„Diese Erfahrung schweißt alle zusammen“
1.3.2016, 17:43 UhrSeine beiden Söhne waren schon an Bord und seine Tochter will unbedingt mit, sobald sie alt genug ist. Wenn die „Thor Heyerdahl“ im April wieder in ihren Heimathafen einläuft, packt Michael Wittmann deshalb jedes Jahr das Auto voll und fährt mit seinen Kindern und deren Freunden von Fürth nach Kiel, um die aktuelle Crew willkommen zu heißen. „In unserem Netzwerk laufen jetzt schon die ersten Anfragen: Wer fährt rauf? Wer kann mich mitnehmen?“, erzählt er. „Die Thor hat eine unglaubliche Sogwirkung.“
Wer einmal ein halbes Jahr auf dem Segelschulschiff der Uni Erlangen-Nürnberg von Kiel über England, Teneriffa, Grenada, Panama, Kuba, die Bermudas und wieder nach Hause gefahren ist, den lässt das Erlebnis so schnell nicht mehr los. „Die Zeit an Bord schweißt unglaublich zusammen“, sagt Wittmann. Sein Sohn Jakob, inzwischen 20 Jahre alt, war im Schuljahr 2011/12 mit dabei. Samuel, jetzt 17, von 2014 bis 2015. Beide fahren noch immer zu den Geburtstagen der anderen Teilnehmer quer durch Deutschland und die kommen, wenn sie feiern. „Dann übernachten sie wie die Ölsardinen auf Luftmatratzen bei uns im Wohnzimmer“, erzählt der Vater. Enge sind sie ja vom Schiff gewöhnt.
Ein Schuljahr auf See kostet 18.000 Euro
Michael Wittmann war eines der Gründungsmitglieder von „AlumniKUS“, dem seit 2013 bestehenden Ehemaligenverein vom „Klassenzimmer unter Segeln“. „Wir wollten ein Netzwerk schaffen für die Jugendlichen, die mitgefahren sind, und ihre Eltern“, sagt er. „Außerdem sammeln wir Spenden, damit Schüler, deren Eltern sich das finanziell nicht leisten können, trotzdem mitfahren können.“
Ein Schuljahr auf See ist teuer. Das Schiff muss bezahlt werden, die Besatzung, die Lehrer und ein Arzt an Bord. Essen und Unterkunft, auch während der mehrwöchigen Landaufenthalte. Außerdem der Unterricht, Ausflüge und Kleidung, die jeden Sturm übersteht. „Die Finanzierung ist natürlich in den meisten Familien eine große Frage“, sagt Wittmann. „Kaum einer zahlt 18 000 Euro aus der Portokasse, auch wir nicht.“ Er und seine Frau haben einen Kredit aufgenommen, um den Söhnen die Reise zu ermöglichen. Und wenn ihre Tochter in die zehnte Klasse kommt, und das Bewerbungsverfahren erfolgreich besteht, darf auch sie mit. Geschwister werden aber nicht bevorzugt.
Die ganze Familie muss kürzertreten
„Man muss sich fragen: Was ist mir diese Reise für meine Kinder wert?“, sagt Wittmann. „Das frage ich auch Eltern, die das aus finanzieller Sicht kategorisch ausschließen – ein neues Auto muss man ebenfalls erst finanzieren.“ Vor der Fahrt des Ältesten hat die Familie besprochen, ob alle bereit sind, dafür kürzerzutreten. „Wir besuchen in den Ferien eben Onkel und Tanten, statt weit weg zu fahren.“ Er ist sich sicher: „Das Geld war auf jeden Fall absolut richtig angelegt.“
Die Reise ist ein großes Abenteuer, voll mit einmaligen Erlebnissen, aber auch Herausforderungen und Schulunterricht. Die Jugendlichen sind zwischen 15 und 16 Jahre alt – mitten in der Pubertät. „Sie entwickeln ihre Persönlichkeit durch diese Fahrt enorm weiter, sie lernen ihre Stärken und Schwächen kennen und lernen damit umzugehen“, hat Wittmann bei seinen Söhnen erlebt. „Das heißt nicht, das alle Kussis danach nur noch Einsen im Zeugnis haben und auf jeden Fall erfolgreich im Beruf sind, aber sie haben gelernt, effektiv zu lernen und sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen.“
Das Schiff ist eine eigene Welt. 50 Menschen auf engstem Raum, da muss jeder mit jedem auskommen, niemand kann mitten auf dem Atlantik einfach aussteigen. Es gibt Autoritätspersonen wie den Kapitän, aber gleichzeitig darf im Schiffsrat jeder mitreden. „In jedem Jahrgang gibt es etwa zehn Schüler, die danach mit dem Segeln weitermachen oder sich das sogar als Beruf vorstellen können“, erzählt Wittmann. Sein jüngerer Sohn hat Fortbildungsfahrten absolviert und fährt über Pfingsten auf der „Thor Heyerdahl“ als Wachführer in der Stammbesetzung mit. Papa und Schwester sind zum ersten Mal als Gäste mit an Bord, denn die Thor ist das ganze Jahr unterwegs. Durch die Reise und den Förderverein ist die ganze Familie mit dem Schiff verbunden. Nur seine Frau konnte Wittmann noch nicht mit seiner Begeisterung anstecken: „Ihr wird schon beim Wort ,Segelschiff‘ flau im Magen.“
Es soll kein Eliteprojekt sein
Rund 200 Mitglieder hat der Förderverein. Daniel Schupmann ist zweiter Vorsitzender. Im Schuljahr 2010/2011 war er nach seinem Referendariat als Englisch- und Geschichtslehrer mit an Bord. „Der Verein ist eine schöne Möglichkeit, mit dem Projekt verbunden zu sein – über die Reise hinaus oder auch ohne mitgefahren zu sein“, sagt er. Eltern bieten Rhetorik- und Präsentationsseminare für ehemalige Teilnehmer an oder vermitteln ihnen Praktika in ihren Firmen. Jedes Jahr sammelt der Verein Fahrräder, die nach der Tour auf Kuba an Schüler dort verschenkt werden.
„Es gibt auch Vereinsmitglieder, Verwandte und unabhängige Personen, die regelmäßig spenden, weil sie jemandem diese einmalige Erfahrung ermöglichen wollen“, erzählt Schupmann. Und es gibt Schüler, die seit Jahren für den Segeltörn sparen. „Das Klassenzimmer unter Segeln ist ausdrücklich kein Eliteprojekt“, sagt der Vorsitzende. Die Stipendien werden einkommensbezogen vergeben. „Bisher musste niemand aus finanziellen Gründen nicht antreten – es sollte sich wirklich keiner von den Kosten von einer Bewerbung abhalten lassen.“
Der Ehemaligen- und Förderverein des „Klassenzimmers unter Segeln“ im Internet: www.alumnikus.de
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