Filmprojekt: Heimat, das ist mehr als ein paar Häuser
13.10.2017, 13:00 UhrKurz bevor nach 90 intensiven Filmminuten der Abspann kommt, wird die 81-jährige Erna Kinzel noch einmal in die Kamera schauen und sagen: "Heimat, das sind ja nicht nur Häuser und ein Ort. Das sind doch vor allem die Menschen, die Verwandten und die Nachbarn. Alle, die dort miteinander gelebt haben." Vielleicht kann man diesen schwierigen Begriff gar nicht besser in Worte fassen. Heimat, das ist ein Gefühl, das vereint, Sicherheit verleiht und stark macht. Die sieben Menschen, die nun für ein besonderes Projekt ihre ganz persönliche Geschichte erzählten, haben als Kinder oder Jugendliche ihre Heimat unter dramatischen Umständen verloren. Sie stammen aus Pommern, dem Banat, Schlesien, Ungarn, Mähren und Syrien. Gemeinsam ist ihnen, dass sie heute – zum Teil seit vielen Jahren – in Oberasbach leben.
Die Initiative, die sieben Berichte über den langen Weg in ein neues Leben in einem Film festzuhalten, kam von den Mitgliedern des Heimatvereins Oberasbach. Die geschäftsführende Vorsitzende Edith Klein machte bei der Premiere der Dokumentation im neuen Videosaal des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums klar: "Dieser Film ist ein Höhepunkt in unserem Jahresprogramm, das ja den inhaltlichen Schwerpunkt ,Flucht und Vertreibung‘ hat."
Realisiert wurde das Vorhaben von Felizitas Handschuch mit vier Schülern des Wahlkurses Film. Tanja Achenbach, Maren Kehr, Michael Tillmann und David Wingert nahmen die Interviews auf. Gelungen ist dem Team eine sehr dichte Auseinandersetzung, die den Zuschauern im bis auf den letzten Platz besetzten Raum sehr bald das Gefühl gab, mit den Gesprächspartnern in einen ganz privaten Dialog getreten zu sein.
Zu denen, die ihre Erinnerungen teilen, gehört zum Beispiel Gisela Galsterer. Die 79-Jährige musste am 26. November 1946 ihr Heimatdorf in Ungarn verlassen. Begleitet wurde sie von den Großeltern: "Mein Vater wurde im Krieg vermisst, meine Mutter war kurz zuvor von den Russen verschleppt worden." Im Film berichtet sie auch davon, durch welche "glücklichen Fügungen" sie Jahre später ihre Mutter wiedersah.
Erna Kinzel wurde im Sudetenland geboren, sie war neun, als die Familie gezwungen wurde, den Ort zu verlassen. Bis heute erinnert sich die 81-Jährige an schreckliche Szenen: "Einmal habe ich gesehen, wie eine Frau furchtbar geschlagen wurde. Ich kannte sie." Reinhold Wehner hat in einem Buch aufgeschrieben, was sich in seinem Gedächtnis festgesetzt hat. Der 86-Jährige stammt aus dem Banat, dem Teil, der später zu Jugoslawien zählte. "1944 waren meine Eltern und mein Großvater verschleppt worden, ich blieb als 13-Jähriger mit meinem achtjährigen Bruder und meiner 15-jährigen Schwester zurück." Erst viel später erfuhr er, dass Vater und Opa in den Lagern starben. Wehner selbst kam zunächst auch in ein Arbeitslager: "Tags mussten wir das Vieh versorgen und nachts ackern." Er floh und schlug sich in ständiger Gefahr für sein Leben durch: "Am 1. April 1949 kam ich in Nürnberg an."
Als Fünfjähriger erlebte Jürgen von Bonin (77) die Flucht aus Pommern mit einem Treck: "Was sich mir am tiefsten eingeprägt hat, war die Beschießung durch russische Flieger." Dieter Leitmeyer (80) wartete als Siebenjähriger in Breslau mit seiner Mutter auf einen Zug, der sie aus der Stadt bringen würde, die zur Festung erklärt worden war und in der die Menschen hungerten. Die Waggons, in denen sie endlich einen Platz fanden, standen schließlich lange in Dresden, bevor es weiterging: "Erst viel später habe ich begriffen, dass dies in der Nacht vor dem verheerenden Bombenangriff war."
Auf erschreckende Weise spiegeln sich diese Erinnerungen mit dem, was die beiden jungen Syrer Abbas (27) und Osama (28) hinter sich haben. "Wir haben vor dem Krieg ein schönes Leben in Syrien gehabt, in einer großen Familie", sagen sie. "Wir haben alle zusammen Möbel gemacht." Ihre Heimat heißt Aleppo, die Stadt wurde zu einem dramatischen Kriegsschauplatz. Den jungen Männern gelang die Flucht über die Türkei. Von dort sollte sie ein Boot nach Griechenland bringen: "Mitten im Meer versagte der Motor." Als sie es doch endlich nach Griechenland schaffen, müssen sie zu Fuß weiter. Sie schlagen die Westbalkanroute ein, werden aufgegriffen, ziehen wieder los, hungern, haben nichts zu trinken, frieren im Schnee.
Mittlerweile sprechen Abbas und Osama gut Deutsch. Ihr Schlusswort im Film kommt von Herzen: "Wir freuen uns, weil wir in Deutschland sind. Viele Leute sind sehr positiv. Es ist ein gutes Land."
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