AUSGEGRABEN AUS DEM ARCHIV: Als „Glatzenkönig“ ins eigene Schloss
5.6.2015, 14:36 UhrViele Leser, die sich von Hegers Produkten wochen- und monatelang für nicht gerade wenig Geld hatten behandeln lassen, fragten sich mit den NN: Ist „der kleine, dicke Mann mit dem vollen dunklen Haar“ ein „Betrüger in höchster Vollendung, nur ein geschickter Geschäftsmann oder tatsächlich ein Fachmann, dem die Haarkranken und Kahlköpfigen ein echtes Heilmittel verdanken?“.
Dass der Prozess gerade in Franken mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt wurde, lag daran, dass Heger im Sommer 1954 seinen Firmensitz in das idyllisch an den Weinbergen bei Schweinfurt gelegene Schloss Mainberg verlegt hatte und dort mit seiner Familie und etwa 150 Angestellten residierte. Heger und sein „Haarforschungs-Institut“ waren mit offenen Armen empfangen worden, weil die Investitionen in die prächtigen Gebäude, die vor ihm schon große Fürsten und einflussreiche Industriebarone (Sattler, Sachs) bewohnt hatten, und die unglaublichen Anfangserfolge die Verantwortlichen blendeten.
Dabei war Heger durchaus als schillernde Persönlichkeit bekannt, wenn nicht berüchtigt. 1904 in Kroatien geboren, stieg er früh zu einem der größten Getränkeproduzenten Jugoslawiens auf. In Brüssel und Paris sammelte er erste Erfahrungen in der Kosmetikbranche und in den Vierzigern fungierte er in Zagreb als Spendensammler: Für einen neuen Wallfahrtsort half ihm der Erzbischof sogar aus dem Gefängnis. In der Notzeit nach dem Krieg wusste Heger sich erneut für die Kirche unentbehrlich zu machen, nun als vatikanisch bevollmächtigter Spendensammler für die Caritas. Papst Pius XII. soll sich nach einer Audienz allerdings weitere Besuche verbeten haben.
Der Autodidakt Heger hatte gelernt, wie man Geschäfte macht, immer aber hatte es Ärger gegeben, weil er Gelder nicht vollständig abgeführt und Versprechungen nicht gehalten hatte. Zuletzt stand er 1950 vor Gericht, weil seine Konstanzer Firma Intermedia Ausreisewillige abgezockt hatte; diesmal retteten ihn Verfahrensmängel und das Wirrwar zwischen den Behörden.
Heger musste sich also wieder einmal neu erfinden. In den Dreißigern hatte er sich in Brüssel bereits mit Haarforschung beschäftigt und 1939 in Paris ein „Pharmazeutisches Institut“ geleitet. Zehn Jahre später eröffnete nun seine Frau Antonie in Frankfurt ein erstes „Percutor-Institut“. Es war nach dem im Auftrag ihres Gatten entwickelten Massage- und Injektionsgerät benannt, mit dessen Hilfe Essenzen in die Kopfhaut gespritzt und Glatzköpfigen ein so prächtiger Haarwuchs versprochen wurde, wie er Hegers eigenen Kopf zierte. Bald schon konnten Filialen in Baden-Baden, München und Düsseldorf eröffnet werden.
Nach einem halben Jahr im unterfränkischen Mainberg brummte auch hier das Geschäft. Heger verstand es blendend, durch seine opulenten Werbeprospekte die Betroffenen mit seriös wirkenden wissenschaftlichen Expertisen und der Ferndiagnose ihrer eigenen Haarproben zu ködern. Gleichzeitig bot seine Produktpalette die passende Kur für jede „spiegelkahle“ Glatze – und jeden Geldbeutel.
Dabei bediente er sich modernster Vertriebs- und Marketingmethoden: Noch im März 1955 war die „Heger-Haarforschung“ in allen Blättern und auch in den Nürnberger Nachrichten mit ganzseitigen Anzeigen vertreten, in denen „für die Behandlung im Institut oder bequem zuhause“ geworben wurde.
Dafür musste eigens ein Versandhandel mit Fuhrpark und Postamt in Mainberg geschaffen werden, schließlich gingen im Schloss täglich 2.500 Bestellungen ein. Waschkörbeweise schickte die Kundschaft Haarwurzeln und Bargeld und empfing im Gegenzug die streng geheimen Rezepturen vom selbsternannten „Biocosmetologen“ Heger, dessen Monatseinkommen auf etwa 750.000 Mark anwuchs. Er konnte das anfangs nur gepachtete Schloss kaufen, ließ Diener in Livree aufmarschieren und sich und seinen französischen Chef-Kosmetiker im Cadillac zu anderen „Percutor-Instituten“ chauffieren.
Und die Kunden? Sie injizierten und schmierten – und warteten in der Mehrheit leider vergeblich auf die Rückkehr „der Lockenpracht der Jünglingsjahre“. Im „Kleingedruckten“ seiner Produktbeilage hatte Heger eine Erfolgsgarantie wohlweißlich abgelehnt und Klagen über ausbleibenden Flaum stets mit dem zu frühen Abbruch seiner Kuren begründet. Nun aber fühlten sich immer mehr Leute um ihr Geld geprellt, reichten Zivilklage ein oder stellten sich im Juni 1955 als Zeugen zur Verfügung. Im Gerichtssaal marschierten seine Anhänger (mit Haar) und seine Gegner (ohne Haar) auf. Ihnen folgten die Gutachter, unter denen auch der später wegen Befangenheit abgelehnte Chef der Erlanger Uni-Hautklinik war. Er bescheinigte dem Percutor-Gerät immerhin eine Aktivierung der Kopfhaut-Durchblutung, die anderen Experten sprachen nur von Hokuspokus.
Erst am 03.12.1957 erging das Urteil, das in der folgenden Berufungsverhandlung für Heger auf zwei Jahre Gefängnis reduziert wurde; seine Frau blieb straffrei. Letztmals standen beide im Oktober 1976 wegen „besonders schwerer Betrügereien“, wieder mit einer Haarwuchsfirma, vor Gericht.
Vom „Glatzenkönig“ fühlten sich Unzählige getäuscht und die Bestellungen versiegten. Für das Baudenkmal Schloss Mainberg aber führte Hegers baldige Insolvenz in eine Krise, die bis heute andauert. „Ein ganzes Schloss ist zu verkaufen“ titelten die NN im Herbst 1960, als der Staat durch eine Versteigerung des Schlossinventars einen Teil seiner Steuerschulden zu begleichen hoffte. Alfred Zelnhefer, der damals für die Zentrale Pfandverwertungsstelle beim Finanzamt Nürnberg Nord die Auktion durchführte, erinnert sich aber an eine Ausnahme: Der Altar der Schlosskapelle wurde wegen seiner spirituellen Bedeutung von der Auktion ausgenommen und steht heute in der Nürnberger Klara-Kirche.
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