Kampf gegen Kinderpornos: Ermittler verwenden falsche Tat-Fotos

Martin Müller

Redaktion Metropolregion Nürnberg und Bayern

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28.6.2020, 06:00 Uhr

Wer bislang im Darknet Bilder und Videos teilte, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigten, wer seinen Trieb befriedigte, indem er Tausende solcher Aufnahmen konsumierte, musste kaum befürchten, dass deutsche Ermittlungsbehörden ihm auf die Schliche kamen.

"Wegen der Anonymisierungsmöglichkeiten im Darknet gibt es nur wenige technische Ermittlungsansätze. Außerdem fließt normalerweise kein Geld. Durch die Transaktionen hat man bei Drogen- oder Waffengeschäften Ansatzpunkte, bei der Kinderpornografie nicht", verdeutlicht Oberstaatsanwalt Thomas Goger von der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) in Bamberg. Zwar hat die ZCB im vergangenen Jahr immerhin 2000 Ermittlungsverfahren gegen namentliche bekannte Täter in diesem Bereich eingeleitet - die Dunkelziffer ist aber ungleich höher.

In den 1970ern wurden im Bereich der Kinderpornografie noch einschlägige Zeitschriften getauscht, in den 1980ern Videokassetten. Ermittler konnten bei der Übergabe oder beim Versand zuschlagen. Heute werden nur noch Dateien hin- und hergeschickt. Und das auch noch im besonders geschützten Darknet.

"Die Szene giert nach Neuem"

Den Tätern und Nutzern geht es nicht um Geld, sondern um die Befriedigung des eigenen Triebs. Und dazu genügen ihnen auch die Abermillionen schon existierenden Fotos und Videos nicht, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen. "Die Szene giert nach Neuem. Alte Bilderserien reichen nicht aus, um den erforderlichen Kick zu geben", erläutert Goger.


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Weil technische Ansätze und die Verfolgung der Geldströme in diesem Fall nicht weiterhelfen, bleibt nur die verdeckte Ermittlung. Doch wer mitmischen will in diesen internationalen Tauschbörsen, die teilweise mehr als 100.000 Nutzer umfassen, muss meist eine Eintrittskarte lösen. Erst wer selbst kinderpornografisches Material hochlädt, kann Mitglied werden. "Keuschheitsprobe" wird das genannt.

Die Täter wissen natürlich, dass die deutschen Ermittler, anders etwa als ihre Kollegen in den Niederlanden, dies bislang nicht durften. "Durch kooperationswillige Beschuldigte hätten wir schon einmal Zugang gehabt zu einem großen Kinderpornografie-Board mit Tausenden von Nutzern gehabt. Doch weil eine Keuschheitsprobe verlangt wurde, sind wir letztendlich nicht weitergekommen", verdeutlicht Goger.

Beschlagnahmtes Material wird automatisch durchsucht

Seit Mitte März haben die Ermittler die Eintrittskarte. Seitdem dürfen sie selbst kinderpornografisches Material hochladen, um die Keuschheitsproben zu bestehen. Keine realen Fotos und Videos natürlich, sondern computergenerierte. "Seit Jahren haben wir darauf hingewiesen, dass uns dieses Instrument bislang gefehlt hat", sagt Goger.

Technisch ist man da schon sehr weit. So hat zum Beispiel das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) an seinem Standort in Kaiserslautern ein System entwickelt, das den Ermittlern hilft, große Mengen beschlagnahmten Datenmaterials zu durchforsten. Es erspart den Beamten beispielsweise, sich durch Zehntausende harmloser Urlaubsfotos auf den kassierten Rechnern klicken zu müssen und zeigt ihnen gleich an, welche Aufnahmen Kindesmissbrauch zeigen könnten.


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"Die Aufnahmen werden anhand von Bild-, Gestalt-, Farb- und Stimmungs-, aber auch akustischen Merkmalen durchsucht", erklärt Andreas Dengel vom DFKI. Neben Räumen oder Gegenständen können auch Personen anhand charakteristischer Körpermerkmale wie Tattoos wiedererkannt werden. "Die Ermittler können dadurch Zusammenhänge von Taten identifizieren", verdeutlicht Dengel.

