Von der Grenze zur WG: Weg von Minderjährigen Flüchlingen

16.7.2015, 10:58 Uhr
Von der Grenze zur WG: Weg von Minderjährigen Flüchlingen

© GuideMedia

Schon 2014 wurden die Prognosen der Flüchtlingsströme weit übertroffen: Aus geschätzten 2.500 jungen Asylbewerbern wurden 3.400. Künftig werden minderjährige Flüchtlingskinder nun auf Jugendämter im gesamten Bundesgebiet verteilt – das Ergebnis eines Gesetzesentwurfs von Familienministerin Manuela Schwesig. Bisher wurde so nur mit erwachsenen Asylbewerbern verfahren. Konkret heißt das: Auch in Landkreisen und Kommunen werden nun bald mehr junge Menschen ankommen.

Bis Mai 2015 standen 8.200 neue unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) unter der Obhut bayrischer Jugendämter – allein 1.200 kamen im letzten Monat an. Bamberg werden nach neuen Schätzungen in den nächsten Tagen circa 31 Jugendliche zugewiesen, weshalb dringend neue Plätze der Jugendhilfeeinrichtung geschaffen werden müssen. Erste Konzepte der Unterbringung bei Pflegefamilien scheiterten, da die betroffenen „Eltern“ zwar hoch kompetent waren, das Ausmaß der Traumata ihrer Schützlinge aber wohl unterschätzt hatten.

Ein Großteil der jungen Männer und Frauen stammt aus Afghanistan, Eritrea, Somalia und Syrien, einige aus Sierra Leone, Indien oder Bangladesh. Die Gründe für die Flucht sind beinahe immer gleich: Angst vor der konkreten Bedrohung als Kindersoldaten zwangsrekrutiert zu werden, Krieg, Armut, Misshandlung, sexueller Missbrauch, Genitalverstümmelungen und so weiter.

Von überfüllten Grenzjugendämtern nach Bamberg

Doch bevor die umF nach Bamberg kommen, haben sie meist auch schon einen langen Weg innerhalb Deutschlands hinter sich. Oft werden sie in Zügen von der Bundespolizei kontrolliert und – da sie in der Regel keinen Pass mehr besitzen – in Gewahrsam genommen. Nach vielen Formalitäten gelangen sie dann in eine Obhutnahmestelle, später in eine Jugendhilfeeinrichtung – unter anderem in Bamberg. Ein Großteil der Flüchtlinge wird der Domstadt aber von der Regierung Oberfranken formell zugewiesen, da die grenznahen Jugendämter restlos überlastet sind.

Viele umF kommen auf dem Landweg über den Ostblock nach Deutschland. In der Region Passau und Regensburg kommen täglich wohl bis zu 60 von ihnen an, erzählt Christine Behringer-Zeis. Auch Rosenheim, München und Fürth sind stark betroffen, an der Autobahn A8 werden wohl viele Flüchtlinge von Schleppern oder Fernbussen an den Raststätten abgesetzt. Ein Gerücht besagt gar, dass im Eurozug von Rom nach Innsbruck kurz vor der Ankunft am österreichischen Zielort alle Türen verriegelt würden und am Bahnhof dort alle dunkelhäutigen Personen kontrolliert würden. Nur selten melden sich asylsuchende Jugendliche direkt bei Polizei oder Jugendamt der Domstadt.

Die Verteilung der umF auf die einzelnen Bundesländer wird durch den "Königsteiner Schlüssel" ermittelt, der sich zu zwei Dritteln aus dem Steueraufkommen und zu einem Drittel aus der Bevölkerungszahl der Länder zusammensetzt. Derzeit werden weiter rund 8,4 Prozent aller in Bayern aufgegriffenen jungen Flüchtlinge Oberfranken zugewiesen, hiervon wiederum 7,4 Prozent der Stadt Bamberg.

In Bamberg wohnen

Alle umF durchlaufen direkt nach ihrer Ankunft hier ein Kurzscreening - eine Erstuntersuchung mit Blutentnahme - um mögliche ansteckende Krankheiten, Befälle oder Verletzungen festzustellen. Anschließend erhalten sie entweder einen regulären Platz in einer Jugendhilfeeinrichtung oder werden erst einmal zur Inobhutnahmestelle Pettstadt gebracht, wo sie essen, duschen und sich nach einem Erstgespräch zur Alterseinschätzung etwas ausruhen können. In den kommenden drei Tagen wird in einem Gespräch die Fluchtgeschichte zu ergründen versucht, was später wichtig für einen möglichen Asylantrag ist. Außerdem erfolgt ein Antrag an das zuständige Familiengericht für die Errichtung einer Vormundschaft, wie ihn beispielsweise Fachverbände wie der Sozialdienst Katholischer Frauen e.V. übernehmen sowie die Suche nach einem Platz in einer Jugendhilfeeinrichtung.

