Die Kehrseite der Medaille

Bizarre „Säuberungsaktion“ für die Olympischen Spiele: Tausende Obdachlose aus Paris vertrieben

Elinor Kotzott

Volontärin

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5.6.2024, 16:29 Uhr
Geflüchtete, Obdachlose und andere Minderheiten werden aus Paris und Umgebung verbannt (l.), damit die Stadt für die Olympischen Spiele 2024 "im bestmöglichen Licht" erscheinen kann.

© IMAGO/ABACAPRESS/ZUMA Press Wire Geflüchtete, Obdachlose und andere Minderheiten werden aus Paris und Umgebung verbannt (l.), damit die Stadt für die Olympischen Spiele 2024 "im bestmöglichen Licht" erscheinen kann.

Unter den Vertriebenen seien Menschen, die die Machthaber als unerwünscht betrachten, schreibt der "Guardian" unter Berufung auf das Aktivistenkollektiv "Le Revers de la Médaille" (dt. die Kehrseite der Medaille). Dazu würden etwa Asylsuchende, Sexarbeiter, Obdachlose, Drogenabhängige, aber auch Familien und Kinder gehören, die sich bereits in einer prekären und verletzlichen Situation befänden, so das Kollektiv.

Die Polizei entferne diese Menschen aus ihren vertrauten Netzwerken, in denen sie etwa lebenswichtige Gesundheitsversorgung und Unterstützung erhalten könnten. Die Vertreibungen und die Räumung von Zeltlagern in und um die Stadt hätten sich seit April letzten Jahres intensiviert; knapp 13.000 Menschen seien innerhalb der letzten 13 Monate vertrieben worden.

Paul Alauzy, Koordinator für Gesundheitsüberwachung bei Médecins du Monde, warf den Behörden eine "soziale Säuberung" der am stärksten gefährdeten Bevölkerung der Stadt vor, damit Paris während der Olympischen Spiele "im bestmöglichen Licht" stehe. Die Menschen würden zu provisorischen regionalen Zentren gebracht, die 2023 als kurzfristige Lösung des Problems eingerichtet worden waren. "Sie kehren das Elend unter dem Teppich", sagte er.

Die Wurzel der Probleme: Akute Wohnungsnot

Das Problem hat seine Ursache in der Wohnungsnot, die in Frankreich herrscht. Laut Kollektiv fehlen in ganz Frankreich mindestens 20.000 Wohnungen, 7000 davon allein in der Region Île-de-France. Nur damit könne eine langfristige Unterbringung der Obdachlosen sichergestellt werden. Das Pariser Rathaus habe einen Plan zur Bereitstellung von 1000 dringend benötigten Plätzen ausgearbeitet, der jedoch noch genehmigt werden müsse.

Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, sagte, das Rathaus habe die Regierung, die für Notunterkünfte zuständig ist, bereits vor Jahren darum gebeten, einen Plan zur Unterbringung der schätzungsweise 3600 Menschen vorzulegen, die auf den Straßen der Hauptstadt leben.

3600 Menschen schlafen auf der Straße

"Ich bin wütend, dass das der Stadt überlassen wird, denn das ist weder unsere Rolle noch unsere Verantwortung. Wir leisten bereits mehr als unseren Teil bei der Suche nach Notunterkünften für gefährdete Menschen, jede Woche bringen wir Familien in Heimen unter", so Hidalgo.

Auf einer Pressekonferenz im April sagte Pierre Rabadan, ehemaliger französischer Rugby-Nationalspieler und nun stellvertretender Bürgermeister, der für die Olympischen Spiele zuständig ist, das Problem sei die Zahl der Obdachlosen, die auf den Straßen von Paris leben, und nicht die Spiele. "Ich sage: Wir sollten nicht empört darüber sein, dass Menschen wegen der Olympischen Spiele verlegt werden müssen, sondern darüber, dass 3600 Menschen auf der Straße schlafen."

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