Bayern wird Wolfsland: Gefahr oder Zeichen für intakte Natur?
24.9.2017, 05:57 UhrFür Naturschutzverbände war es nur eine Frage der Zeit, bis im Freistaat die ersten Jungwölfe gesichtet würden. Vor einigen Wochen gelang dies schließlich mit Hilfe von Wildtierkameras: Im Bayerischen Wald gibt es den ersten Wolfsnachwuchs in freier Natur seit rund 150 Jahren.
Gefährliche Bestie oder Inbegriff einer intakten Natur? Artenschützer begrüßen die Ausbreitung des einst ausgerotteten Canis lupus euphorisch und fordern ein verbessertes Wildtiermanagement mit entsprechenden Entschädigungszahlungen bei Rissen durch den Beutegreifer.
Diffuses Unbehagen
Menschen, die in Wolfsgebieten leben, sind dagegen verunsichert. Sie beschleicht ein diffuses Unbehagen, wenn sie nur daran denken, in Wald und Flur einem Wolf über den Weg zu laufen. Auch in der Region wurden wiederholt durchziehende Einzeltiere gesichtet. Von gefährlichen Begegnungen oder gar Attacken durch das Raubtier ist aber bisher nichts bekannt. Dennoch überlegen Landwirte, ob ein Elektrozaun zum Schutz ihrer Weidetiere ausreicht, Wanderschäfer schaffen sich Herdenschutzhunde an.
Zwar ist der streng geschützte Wolf in Deutschland bislang unantastbar. Doch die Stimmung schlägt in manchen Gegenden um. Der Bauernverband stemmt sich gegen eine ungezügelte Verbreitung des Wolfs, verlangt eine Bestandsregulierung und wolfsfreie Zonen. Man müsse auch an das Sicherheitsgefühl der Menschen in ländlichen Regionen denken.
Aus der Politik sind ebenfalls neue Töne zu hören. Wölfe notfalls abschießen zu dürfen, fordert Bayerns Agrarminister Helmut Brunner wie sein Berliner Amtskollege Christian Schmidt (beide CSU). Einen entsprechenden Antrag stellte erst kürzlich in Sachsen der Bautzener Landrat Michael Harig. Der CDU-Politiker hat vor allem das sogenannte Rosenthaler Rudel im Visier, das seit 2013 bei rund 60 Übergriffen 181 Nutztiere getötet oder verletzt haben soll.
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Die schweren Verluste durch dieses Rudel trieb Landwirte und Schäfer auf die Barrikaden. Viele sehen auch ihre Existenz bedroht. "Wir bauen mittlerweile Festungen für unsere Tiere, und trotzdem nehmen die Wolfsangriffe zu", klagte Carola Tuschmo aus Neschwitz bei einer Demonstration in Bautzen. Und Uwe Wiedmer fügte laut der Bauernzeitung hinzu: "Wie in Rumänien muss ich selbst bei der Herde übernachten".
Aus Polen in die Oberlausitz eingewanderte Wölfe hatten im Jahr 2000 erstmals wieder in Deutschland Fuß gefasst. Inzwischen leben in Sachsen über 200 dieser Raubtiere in 15 Rudeln. Dass sich die Population in Deutschland rasch ausdehnt, hat mehrere Gründe: Wölfe passen sich ihrer jeweiligen Umgebung flexibel an, sind gut genährt und ausdauernde Wanderer. Und sie vermehren sich stark — ihre Zahl wächst von Jahr zu Jahr um rund ein Drittel.
Nicht auf Wildnis angewiesen
"Wölfe sind nicht auf unberührte Wildnis angewiesen", sagt Raoul Reding, Wolfsbeauftragter der Landesjägerschaft in Niedersachsen. Die Tiere hätten keine natürlichen Feinde. "Was sie brauchen, ist Nahrung und Platz für die Aufzucht der Jungen". Dies fänden die "sehr mobilen und mit einer hohen Reproduktionsrate ausgestatteten Tiere" auch in unserer Kulturlandschaft. "Der Tisch ist reich gedeckt", meint Reding.
Dabei ist auch für andere Wolfsexperten klar: Wenn Wölfe Nutztiere reißen, ist das alles andere als unnatürlich. Das Raubtier nutzt nur eine günstige Gelegenheit, um an Nahrung zu kommen. Problematisch ist die Lernfähigkeit von Wölfen, die schnell erkennen, dass ungeschützte oder nicht ausreichend geschützte Schafe oder Ziegen deutlich leichter zu erbeuten sind als Wildtiere.
Auch in Niedersachsen hat die Ausbreitung der Wölfe rasant Fahrt aufgenommen. Auf 140 Tiere schätzt Reding die Population in dem Bundesland. 2016 seien bei 68 dem Wolf zuzurechnenden Attacken insgesamt 179 Nutztiere auf der Strecke geblieben. Sogar ausgewachsene Rinder werden inzwischen gerissen, klagt der Deutsche Jagdverband (DJV). Die Bestandsentwicklung werde völlig unterschätzt: "Eine Verdoppelung alle drei Jahre ist derzeit realistisch."
In einer Umfrage wollte die Hannoversche Allgemeine Zeitung unlängst von ihren Lesern wissen: "Die CDU will im Fall eines Regierungswechsels Wölfe zum Abschuss freigeben — wie finden Sie das?" Artenschutz hat Vorrang, meinen mehr als die Hälfte der 3730 Stimmen und lehnten dies ab. Immerhin 26 Prozent wollen das "gefährliche Raubtier" aber abgeschossen wissen.
Dass die Akzeptanz für den Wolf dort dramatisch zurückgeht, wo er sich etabliert hat, ist bekannt. In manchen Gegenden wurden bereits Waldkindergärten geschlossen, haben Eltern Angst, wenn ihre Sprösslinge über einen Wiesengrund zur Schule oder zum Bahnhof laufen müssen.
Keine Scheu mehr
Laut DJV hat der Wolf keine genetisch verankerte Scheu vor dem Menschen. In der Lüneburger Heide, so berichten Ortsbewohner, ist der Wolf im Vorgarten keine Seltenheit. Von der Politik fühlt sich nicht nur Rainer Fabel längst im Stich gelassen.
Fabel ist FDP-Politiker im Kreis Uelzen und Landwirt im 100-Seelen-Ort Dörmte. Erst kürzlich sei ein Wolf morgens um halb acht seelenruhig durchs Dorf marschiert, vorbei an der Bushaltestelle, wo kurz zuvor noch Kinder auf den Schulbus warteten. Ein Nachbar sei leidenschaftlich gerne und oft durch den Wald gejoggt. Fabel: "Das macht er jetzt auf dem Laufband im Keller".
Das kann es nicht sein, meint der Bauer. Menschen, die verunsichert sind, gehe ein Stück Lebensqualität verloren. In Wolfsgebieten bleibe ein Restrisiko, das vielleicht verschwindend gering, aber durchaus real sei. Auf YouTube ist Zigfach zu sehen, wie Wölfe ungerührt über Felder traben und Wanderer neugierig beäugen.
"Ich bin kein Wolfshasser", betont Fabel, der nicht für eine Ausrottung, sondern für eine Bestandsregulierung plädiert. Vor allem aber "müssen die Wölfe wieder Respekt vor den Menschen bekommen".
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