Träger dieser sind beispielsweise das Don Bosco Jugendwerk, das Kolping Bildungswerk, der AWO Kreisverband Bamberg e.V. und die Caritas Kinder- und Jugendhilfe St. Marien. Zusammen stellen diese aktuell 95 Plätze zur Verfügung, benötigt werden vermutlich aber bald 113. Die Jugendlichen wohnen dort in Einzel-, Zwei- oder Dreibettzimmern und werden von pädagogischem Fachpersonal unterstützt – zum Beispiel bei der Traumabewältigung. Ein Problem ist jedoch, dass es viel zu wenige Therapeuten in den jeweiligen Muttersprachen der jungen Flüchtlinge gibt.

Welche Schule ist die richtige?

Ein mehrmonatiger Sprachintensivkurs, der derzeit überwiegend von der Volkshochschule Bamberg Stadt und Land ausgerichtet wird, ist daher unabdingbar. Während jene vor drei Jahren anschließend noch die allgemeinbildenden Schulen besuchten, werden heute alle Jugendlichen ab 16 Jahren an der Berufsschule Bamberg unterrichtet, Jüngere werden vom Staatlichen Schulamt oft sogenannten "Übergangsklassen" zugewiesen. Nicht nur die vorhandenen und entwickelten Sprachkenntnisse unterscheiden die Gruppen, sondern auch Vorwissen und Intelligenz. Manch einer von ihnen hat in seinem Heimatland nur zwei oder drei Jahre eine Schule besucht, andere werden in Bamberg gar ihr Abitur absolvieren.

Wie es dann weitergeht, ist unklar. "Ich schätze, dass rund die Hälfte der umF hier bleiben werden, weil sie hier schon Lehrstellen und Freunde gefunden haben. Für andere wird Bamberg eine Durchgangsstation sein", vermutet Christine Behringer-Zeis. Sie empfindet diese jungen Menschen als große Bereicherung für die Bamberger: "Das sind Teenager! Gerade in den Praktika, aber auch im Alltag zeigen sie sich sehr interessiert, höflich, lernwillig, hilfsbereit und freundlich. Bis auf ein, zwei Fälle, in denen religiöse Riten nur schwer in den Tagesablauf zu integrieren waren, gibt es keinerlei Probleme." Um den Alltag bestmöglich zu meistern, leisten umF zum Beispiel auch ein Verkehrssicherheitstraining auf dem Fahrrad und einen Schwimmkurs ab oder werden in den Baderegeln in ihrer Muttersprache unterwiesen.

Vorurteile gibt es dennoch, obwohl etwa auch Gespräche mit den Nachbarn stattfinden, wenn eine neue Asylunterkunft bezogen wird. Manche Bürger sorgen sich etwa um eine Haftpflichtversicherung, wenn ein kleiner Unfall von einem Flüchtling verschuldet wird – unbegründet. Sie sind haftpflichtversichert. Andere befürchten, dass sie die Aufnahme der jungen Menschen "aus eigener Tasche" bezahlen müssen:  Das Taschengeld, das die Jugendlichen erhalten, sowie die Kosten für Medikamente, den Sprachkurs, Versicherungen, etc. finanziert die Jugendhilfe vor, bevor sie von überörtlichen Trägern erstattet werden.

"Wir können kaum Schritt halten", Christine Behringer-Zeis

"Die Ängste der Bürger sind manchmal eine Hürde auf dem Weg zur erfolgreichen Integration, aber auch eine optimale Infrastruktur. Schulplätze und Lehrerpersonal – gerade im Bereich Deutsch als Fremdsprache und erfahrene Pädagogen – sind schwer zu finden. Wir kommen mit der Flut der Flüchtlinge kaum hinterher. Wir können kaum Schritt halten." Natürlich gibt es aber auch finanzielle Grenzen. Oberbürgermeister Andreas Starke hatte im vergangenen Jahr bereits zu Spenden für Sprachkurse oder Fahrräder aufgerufen.

Konkret helfen kann man natürlich finanziell, aber auch indem man den umF angstfrei und interessiert gegenübertritt. Sogenannte „Integrationspaten“ helfen bei Sprachproblemen, Freizeitgestaltung und anderen Herausforderungen. Musiker bieten beispielsweise auch kostenlosen Instrumentalunterricht an.

Keine Kommentare