Digitale Kindergesichter auf erwachsenen Darstellerkörpern

Eine Möglichkeit, um Bilder digital zu erzeugen, sind Vektorgrafiken, wie sie für Computerspiele verwendet werden. Wenn dann noch die Bewegungen eines mit Sensoren ausgestatteten Schauspielers durch das Motion-Capture-Verfahren erfasst werden, sind täuschend echte Ergebnisse möglich.

Auch erwachsene Darsteller mit kindlichen Körpern könnte man einsetzen. Auf diese könnten dann Gesichter von Kindern montiert werden. Die Kinder-Anlitze müssten künstlich digital erzeugt werden. "Bei Gesichtern ist man bei der Entwicklung schon sehr weit. Die kann man dann auch gut animieren. Bei den Körpern ist das viel schwieriger, damit beschäftigen sich zum Beispiel auch die großen Filmstudios viel weniger", sagt Marc Stamminger, Professor für Visual Computing an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Wie realistisch die Gesichter sind, die von Algorithmen erzeugt wurden, kann man zum Beispiel auf der Internetseite www.thispersondoesnotexist.com sehen. Jedes Mal, wenn man die Seite ansteuert, ist dort ein neues Gesicht zu sehen, das in der Realität nicht existiert.

"Das macht man mit speziellen neuronalen Netzwerken, den GANs, also Generative Adversarial Networks", erklärt Dengel. Diese bekommen echtes Material gezeigt und versuchen, neue Bilder zu generieren. "Am Anfang des Trainings sind die Ergebnisse noch schlecht. Aber sie werden immer besser", verdeutlicht Dengel. Nachdem man das System mit Tausenden von Bildern gefüttert hat, wird eine erstaunliche Qualität erreicht.

"Komplett neu errechnete Personen"

"Das darf man sich nicht so vorstellen, dass von einem die Nase genommen wird, von einem Zweiten die Ohren und von einem Dritten die Füße. Das sind komplett neu errechnete Personen, die keinem realen Vorbild gleichen", betont Goger.

Kleine Fehler können immer noch auftauchen, wie eine unterbrochene Haarsträhne oder verschiedenfarbige Augen. Solche Fotos sind aber leicht auszutauschen. "Vor allem sind computergenerierte Bilder oft zu glatt und zu rein. Die neuronalen Netze helfen, einen natürlichen Look hinzuzufügen mit Unreinheiten und Texturen oder auch Kratzer und Flecken bei Gebäuden", sagt Stamminger.

Bei einzelnen Fotos ist der Aufwand heute schon vertretbar. Bei Videos ist das sehr viel schwieriger. "Das ist immer eine Frage des Aufwands und des Geldes. Die großen Filmstudios haben da Hunderte von Leuten, die einzelne Pixel nachbearbeiten. Für solche Videos reicht es nicht, einen IT-Spezialisten einzusetzen und einen Tag lang ein Fotostudio zu mieten", sagt Stamminger. Bislang genügen aber meist Fotos, um Zugang zu den Kinderporno-Tauschbörsen zu bekommen.

Jeder Ermittler-Klick ist überprüfbar

Computergeneriertes Material darf allerdings nicht beliebig eingesetzt werden, sondern nur auf richterlichen Beschluss und von speziell geschulten Beamten. Dass durch das hochgeladene Material die potenziellen Täter zusätzlich inspiriert werden und ein Anreiz zu immer neuem Missbrauch geschaffen wird, glaubt Goger nicht. "Dafür gibt es schon zu viel Material", sagt er.

Und auch, dass die Ermittlungsergebnisse nicht verwendet werden können, weil Beamte die Grenzen des Erlaubten überschreiten könnten, erwartet der Experte nicht. "Verdeckte Ermittler fordern niemanden auf, Kinder zu missbrauchen. Bei Ermittlungen in diesem Bereich wird ja jeder Klick festgehalten, da ist alles, was die Ermittler machen, komplett überprüfbar", betont er.Goger glaubt, dass es nur sehr wenige Ermittlungsverfahren geben wird, in denen die neu zugelassene Keuschheitsprobe eine Rolle spielen wird. "Aber da stehen eben Tausend Nutzer dahinter – und vor allem viele missbrauchte Kinder", sagt er.

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