Babyleichen von Wallenfels: Mutter legt Geständnis ab

12.7.2016, 12:35 Uhr
Die angeklagten Eltern am Dienstag mit ihren Verteidigern im Gerichtssaal.

© dpa Die angeklagten Eltern am Dienstag mit ihren Verteidigern im Gerichtssaal.

Sie brachte die Kinder meist in der Küche, manchmal im Wohnzimmer zur Welt, im Stehen. Ganz schnell ging es, schrien die Säuglinge, drückte Andrea G. ihnen Handtücher ins Gesicht.

Im Jahr 2003  versteckte sie ihr erstes Kind im Dachgeschoss, verstaute es in der stillgelegten Sauna hinter dem Bad. In den folgenden zehn Jahren wickelte die verheiratete Familienmutter acht kleine Körper in Tücher und Plastiktüten. Sie legte sie in Eimer, Körbe und Plastikboxen. Eines legte sie hinter eine Wandverkleidung, schildert eine Beamtin der Spurensicherung.

Seit Dienstagvormittag sitzt Andrea G., eine Frau mit kurzen dunklen Haaren, vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Coburg, die Kammer tagt als Schwurgericht. Drei Berufsrichter und zwei Schöffen beschäftigt dieser Fall, der über jeden Verstand geht. Und doch wollen die Richter bereits nächste Woche, am 20. Juli,  ihr Urteil sprechen. Zum Prozessauftakt gesteht Andrea G. über ihre Anwälte die Vorwürfe.

13 Kinder hat die 45-Jährige zur Welt gebracht. Fünf leben, die letzten acht hat sie beseitigt, "mindestens vier Säuglinge" habe sie direkt nach der Geburt umgebracht, wirft ihr der Oberstaatsanwalt vor. Eines der Kinder wurde tot geboren, bei den anderen drei ließ sich die Todesursache nicht mehr feststellen, sie waren zu stark verwest.

Das Haus, in dem die verheiratete Familienmutter immer wieder tötete und Tag für Tag weiterlebte, steht mitten im Ortszentrum von Wallenfels. Etwas erhöht, auf einem Hügel am Rande des 2800-Einwohner-Orts, ist die katholische Dorfkirche. Als sich die Nachricht verbreitete, hingen die Menschen dort Zettel auf, schilderten Fragen und Gefühle. Die Fragen sind geblieben.

So sitzen, neben zahlreichen Journalisten, einige Dutzend Zuschauer aus  Wallenfels und Umgebung im Zuschauersaal und hoffen, dass die juristische Aufarbeitung Licht auf das dunkle Geheimnis der G.s wirft. Wie konnte es nur soweit kommen? Warum hat das Paar nicht verhütet oder sich für Abtreibungen entschieden?

Ehemann soll von Taten gewusst und geschwiegen haben

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Johann G., 2003 hatte das Paar geheiratet, von den Schwangerschaften wusste und damit rechnete, dass seine Frau die Kinder umbringt - Beihilfe zum Mord wird dem 55-Jährigen vorgeworfen. Das klingt nachvollziehbar: Wie soll er, der laut Anklage ein bis dreimal wöchentlich Sex mit seiner Frau hatte, Schwangerschaften nicht bemerken? Er wolle zu den Tatvorwürfen keine Angaben machen, sagt Johann G., seine "Noch-Ehefrau" wie er Andrea G.  nennt, sei eine  "notorische Lügnerin". Sie habe vor ihm Rechnungen und Briefe versteckt, sein Konto leer geräumt und selbst die Sparbücher der Kinder geplündert.

Erst nach ihrer Festnahme habe er in den Kleiderschränken 27 Mülltüten mit Kleidung und Modeschmuck gefunden, alles noch mit Preisschildern versehen. Dass sie die Kindergeldkasse um 10.000 Euro geprellt habe, wisse er auch erst seit Sommer 2014, erklärt er in seinem weichen, oberfränkischen Dialekt. Seither gehe er zum Psychiater. Er klingt dabei, als sei er vor allem eines: Ihr Opfer. Kein Wort dazu, warum er selbst auf der Anklagebank gelandet ist. 

Schwere Vorwürfe der Anklage

Andrea G. lässt ihren Lebenslauf, ihre Antworten auf die Vorwürfe über ihre Anwälte vortragen. Folgt man ihrer Aussage, wäre sie, die durchschnittliche Hauptschülerin, aber besonders talentierte Leichtathletin, gerne auf ein Sportinternat gegangen. Doch die lieblose Mutter und der Vater verlangten einen "anständigen Beruf".

Sie lernte Hauswirtschaftsgehilfin, mit 18 Jahren wurde sie erstmals schwanger, ihren Zustand bemerkte sie angeblich erst einen Tag vor der Geburt. Sie heiratet den Kindsvater, 1995 bekam das Paar eine weitere Tochter.

Ihre erste Ehe scheiterte, sie begann  ein Verhältnis mit Johann G., 2001 bekam das Paar Zwillinge, 2002  folgte eine weitere Tochter. Laut Anklage wollte das Ehepaar aus finanziellen Gründen keine weiteren Kinder, doch verhütet haben sie nicht. Aus "Gleichgültigkeit" hätten sie den Geschlechtsverkehr  "wie gewohnt" ausgeführt, heißt es in der Anklageschrift. 
Im Oktober 2015 zog sie aus - sie hatte sich in einem örtlichen Wirtshaus in einen Gast neu verliebt. Mit ihm wollte sie ein neues Leben beginnen.

Im November 2015  entdeckte eine der erwachsenen Töchter von Johann G. in der Sauna im Dachgeschoss eine Babyleiche und rief die Polizei, die Beamten entdeckten später sieben weitere Bündel.

Fünf eigene Kinder und zwei Stiefkinder waren Andrea G. nicht genug - dabei hatte bereits 2002, nach der Geburt des jüngsten Tochter, Andrea G.s Mutter ihre Tochter zur Sterilisation gedrängt. Auch ihr Ehemann verlangte den Eingriff.

Angeklagte hofft auf therapeutische Hilfe

Andrea habe ihm im Jahr 2003 von der erneuten Schwangerschaft erzählt, schildert Johann G. vor Gericht, da habe er sie zur Abtreibung und zur Sterilisation nach Erlangen in eine Klinik gebracht. Sie sei damals aus dem Auto gestiegen und  zwei Tage später habe er sie wieder abgeholt.
Doch in die Klinik ging sie nicht. Den Eingriff habe sie nicht über sich gebracht, erklärt ihr Anwalt vor Gericht.

2003 brachte sie ihr erstes Baby in die Sauna. Sie behauptet, mit ihrem Mann über die Schwangerschaft gesprochen zu haben, er habe sie alleine gelassen. Sie habe sich immer einsamer gefühlt, die Schwangerschaft habe sie verdrängt, und dies habe so gut funktioniert, dass sie von der Geburt selbst überrascht wurde. Und dies wiederholte sich immer wieder.
2015, als sie sich im Sommer neu verliebte, habe sie beschlossen, auszuziehen, die Kinder bei Johann G. zurückzulassen. Ihre toten Kinder wollte sie noch holen.

Es sei ein Schock gewesen, als sie sich selbst im November in den Nachrichten sah - sie saß mit ihrem neuen Freund in einer Pension, als im Fernsehen von dem Fund der Babyleichen berichtet wurde. Nun sei sie letztlich erleichtert, dass ihr Geheimnis aufgeflogen sei, sie hoffe auf therapeutische Hilfe im Gefängnis.