Offiziell als Beobachter akkreditiert
"Es ist bizarr": Wie junge Klimaschützer aus Franken den Gipfel von Glasgow erleben
6.11.2021, 05:55 UhrLeonardo DiCaprio stellte sie alle in den Schatten, die Bidens, Trudeaus und Macrons. "Er hatte die größte Pressetraube und die meiste Security", erzählt Jonathan Kolb. Gemeinsam mit Alexandra Struck verfolgte Kolb aus nächster Nähe das Schaulaufen der Staatenlenker und des Hollywoodstars beim Klimagipfel in Glasgow.
"Es ist bizarr", sagt der der Nürnberger einige Tage später. "Man ist den Staats- und Regierungschefs physisch nah, man hat aber keine Möglichkeit, inhaltlich an sie heranzukommen, um die eigenen Standpunkte zu äußern", erzählt er. Der Zugang zu den Räumen der UN-Klimakonferenz, in denen die wichtigen Reden gehalten werden, ist eng begrenzt. Die Begründung: Corona. "Mir drängt sich der Eindruck auf, dass das auch als Vorwand hergenommen wird, um die Zivilgesellschaft ein Stück weit auszusperren."
Offiziell als Beobachter akkreditiert
Jonathan Kolb und Alexandra Struck engagieren sich für den Schutz des Klimas: der 25-jährige Kolb, der an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) Wirtschaftsinformatik studiert, im Landesvorstand der Jugendorganisation des Bund Naturschutz, die 24-jährige Struck, die im Sommer an der FAU ihren Bachelor in Kulturgeographie gemacht hat und jetzt in Augsburg studiert, im Bundesvorstand der BUNDjugend, also der Nachwuchsorganisation des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Beide sind in der Konferenz von Glasgow dabei.
Die Zugangskarten, die sie um den Hals tragen, weisen sie als offizielle "Beobachter" aus; ein Status, den die UN an Nicht-Regierungsorganisationen vergibt, die damit an der Konferenz teilnehmen dürfen. Struck und Kolb nutzen die Gipfeltage, die oft mehr als zehn Stunden dauern, um Gespräche zu führen, für die Positionen des BUND zu werben und Videos für Instagram und Twitter zu drehen. Mit anderen Teilnehmern kommunizieren sie über gleich sieben WhatsApp-Gruppen - die Wege in dem Kongresszentrum sind weit.
"Es ist ein bisschen wie bei Ikea"
"Es ist ein bisschen so, als würde man in einem Ikea-Möbelhaus sitzen“, sagt Alexandra Struck in einem Video-Call mit unserer Redaktion und zeigt auf den Arbeitsbereich, in dem sie und Struck sitzen. Hintergrund: Der schwedische Möbelriese hat das Mobiliar gesponsert. Dass gleichzeitig akuter Mangel an Steckdosen herrscht, erschwert den digitalen Austausch - dabei wäre der angesichts der begrenzten Kapazitäten in den Räumen so wichtig. "Man sieht deshalb auch Leute am Wasserautomaten sitzen und digital konferieren, weil da gerade eine Steckdose verfügbar ist", sagt Struck.
Kolb ist zum ersten Mal bei einem Gipfel dabei, für Struck ist es der bereits dritte nach Bonn (2017) und Kattowitz (2018). Gipfel, bei denen der Zugang zu den Mächtigen einfacher war, erinnert sich Alexandra Struck, die 2018 auch einer weitgehend unbekannten Schwedin namens Greta Thunberg begegnet war - der sie nun, 2021, wieder über den Weg lief. Es ist nicht zuletzt Thunbergs Verdienst, wenn Struck nun sagt: "Die Belange junger Menschen haben einen höheren Stellenwert und kommen in fast jeder Rede vor". Bloß: "Das zeigt sich nicht in den Taten."
Die beiden jungen Umweltschützer fordern "ambitionierte Ziele für 2030, nicht erst Klimaneutralität 2050" - was Struck auf die zugespitzte Formel bringt: "Wir finden Klimaneutralität doof, denn sie geht am eigentlichen Ziel vorbei". Kritisch sehen sie insbesondere, dass vielfach gar nicht über eine echte Reduktion des CO2-Ausstoßes geredet werde, sondern der Ausstoß über Ausgleichsprojekte in Entwicklungsländern vermeintlich kompensiert werden solle.
"Wir wollen in Glasgow auch die jungen Menschen im globalen Süden vertreten, die nicht hier sein können“, sagt Jonathan Kolb. Die teuren Übernachtungspreise in der schottischen Metropole machten es vielen Menschen aus ärmeren Staaten unmöglich, an dem Gipfel teilzunehmen.
Sie wohnen bei einer Gastfamilie
Kolb und Alexandra Struck haben Glück gehabt, sie sind bei einer deutsch-schottischen Gastfamilie untergekommen. Angereist sind sie mit dem Zug. Struck wirbt aber um mehr Verständnis für all jene Teilnehmer, die aus erster Hand von den extremen Folgen der Klimakrise in ihren Heimatländern berichten können und mit dem Flugzeug angereist sind. „Wenn Menschen vor den Staats- und Regierungschefs ihre Stimme erheben für ihre Rechte, ist das etwas anderes, als wenn sie nur digital zugeschaltet sind."
Wenngleich die Auswirkungen der Krise längst in Europa angekommen sind. Die Szenen, die zu Beginn der Konferenz in einem Video gezeigt wurden, hat Alexandra Struck immer noch vor Augen: Sie zeigten, Menschen, die sich verzweifelt gegen eine Glastür stemmen, um eine Flutwelle abzuhalten - nicht in Südostasien, nicht in Afrika, sondern in Italien. "Da wurde einem nochmal bewusst gemacht: Das ist vor unserer Haustüre.“