60 Tage festgeschnallt: Thema im Landtag
13.2.2014, 12:16 Uhr„Ich habe gebetet, lieber Gott, lass mich sterben, weil ich die Schmerzen nicht mehr aushielt. Mit der Zeit kriechen die Schmerzen durch den ganzen Körper — von den Händen und von den Füßen aufwärts. Das wird immer schlimmer, weil man sich nicht umdrehen kann.“ Die Patientin H. war im Sommer vergangenen Jahres in der Forensik des Isar-Amper-Klinikums Taufkirchen (Vils) im Landkreis Erding über 25 Stunden fixiert, also am Bett im Isolierzimmer festgeschnallt gewesen. Sie soll sich dem Personal widersetzt haben.
Noch ungleich länger, nämlich ohne Unterbrechung acht Wochen lang, vom 4. Oktober bis 2. Dezember 2011, war der Patient R. fixiert gewesen. Dies wird durch die 20-seitige Krankengeschichte bestätigt, die unserer Redaktion vorliegt. R. war auf Ärzte losgegangen. Er verstand sich damals als Frau und war einige Zeit in der geschlossenen Psychiatrie für psychisch kranke Straftäterinnen untergebracht. Heute sitzt er in der Bezirksklinik Straubing.
Der Münchner Strafverteidiger Adam Ahmed vertritt beide Opfer — die Patientin H. und den Transsexuellen R. Der Strafrechtsexperte stellt derartige Zwangsmaßnahmen grundsätzlich infrage: „Natürlich muss der Einzelfall sehr genau geprüft werden, aber auch die Praxis der Fixierungen in Taufkirchen insgesamt.“
Die Problematik werde ernst genommen, so Chefärztin Verena Klein in einer Stellungnahme: „Momentan sind wir dabei, durch Weiterentwicklung der Deeskalations-Maßnahmen“ und eventuell durch einen „Time-Out-Raum“ Möglichkeiten zu schaffen, Situationen mit akuter Eigen- und Fremdgefährdung anders als durch Fixierung zu begegnen. Mittlerweile gibt Klein wegen des schwebenden Verfahrens keine Auskunft mehr.
Auskunft über Fixierungspraxis verlangt
Von November 2011 bis einschließlich Juni 2013 wurden Patientinnen dort 337-mal fixiert. Die Durchschnittsdauer lag bei 29 Stunden. Selbst Insider reagieren auf diese Zahlen mit Unverständnis. „Ich finde das wahnsinnig lang“, sagt Michael von Cranach, viele Jahre Leiter der Psychiatrie Kaufbeuren, dem BR.
Die Landtagsfraktion der Freien Wähler (FW), federführend der Abgeordnete Florian Streibl, fordern nun „effektive Kontrollen in der Forensik“, damit die Würde psychisch Kranker gewahrt werde.
Mit einem Dringlichkeitsantrag für die aktuelle Sitzung des Landtags wollen die FW einen Beschluss herbeiführen, der die Staatsregierung zu Reformen zwingt.
Zum konkreten Fall Taufkirchen verlangen die Freien zeitnah Auskunft über die Fixierungspraxis, insbesondere über die Überwachung durch Videoaufnahme oder eine Sitzwache. Vor dem Hintergrund der aktuellen Vorwürfe sei besonders auf die Kenntnisse des zuständigen Sozialministeriums über die Situation in Taufkirchen einzugehen. Im Ministerium wird der Fall derzeit geprüft.
Auch die Landtagsgrünen haben „mit Erschrecken“ reagiert und wollen mögliche Menschenrechtsverletzungen in der geschlossenen Unterbringung aufgeklärt sehen. Zudem fordern sie ein Landesregister für Zwangsmaßnahmen und eine Ombudsstelle für Patienten und Angehörige.
Gustl Mollath stellte Strafanzeige
Die Strafanzeige wegen des Verdachts auf Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die die Nürnberger Martin Heidingsfelder und Gustl Mollath gestellt haben, ist von der Nürnberger Generalstaatsanwaltschaft zuständigkeitshalber an die Staatsanwaltschaft in Landshut weitergereicht worden und wird dort nun gründlich geprüft, so eine Sprecherin auf Anfrage.
Mittlerweile ist Beate Jenkner, Bezirksrätin der Linken im Bezirkstag von Oberbayern und selbst Berufsbetreuerin, der Strafanzeige beigetreten: „Der Fall R. ist sicher einer der schlimmsten, aber nicht der einzige, der dringend einer Überprüfung bedarf. Mir ist bekannt und bewusst, dass es auch in anderen Psychiatrien ähnliche Vorfälle gibt und mit Wissen von Ärzten, Pflegern und Richtern in der beklagten Art und Weise verfahren wird.“ Jenkner stellt sich dem Landtag und der Justiz als Zeugin zur Verfügung.
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