Asylbewerber erhielten zwei Stunden lang keine Hilfe
30.10.2013, 14:40 UhrIm Dezember 2011 bereitete eine Seelsorgerin in der Fürther Kinderklinik die Eltern bereits darauf vor, dass Leonardo sterben werde. Die Flüchtlinge sollten Abschied nehmen. Doch dann gelang es den Ärzten in letzter Sekunde, Leonardo zu retten. Der Roma-Junge war aus der Zirndorfer Zentralen Aufnahmeineinrichtung für Asylbewerber (ZAE) viel zu spät in die Klinik eingeliefert worden.
Meningokokken-Bakterien hatten nicht nur eine Hirnhautentzündung bei ihm ausgelöst, sondern auch sein Blut vergiftet. Es gerann in den Gefäßen, schwarze Flecken bildeten sich auf der Haut, ganze Partien auf Fingerchen und Zehen des damals Eineinhalbjährigen starben ab. Obwohl die Eltern morgens um 7 Uhr ihr schwer gezeichnetes Kind dem Sicherheitsdienst an der Pforte zeigten und um Hilfe flehten, holten die Mitarbeiter keinen Notarzt.
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat inzwischen Anklage wegen vorsätzlicher Körperverletzung durch Unterlassen gegen die zwei Pförtner erhoben, eine weitere wegen unterlassener Hilfeleistung gegen eine Verwaltungsmitarbeiterin, die sich nicht zuständig fühlte. Zudem gibt es eine Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen einen Bereitschaftsarzt, der am Vorabend den Jungen nicht gründlich untersucht hatte.
Gefährliche Lücke
Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat, der zusammen mit Leonardos Eltern Strafanzeige erstattet hatte, kritisiert die Verwaltungsabläufe in der ZAE, einer von zwei Erstaufnahmeeinrichtungen in Bayern. Thal spricht von einem „zweistündigen Versorgungsloch“ in den Morgenstunden: In dieser Zeit könnten Asylbewerber niemanden erreichen.
Denn die Zuständigkeit des privaten Sicherheitsdienstes, der auch für die Pforte verantwortlich sei, ende um Punkt sieben Uhr. Die Verwaltung aber öffne ihre Büros erst gegen neun Uhr. Dort werden dann die Krankenscheine ausgegeben, mit denen Flüchtlinge zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen können. Wer nach sieben Uhr, aber vor neun Uhr Hilfe brauche, wie Leonardo, schwebe in Lebensgefahr.
Wer ruft den Notarzt?
Die Regierung von Mittelfranken als verantwortliche Behörde bedauert das tragische Geschehen, das zu Leonardos schweren körperlichen Schäden geführt hat. Sprecherin Ruth Kronau-Neef weist jedoch darauf hin, dass der ärztliche Bereitschaftsdienst „oder auch der Notarzt gerufen werden muss“, wenn außerhalb der Dienstzeiten ein Notfall auftritt. Warum dies im Falle der Roma-Familie nicht geschehen ist, dazu wollte sie mit Verweis auf das laufende Verfahren keine Stellung nehmen.
Sie betonte aber, dass in der ZAE Mitarbeiter einer Vielzahl von Behörden und Einrichtungen beschäftigt sind. Krankenscheine indes würden nur vom Sozialamt des Landkreises Fürth ausgegeben.
Die Beschäftigte, gegen die nun Anklage erhoben wurde und die das Kind etwa gegen sieben Uhr ebenfalls gesehen hatte, „sei nur für Verwaltungstätigkeiten und zur Unterstützung des Staatlichen Gesundheitsamtes Fürth eingesetzt gewesen, nicht aber für das Sozialamt des Landkreises Fürth. Sie konnte daher keinen Krankenschein ausgeben“.
Die Staatsanwaltschaft bestätigte, dass ein Mitarbeiter einer anderen Behörde, der an jenem Montag im Dezember 2011 dienstlich in der Zirndorfer ZAE zu tun hatte, sofort reagierte, als er den aufgelösten Vater im Treppenhaus traf. Er holte einen Krankenschein aus dem Büro und alarmierte die Sanitäter. Da war es etwa acht Uhr morgens. Wäre er nicht gewesen, hätte Leonardos Martyrium eine weitere Stunde gedauert.
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