22. April 1970: Familien müssen aus Humboldtstraße ausziehen
22.4.2020, 07:19 UhrBitterkeit herrscht unter den Mietern nicht nur darüber, daß sie ihre Wohnungen am 1. Juli geräumt haben müssen, sondern weil sie in eben diese Wohnungen zum Teil hohe Investitionen hineingesteckt haben und dafür nun völlig leer ausgehen sollen. Der Gang der Ereignisse ist vielleicht durch juristische Hintertürchen hinauszuschieben, aufzuhalten ist das Ergebnis nicht – ein Ergebnis, das Räumung bedeutet. Denn der neue Eigentümer braucht bloß auf die Mietverträge zu verweisen, die seinen Forderungen eindeutig recht geben.
Er legt in einem Schreiben an einen der Mieter seinen Standpunkt klar: „Ich werde alle freien und freiwerdenden Wohnungen mit ausländischen Gastarbeitern belegen lassen und zu diesem Zweck noch umfangreiche Ausbauarbeiten vornehmen lassen. Aus terminlichen Gründen bin ich leider gezwungen, mit den Umbauarbeiten sofort zu beginnen. Um Ihnen jedoch die damit zwangsläufig entstehenden Unannehmlichkeiten weitestgehend ersparen zu können, bin ich bereit, Sie auch vorzeitig und unter Verzicht auf die Einhaltung der im Mietvertrag vereinbarten Kündigungsfristen aus dem Vertrag zu entlassen, wenn Sie es wünschen ... Nur für den Fall, daß Sie wider Erwarten von dem Ihnen hiermit eingeräumten vorzeitigen Kündigungsrecht keinen Gebrauch machen wollen, möchte ich hiermit den Mietvertrag für Ihre Wohnung kündigen und fristgemäß zum 30. Juni 1970 lösen.
“ In einem weiteren Schreiben wird eingeräumt: „Sollten Sie jedoch wider Erwarten und ohne eigenes Verschulden nicht fristgerecht räumen können, so bin ich bereit, Ihnen die Wohnung auch noch länger zu belassen, was jedoch einer neuen vertraglichen Abmachung bedarf.“ Die Bedingungen folgen im nächsten Absatz:
„Bitte bedenken Sie dazu aber, daß es gewiß nicht schön für Sie sein wird, unter etwa 150 türkischen, jugoslawischen und marokkanischen Gastarbeitern zu wohnen, und daß ich bei einer etwaigen Verlängerung Ihres Wohnrechts auf jeden Fall auf den vollen Ersatz der mir dadurch entstehenden Kosten und des entgehenden Miet-Mehrertrages bestehen muß. Selbstverständlich werde ich diese Beträge dann genau belegen und nachweisen, aber ich kann Ihnen heute schon sagen, daß bei einer Mietverlängerung von sechs Monaten ein Gesamtschaden von etwa 10 000 DM (in Worten: zehntausend Deutsche Mark) für mich entstehen wird.“ Dieser Betrag sei vom Mieter zu begleichen.
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