200 Jahre "Fränkische Schweiz"
11.1.2012, 07:40 UhrAls „Schlupfwinkel des deutschen Gemüts“ bezeichnete Hans Max von Aufseß (1906–1993) das Fremdenverkehrsgebiet, das heute weitgehend das Städtedreieck Nürnberg – Bamberg – Bayreuth umfasst, ursprünglich aber nur die engen Täler der Wiesent mit ihren Nebenflüssen undihren kahlen Felsenbergen meinte. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts gingen die großen Reiserouten an dieser entlegenen und kärglichen Region außen vorbei. Wäre 1774 nicht die Wunderwelt der Höhlen von dem naturwissenschaftlich begeisterten Pfarrer Johann Friedrich Esper (1732–1781) weit über Deutschland hinaus bekannt gemacht worden, das bizarre Berg- und Hügelland wäre weiter der „Schlupfwinkel“ geblieben, wie ihn der Baron von Aufseß fast 200 Jahre später noch träumte. So aber folgten den Höhlenforschern die Romantiker, die nur Augen für die „schöne Gegend“ hatten.
Wie die Erlanger Studenten Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder fühlten sich viele von ihr eingeladen „zu tausend Schwärmereien.“ Als sie 1793 zu ihrer Pfingstreise ins Fichtelgebirge aufbrachen, beflügelte der Reiz der sanften Berg- und Hügellandschaft bei Streitberg Tieck sogar zu politischen Träumereien: „nur in einer solchen Gegend schöne brave Republikaner! – Oh Schweiz, Frankreich – wenn ich doch hinfliegen könnte, mit genießen und mit für die Freiheit sterben!“ Seltsam, dass die beiden Studenten bei ihrem Ritt durch die ärmlichen Dörfer auf der Jura-Hochfläche nicht die Not ihrer Bewohner sahen. Der karge und steinige Boden, dem es zudem noch an ausreichender Bewässerung mangelte, gab für die Landwirtschaft wenig her. Weil Brunnen fehlten, schleppten vor allem Frauen in Butten aus Holz oder Blech das kostbare Nass aus dem Tal den Berg hinauf. Der „Buttensteig“, der von der Stempfermühle steil nach Gößweinstein führt, lässt erahnen, wie anstrengend das war.
Dass Tieck trotzdem „allenthalben Fröhlichkeit“ und nur Leute sah, die „gesund und munter“ sind, führte er selbst auf seine poetische Stimmung zurück, in der „alles heiter vor seine Seele“ tritt. Soviel man „im Vorbeigaloppieren bemerken kann,“ schränkte er aber ein, „ist es leicht möglich, daß ebenso viele krank und verdrießlich waren, viele untätig.“ Tatsächlich hatten sich die Lebensumstände auch 150 Jahre später in den Juradörfern kaum verbessert. „Der Landkreis steht unter den 185 Kreisen des Landes Bayern hinsichtlich der gemeindlichen Steuerkraft an 181. Stelle, im Regierungsbezirk Mittel- und Oberfranken ist er der steuerschwächste Landkreis überhaupt“, beschreibt der Ebermannstädter Landrat Ludwig Niedermayer 1944 die trostlose Situation. „Daraus und aus der großen Anspruchslosigkeit der Bevölkerung erklärt sich der kulturelle Rückstand. Geschickt aufgenommene Schulhäuser könnten ohne weiteres in ein Propagandamaterial über bolschewistische Zustände im russischen Schulwesen Verwendung finden.“
Wie Tieck und Wackenroder sahen die ihnen nachfolgenden Studenten, Literaten und Künstler im 19. Jahrhundert aber nur das Malerische dieser romantischen Landschaft mit Burgen und Mühlen, engen Tälern und steilen Felsen. Für die Studenten der Erlanger Universität verfasste 1812 der Professor für Geschichte, Geografie und Englisch, Johann Christian Fick (1763–1821), sogar eine Art Reiseführer in die von ihm zuerst als „Fränkische Schweiz“ bezeichnete Region. Für einen Besuch empfahl er ihnen die Zeit um Pfingsten, „um da die wild schöne Natur und ihre merkwürdigern Produkte zu beschauen,“ mahnte aber gleichzeitig zur Vorsicht bei den Wanderungen, „weil man leicht in den mit Gesträuchen überwachsenen Ruinen zu Schaden kommen kann.“ Erst „vor wenigen Jahren“ sei „ein Studirender ein von Gesträuche verstecktes Präcipis“ (Abgrund) hinabgestürzt und habe sich ein Bein gebrochen.
