Schimmelpfennigs Push up in Bamberg inszeniert
20.10.2015, 11:26 UhrMehrere Angestellte, ein Ziel. Ob Robert, ob Hans, ob Frank, ob Patrizia oder doch Sabine, sie alle wollen nach Delhi. Delhi, Zentrum des indischen Subkontinents. Delhi, die Stadt mit dem verlockenden Chefposten. Delhi, die Belohnung für all die Anstrengung. Delhi, diese fabelhafte Utopie.
Aber wer darf denn nun nach Delhi und wer bleibt auf der Strecke? Dieser Frage nähert sich das Theater im Gärtnerviertel (TiG) unter der Leitung von Nina Lorenz in seinem neuesten Schauspiel an. "Push up 1–3" stammt im Original von Roland Schimmelpfennig und wurde 2001 in Berlin uraufgeführt.
Im Bamberger Kolping-Center entspinnt sich ein turbulent-verlogener Machtkampf, in welchem ebenso facettenreiche wie unterschiedliche Charaktere ihren Hut um die Führungsposition in den Ring werfen und mit allerhand harten Bandagen kämpfen.
Karrierestreben mit ausdrucksstarken Schauspielern
In collagenartigen Überlappungen blockiert die emotionale, aber beruflich gesättigte Angelika (Ursula Gumbsch) als Mitarbeiterin und Frau des absenten Firmenchefs Kramer aus Eifersucht die aufstrebende, junge Kandidatin Sabine (Heidi Lehnert). Wohingegen der einsame Workaholic Frank (Martin Habermeyer) und der sportbesessene Hans (Benjamin Bochmann) versuchen, sich gegenseitig zu übertreffen und gnadenlos auszustechen. Verbittert über eine nicht fortgeführte Affäre entlädt sich der Frust von Robert (Stephan Bach) gegenüber Patrizia (ebenfalls Lehnert) im wortwörtlichen Verschlingen des Konzeptpapiers zum neuen Firmenwerbespot.
Trotz aller Konkurrenz und Karrieregeilheit gibt es eine Gemeinsamkeit. Sie wird zusätzlich in der Rahmenhandlung in persona der Portiers Maria und Heinrich doppelt bzw. dreifach durch jeweils synchron agierenden Darsteller symbolisiert. Die Bewerber lechzen im Verborgenen nach kollegialer Anerkennung mindestens ebenso sehr wie nach Geborgenheit und sexuellem Ausgleich.
Apropos lechzen: Garniert werden derlei Konnotationen mit kafkaesken Überlegungen eines Hundes über die grundlegenden Fragen seiner Existenz. Animalisch gekonnt verkörpert durch Stephan Bach im Pelzmantel. Zwar ist auch dieser auf Kosten seiner Individualität in den "Arbeitszwängen und Machthierarchien der gesamten Hundeschaft" gefangen und kann nur einen verzerrten Blick auf die Welt werfen, erscheint aber trotzdem ungleich sympathischer als seine menschlichen Pendants. In diesem gegensätzlichen Empfinden mag der geneigte Zuschauer die realistisch-bizarren Untiefen des modernen Büroalltags erkennen.
Künstlerische Installation von David Grimm
Ein zentrales Credo des TiG wird, wie zuletzt bei "König Ödipus" und "Casanova" in gewohnter Manier erfüllt: die Verwebung von Inszenierung und Spielort. So fungiert das Obergeschoss des Gebrauchtwarenhauses als Büroschauplatz. Selbst das Untergeschoss wird dank technischer Kniffe audiovisuell eingegliedert. Der zweigeteilte Zuschauerbereich nimmt die innerliche Zerrissenheit der Charaktere auf. Mehrere Plastiksäcke gefüllt mit geschreddertem Druckerpapier entsprechen stilecht einer Übersetzungsvariante des Stückes ("Platz machen").
Die schlichte Requisite bildet eine Symbiose zur Handlung. Dagegen vermag es das überaus ausdruckstarke Ensemble, den Fokus des Zuschauers auf die affektierte Präsentation von oberflächlichen Höflichkeiten und gelebter Ellenbogenmentalität innerhalb einer durchschnittlich-heterogenen Belegschaft zu lenken.
Die künstlerische Installation "Der Aufgestiegene" von David Grimm ergänzt das Theaterstück im Nebenraum und zeigt, was auch für das Heilsversprechen Delhi gilt: "Oben auf der Leiter ist nur Platz für einen."
Push up 1–3
von Roland Schimmelpfennig
Inszenierung: Nina Lorenz
Kolping-Center, Siechenstraße 69,
Büro im 1. OG, neben der Ottokirche
weitere Spieltermine: 22., 25., 29., 30., 31., Oktober, 5., 6. November 2015 Einlass 19.15 Uhr, Beginn 20 Uhr.
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