17.06.1971: Favorisiert wird das Logenhaus
17.6.2021, 07:00 Uhr
Der Ministerrat beschloß gestern: dem 20-Millionen-Vorhaben kommt die gleiche Unterstützung zu wie den Olympiabauten, deren Kosten zur Hälfte vom Bund, zu je einem Viertel vom Land und von München getragen werden. Sollte der Bund darauf nicht eingehen, wird die Regierung auch ein Drittel der Umbausumme unter der Voraussetzung bezahlen, daß Bonn in gleicher Höhe einsteigt.
Trotz dieser Kunde steht jedoch der Nürnberger Stadtrat heute vor einer schweren Entscheidung. Die Zustimmung zu einem der Pläne, die Baureferent Otto Peter Görl dem Plenum vorlegt, bedeutet wegen der schlechten Finanzlage ein großes Wagnis.Der Bauhofgewaltige läßt den Stadtvätern dreierlei Wahl. Welche der Lösungen (von denen jede wiederum einige Änderungen zuläßt) er in sein Herz geschlossen hat, bekennt er im folgenden Frage- und Antwortspiel:
NN: „Nach welchen Gesichtspunkten würden Sie die Entscheidung treffen? Görl „Nach wirtschaftlichen, praktischen aber auch architektonischen. Aber das Architektonische darf nicht überwiegen. Überwiegen darf bei geringen Unterschieden auch nicht die zur Debatte stehende Investitionssumme.“ NN: „Wie sieht Ihr Urteil aus, wenn Sie diese Maßstäbe anlegen?“ Görl: „Nach dem Abwägen aller Gesichtspunkte nicht die architektonisch schönste und deshalb teuerste, sondern die praktischste und wirtschaftlichste Lösung wird von mir dem Plenum vorgeschlagen: das Logenhaus.“ NN: „Welche Vorteile bietet dem Sportfreund ein solches Haus“ Görl: „Es gewährleistet Geschlossenheit im Stadionrund, rückt den Zuschauer nahe an das Spielfeld und ermöglicht ihm, schnell zu seinem Platz und wieder hinaus ins Freie zu kommen.“ NN: „Wäre das Logenhaus nicht auch eine Lösung, die dem Stadion besonderen Charakter verleihen würde?“ Görl: „Ja, jedermann würde wissen: das ist das Nürnberger Stadion. Nürnberg ist doch auch keine Allerweltsstadt und seiner Einmaligkeit etwas schuldig.“ NN: „Und wieviel kostet die Lösung, der Sie den Vorzug gehen?“ Görl: „Wir liegen unter 20 Millionen Mark.“
Mit dem Baureferenten einer Meinung ist auch Hans Lang, der örtliche Repräsentant des Deutschen Fußballbundes und Organisator zahlreicher Länder- und Europapokalspiele. Er sieht Vorteile sowohl für den Zuschauer wie für die Funktionäre, die Großveranstaltungen organisieren müssen. Hans Lang: „Dieser Tribünenstil – ähnlich modernen Bauten in Südamerika, Italien und Spanien – ermöglicht es dem Zuschauer, dicht am Geschehen zu sein und die ganze Atmosphäre besser zu erleben. Er kann von seinem Platz aus – bequem und ohne Kontrollen passieren zu müssen – die auf seiner Etage gelegenen Toiletten erreichen.“
Dennoch: nach den bisherigen Erklärungen im Stadtrat will Nürnberg mit höchstens vier Millionen Mark bei der Fußballweltmeisterschaft dabeisein. Der Stadtkämmerer, der schon zusehen muß, wie er das drohende 15-Millionen-Defizit im ordentlichen Haushalt 1970 zustopft, stöhnt: „Meiner Auffassung nach sind schon drei Millionen DM sehr viel. Geht der Betrag darüber hinaus, wird die Finanzierung für uns praktisch unmöglich.“
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