Die heutigen Wanderwege haben diese Gefahren weitgehend beseitigt. Die Anstrengungen der ersten Touristen im „Muggendorfer Gebürg“ lassen sich am ehesten noch ahnen, wenn man den Frankenweg zwischen der Streitberger Muschelquelle und Gößweinstein geht. Da warnt beim Aufstieg nach Gößweinstein sogar eine hölzerne Tafel: „Felsensteig: Betreten auf eigene Gefahr.“ Mit der Gründung einer „Molkenkur- Anstalt“ durch einen Göttinger Professor startete 1835 in Streitberg das Beherbergungsgewerbe. Es war so erfolgreich, dass bereits zwanzig Jahre später ein eigener Reiseführer mit dem Titel „Die Fränkische Schweiz und die Molkenkur-Anstalt zu Streitberg“ die Besucher anlockte. Darin hieß es, dass der „Kurort vom Ende Aprils bis Anfang Octobers von fremden Kurgästen aus nah und fern zahlreich besucht“ wird, aber „steife Etikette ihre Herrschaft in diesen anmuthigen Thälern noch nicht zur Geltung bringen konnte“. So sollte es auch bleiben, die „Fränkische“ wurde bevorzugt das Gebiet von Feriengästen, die das Einfache liebten, weil sie sich mehr auch nicht leisten konnten.
Nach dem Krieg strömten Flüchtlinge in die „Fränkische“
Mit der Lokalbahn, die 1891 Ebermannstadt, 1915 Heiligenstadt, 1922 Muggendorf und 1930 Behringersmühle erreichte, kamen Tagesausflügler zum Wandern, Radfahren oder nur zum Schauen ins Wiesent- und Leinleitertal. Der Gästestrom wuchs an, als in den 30er Jahren der Reichsarbeitsdienst das Straßennetz ausbaute – zeitweise geisterten sogar die Pläne einer Reichsautobahn durch die Presse – und die nationalsozialistische Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ ganze Urlauberzüge aus Hamburg und Sachsen hierher transportierte. Während des Kriegs suchten Evakuierte aus dem Saarland und Bombengeschädigte aus Nürnberg Schutz in der Fränkischen, Betriebe verlagerten ihre Produktionsstätten hierher und Kinder aus Norddeutschland wurden zu ihrer Sicherheit klassenweise in Familien oder geschlossene Lager geschickt.
Mit dem Ende des Kriegs strömten Flüchtlinge und Heimatvertriebene in die ländliche Provinz. Streitberg zählte doppelt so viel Flüchtlinge als Einheimische und verfügte 1948 noch über ganze sechs Gästebetten. Deswegen wurde es nach einer Debatte im bayerischen Landtag zum Notstandsgebiet erklärt. Kulturell und wirtschaftlich beflügelten die „Ortsfremden“ das Leben in der Provinz. Politisch aber fielen 1972 mit der Auflösung des Landkreises Ebermannstadt die wiederholten Bestrebungen zusammen, die „Fränkische“ in einem eigenen Kommunalverband zusammenzufassen. Zur Förderung des Fremdenverkehrs wurde zwei Jahre später die „Tourismuszentrale“ in Ebermannstadt gegründet. Getragen wird sie vom „Gebietsausschuss Fränkische Schweiz“, dem gegenwärtig die Landkreise Forchheim, Bayreuth, Bamberg und Kulmbach angehören.
Über die Tourismuszentrale kann man nicht nur Unterkünfte erfragen und 21 Prospekte für alle möglichen Aktivitäten erhalten, sondern auch eine „Erlebnis-Card' erwerben, die zum verbilligten Eintritt in 70 Einrichtungen berechtigt. Der „Schlupfwinkel“ hat sich zur „Erlebnis-Region“ aufgetan, in der jeder auf seine Weise die „Romantik“ einer nach wie vor faszinierenden Landschaft genießt.
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