Sorgenvoller Blick in die Heimat Brasilien

26.6.2020, 10:00 Uhr
Sorgenvoller Blick in die Heimat Brasilien

© Foto: Anna Franck

Valdir Weber kam 2015 durch ein Austauschprogramm der Evangelischen Kirchen in Deutschland und Brasilien zu der Stelle in der Tiefgrundpfarrei. Die unbefristete Verlängerung seines Vertrages war ursprünglich nicht vorgesehen. Nun hat es doch geklappt, die Landeskirche habe es bewilligt.

"Wir haben uns damals auf etwas ganz Neues eingelassen", sagt Weber. Was ihn hier erwarten würde, war für ihn damals ungewiss, war er doch noch nie in Deutschland gewesen. "Wir haben gekämpft, um uns als Familie in der Gesellschaft einzuleben", sagt der Pfarrer, wenngleich sie von Kirchenvorstand und Gemeindemitgliedern herzlich empfangen wurden. Einen Deutsch-Kurs wie andere seiner brasilianischen Austausch-Kollegen hätte er, der pommerische Wurzeln hat, damals nicht bekommen, es ging direkt los mit der Einarbeitung. Besonders sein Vorgänger Hermann Eßel und dessen Stellvertreter Hans Löffler standen ihm zur Seite. "Die haben Brücken gebaut und waren eine große Stütze."

Schwer tat sich Weber zu Beginn mit dem fränkischen Dialekt. "Manche Worte kann man nur im Kontext verstehen, man muss sich einfach reinhören", sagt der Pfarrer. Anfangs seien seine Gottesdienste eher "technisch" gewesen, habe er doch erst austesten müssen, was bei den Menschen wie ankommt. Wichtig ist ihm, aktuelle Themen aufzugreifen, kürzlich beispielsweise den Tod des Afroamerikaners George Floyd.

Die deutschen Gottesdienste würden sich von den brasilianischen durch einen "anderen Stil" unterscheiden. In Brasilien treffe die ganze Familie zusammen, von der Großmutter bis zum Enkelkind. Seit den 1980er-Jahren finde auch lateinamerikanische Musik ihren Platz darin. "Das Abendmahl ist ein Fest", sagt Weber, kein Grund für ein trauriges Gesicht. Diese Kultur will der Pfarrer auch hier her bringen, denn "hier leben mehr Brasilianer als man denkt". Ein Gottesdienst für alle im brasilianischen Stil ist für ihn deshalb denkbar. In seiner Heimat engagierte sich Weber als Pfarrer auch in Sozialprojekten, unterstützte Kinder aus armen Verhältnissen. In Gruppenstunden sangen er und sein Team oder lehrten das Spielen von Blasinstrumenten. Solche konkreten Projekte möchte er künftig in anderer Art und Weise auch hier verfolgen, denn "auch hier gibt es Not".

 

Menschen ohne Ausweg

 

"Es ist ein Segen für uns hier zu bleiben", sagt der Pfarrer aus zweierlei Gründen. Zum einen fühlt sich die Familie wohl, zum anderen ist die Coronavirus-Lage in Brasilien kritisch. Aktuell sind etwa 1,2 Millionen Menschen in Brasilien infiziert, rund 54 000 sind bereits gestorben. Weber ist nördlich von Rio de Janeiro geboren und hat die letzten drei Jahre vor seinem Umzug nach Deutschland in Salvador gearbeitet. Gerade den Armen – von denen gebe es dort viele – fehlten die medizinischen und finanziellen Möglichkeiten, um sich zu schützen. "Die haben keinen Ausweg", sagt Weber, dessen Miene ernst wird, wenn er darüber spricht.

Drei Geschwister seiner Frau sind schon vor Corona nach Deutschland gezogen. Webers Familie, darunter seine Mutter, sein Bruder und seine Nichten, leben in Brasilien. "Wir telefonieren mehr, zwei bis drei Mal pro Woche", sagt Weber. Die Ältesten befinden sich in Quarantäne, verlassen das Haus nur für zwingend notwendige Einkäufe oder Arztbesuche. Ein Sommerurlaub in der Heimat? Derzeit undenkbar, zu groß ist das Risiko. "Wir warten jeden Tag auf Lockerungen."

Stärker sei sein Glaube in der aktuellen Lage geworden. "Der notwendige Abstand wegen Corona bringt die Nähe zwischen den Menschen und zu Gott", ist sich der Pfarrer sicher. Um ein Zeichen des Optimismus zu setzen habe er mit seiner Frau ein mehrwöchiges Ritual entwickelt: Jeden Morgen um 9 Uhr sperrte er die Kapelle in Kaubenheim auf, zündete eine Kerze an und sprach ein Gebet, das Vater Unser sowie den Segen. Um 19 Uhr sperrte er sie wieder zu. Wer wollte, konnte dazukommen. "Ein Ritus stabilisiert die Menschen."

Es sei eine Zeit, die aufwühlt, in der sich Menschen – besonders die einsamen – viele Fragen stellen. Manche Bürger hätten ihn angerufen, um über Sorgen zu sprechen. Zu seinen ersten drei Gottesdiensten am 10. Mai seien überdurchschnittlich viele Menschen gekommen – sie haben Weber mit am meisten gefehlt.

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