Autonomes Fahren: Experten befürchten noch mehr Staus
7.5.2018, 13:34 UhrWer bisher vorhatte, bei der Erlanger Bergkirchweih oder anderen großen Bierfesten in der Region einen oder zwei über den Durst zu trinken, tat gut daran, sein Auto stehenzulassen und sich lieber von S-Bahn oder Bus heimfahren zu lassen.
Künftig könnte sich das ändern. Denn mit komplett autonomen Fahrzeugen kann man sich auch sturzbetrunken noch gefahrlos fortbewegen, man ist ja nur Passagier.
Und nicht nur in Ausnahmesituationen jenseits der zulässigen Promillegrenze könnte das autonome Auto künftig gefragt sein. Auch ältere oder blinde Menschen, die heute kein Fahrzeug mehr selbst steuern, könnten dann einen solchen Pkw besitzen.
Die Liste der Szenarien ist schier endlos: Eltern lassen ihre Kinder von der Schule abholen, Geschäftsleute sparen sich die Übernachtung im Hotel und lassen sich nachts schlafend quer durch die Republik kutschieren, Paket-Lieferdienste bauen ihr Geschäft immer weiter aus, weil mit dem Fahrer das Teuerste wegfällt.
"Wenn man alle privaten Pkw durch autonome Fahrzeuge ersetzt, hat man nicht weniger Verkehr. Im Gegenteil: Es wird mehr, wenn künftig die bestellte Pizza allein durch die Stadt fahren kann", meint Kilian Kärgel, Leiter des Fachbereichs Multimodale Mobilität der Stadtwerke München.
Nutzen statt besitzen
"Wenn 400.000 Autos in Nürnberg rumstehen, ist egal, wie sie gesteuert oder angetrieben werden — es sind zu viele, die den Raum zum Leben nehmen", sagte Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly jüngst beim Mobilitätskongress der Metropolregion Nürnberg. Die zögerlichen Carsharing-Anfänge seien ein erster Trippelschritt, aber noch lange nicht genug.
"Wir sind ein Volk von Autobesitzern. Wir müssen aber das Autobesitzen durch das Autobenutzen ersetzen", ist Maly überzeugt, der froh ist, dass zumindest jüngere Menschen eine zunehmend geringere emotionale Bindung an das Auto haben als die "Generation Maly", der natürlich auch der Oberbürgermeister höchstselbst angehört: "Als 18-Jähriger bin ich mit dem Auto zum Zigarettenholen gefahren." Trotz aller Appelle an eine Verkehrswende ist das Auto immer noch auf der Überholspur. Noch nie gab es in der Region so viele Fahrzeuge wie derzeit. Mehr als 1,6 Millionen Pkw sind es inzwischen im Gebiet des Verkehrsverbundes Großraum Nürnberg (VGN).
"Momentan gibt es keinen erkennbaren Trend, dass sich daran etwas ändert und die öffentlichen Verkehrsmittel zulegen", meint VGN-Geschäftsführer Andreas Mäder. Er glaubt sogar, dass der Individualverkehr noch einmal zunehmen wird.
Die Gründe sind vielfältig: Die Zahl der Haushalte wird noch mehr ansteigen als die Bevölkerungszahl ohnehin schon. Handel, Verwaltung und Dienstleistungen konzentrieren sich zunehmend an einem Ort, dadurch werden die Wege weiter. Die täglichen Wege werden überdies immer komplexer und variabler, weshalb die Menschen zunehmend auf das flexible Auto setzen.
Zeit ist Geld
"Zeit ist für die Menschen viel wichtiger als der Preis. Wenn sie damit auch nur fünf Minuten schneller sind, nehmen die Leute das Auto — auch wenn es teurer ist als der ÖPNV", verdeutlicht Mäder. Das autonome Fahrzeug würde den Trend hin zum Auto nur noch verstärken. "Deshalb muss da regulierend eingegriffen werden. Leerfahrten zum Beispiel sollten verboten werden", fordert Mäder.
"Durch autonome Fahrzeuge gibt es tendenziell noch viel mehr Verkehr, noch viel mehr Reifenabrieb, noch mehr Stau", meint auch Daniel Hobohm, bei Siemens für digitale Verkehrssteuerung verantwortlich. Durch die autonomen Fahrzeuge könne der ÖPNV eine starke Konkurrenz erhalten. "Die Leute fahren eben lieber in ihrer eigenen Kapsel als in der U-Bahn, selbst wenn es teurer ist", betont Hobohm, der aber weit davon entfernt ist, autonomes Fahren zu verteufeln.
Politische Herausforderung
"Wir bei Siemens glauben an eine Zukunft autonomer Busse und Kleinbusse", sagt Hobohm. So könnten viele Fahrzeuge überflüssig und Platz auf den Straßen und Parkplätzen gespart werden. Der Individualverkehr sei dagegen keine Lösung, hier müsse entgegengesteuert werden durch City-Maut-Konzepte oder die Priorisierung von autonomen, miteinander vernetzten Bussen, etwa bei der Ampelschaltung.
Die Weichen müssten aber nicht die Unternehmen stellen. "Mobilität ist zunächst vor allem eine politische Herausforderung. Politisch muss entschieden werden, technisch ist sehr viel möglich. Es wird aber noch zu sehr auf das Auto gesetzt — und das nimmt zu viel Platz ein für andere technische Möglichkeiten", meint Hobohm.
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