herrscht Unklarheit. Der Begriff Wohnungslos beschreibt Menschen, die über keinen eigenen Wohnraum verfügen. Das bedeutet, sie mieten oder besitzen keine eigenen Räume. Es heißt aber nicht, dass sie auf der Straße wohnen. Sie können zum Beispiel vorübergehend bei Bekannten untergekommen sein. Andere wohnen in Pensionen, die ihnen für eine Zeit von karitativen Organisationen gestellt sind. Obdachlos sind Menschen, die in öffentlichen Räumen übernachten. Das können U-Bahn-Stationen, Parks oder Einkaufspassagen sein. Obdachlose verbringen aber nicht zwingend jede Nacht draußen. In Notschlafstellen gibt es für sie die Möglichkeit, täglich ein Zimmer zu beziehen und dort die Nacht und den Morgen zu verbringen.
Zahlen sind hoch
In Nürnberg gibt es viele Wohnungs- und Obdachlose. Das zeigt auch der Vergleich mit anderen Großstädten in Deutschland. Nach aktuellen Angaben der Stadt sind aktuell 2.500 Personen ohne eigene Wohnung. Ca. 2.200 von ihnen sind untergebracht. 200 Menschen übernachten regelmäßig in Notschlafstellen. Die Anzahl an Menschen, die längerfristig auf der Straße leben, belaufen sich auf 50 bis 100 Personen. Ein Blick auf die Zahlen der vergangenen Jahre zeigt, dass die Gesamtanzahl an Wohnungs- und Obdachlosen im Stadtgebiet seit Jahren ansteigt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine große Rolle spielt die angespannte Situation am Wohnungsmarkt. Die Anzahl an günstigen Wohnungen nimmt ab, gleichzeitig ziehen immer mehr Menschen in die Stadt. Dazu kommen noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie, der hohen Inflation und der gestiegenen Energiepreise. Es wird erwartet, dass die Zahl an Menschen ohne eigene Wohnung in den nächsten Jahren noch weiter ansteigt.
Es gäbe genug Notschlafplätze
Die Stadt Nürnberg hat auf die Situation reagiert und die Kapazität für Notübernachtungen nach eigenen Angaben ausgebaut. Die Stadt, soziale Organisationen und kirchliche Einrichtungen unterhalten acht Notschlafstellen im Stadtgebiet. Insgesamt gibt es knapp über 200 Notschlafplätze. 2019 waren es noch knapp 150 Betten. "Auch während der jetzigen kalten Witterung gib es grundsätzlich noch freie Plätze", teilt Natalie Lebrecht vom Referat für Jugend, Familie und Soziales auf unsere Nachfrage mit.
Andrea Bauer stimmt da zu: "Wir glauben, dass niemand am Hauptbahnhof übernachten muss. Es gibt genügend Plätze in den Notunterkünften." Sie ist stellvertretende Leiterin der Bahnhofmission Nürnberg. Seit drei Jahren arbeitet sie dort. Die Bahnhofstelle ist eine Kirchen-nahe Hilfsorganisation und Anlaufstelle für Bahnreisende, die Hilfe brauchen oder in Not geraten sind. Über das Engagement der Bahnhofsmission im Bereich der Obdachlosenhilfe sagt sie: "Wir sind die Stelle, die es eigentlich nicht geben sollte." Die Bahnhofsmission unterstützt die Obdachlosen am Hauptbahnhof trotzdem. Zum Beispiel mit Pflastern, Wechselklamotten und mit belegten Brötchen. Eine Wärmestube ist die Bahnhofsmission nicht. An Notschlafplätze und andere Anlaufstellen für Obdachlose kann Andrea Bauer und ihr Team dennoch vermitteln.
Aber warum übernachten Menschen lieber in den unterirdischen Passagen des Hauptbahnhofs als in einer Notunterkunft? Bauer sagt, es gibt dafür eine Vielzahl an Gründen. Von Dreien hört sie jedoch regelmäßig. (1) In den meisten Unterkünften dürfen keine Drogen konsumiert werden. Für Suchtkranke sind die Notschlafplätze daher keine Option. (2) Die Zimmer der Notunterkünfte können auch nicht tagelang bewohnt werden. Normalerweise kommt man am Abend und verlässt die Unterkunft am Morgen. Am Abend kommen die Menschen dann wieder. Dieses Hin-und-Her ist für manche Obdachlosen keine Option. (3) Auch Tiere sind in den Schlafplätzen nicht zugelassen. Viele Obdachlose haben jedoch Hunde, die sie in keinem Fall zurücklassen möchten.
Auch Thorsten Bach, Koordinator für Wohnungsfragen und Obdachlosigkeit für die Stadt Nürnberg, erklärt: "Die betroffenen Personen sind über die Übernachtungsangebote informiert." Dies geschehe sowohl durch Streetworker:innen als auch durch die Polizei. Er glaubt, die Gründe für den Verbleib am Hauptbahnhof liegen daran, dass Menschen in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen in Notunterkünften gemacht haben könnten. Am Hauptbahnhof mit seiner zentralen Lage hoffen manche außerdem auf Geld- und Sachspenden durch Mitbürger:innen. Auch das Alkohol- und Drogenverbot in den Unterkünften führt er an.
Wie Du wohnungslosen Menschen helfen kannst
Obdachlosigkeit wird in deutschen Großstädten so schnell nicht verschwinden. Auch am Hauptbahnhof in Nürnberg werden Menschen weiterhin übernachten. "Aufgrund der Wettersituation wird das Übernachten in der Königstorpassage unter bestimmten Voraussetzungen toleriert. Die beziehen sich neben der kalten Witterung vor allem auf das Verhalten", betont Bach. Bleiben dürfe, wer keine Anderen störe, belästige, zu viel Krach mache oder übermäßig Alkohol konsumiere, so Bach.
Obdachlosigkeit kannst Du als Einzelperson zwar nicht lösen, trotzdem gibt es Wege der Unterstützung. Wenn Du in der Obdachlosenhilfe regelmäßig und langfristig aktiv werden willst, freuen sich Vereine und Initiativen sicherlich über Deine Kontaktaufnahme. Andrea Bauer von der Bahnhofsmission hat uns im Gespräch aber auch ein paar Ratschläge genannt, die Du im Alltag anwenden kannst.
- Wenn Du das Gefühl hast, einer obdachlosen Person geht es sehr schlecht, kannst Du die Person respektvoll fragen, ob sie Hilfe braucht.
- Wenn eine Person nicht ansprechbar ist, informiere die Polizei oder DB-Sicherheitskräfte.
- Gerne kannst Du obdachlosen Menschen Essen kaufen. Frage sie aber davor, ob sie überhaupt etwas möchten und auch was sie gerne essen würden.
- Vereine und Initiativen der Obdachlosenhilfe sind zum Teil auf Geld- und gezielte Sachspenden angewiesen. Wenn Du beispielsweise Decken oder Schlafsäcken hast, die Du spenden möchtest, frag bei der Stadtmission, der Bahnhofsmission oder anderen Stellen nach, ob hier ein Bedarf besteht.
- Falls Du Gewalttaten gegen Obdachlose miterlebst, informiere sofort die Polizei.
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