BLLV-Vorsitzende fordert "mehr Wertschätzung für Lehrer"
14.2.2020, 14:17 UhrFrau Fleischmann, immer wieder legen Sie den Finger in die Wunde, um zu zeigen, wo Bayerns Schulsystem nicht funktioniert. Wo haben Sie gelernt, so unbequem zu sein?
Simone Fleischmann: Ich war jahrelang Lehrerin und Schulleiterin. Dabei habe ich erlebt, wo Engpässe und Stolpersteine sind. Als Schulpsychologin habe ich mich um psychisch kranke Kinder gekümmert und erfahren, wie das Schulsystem sie an Grenzen stoßen lässt. Ich bin dann beim Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband eingestiegen, wo ich gelernt habe, dass es sich rentiert, in der Bildungspolitik Stolpersteine aufzuzeigen – und das mache ich sehr direkt.
Rentiert bedeutet?
Fleischmann: Wer auf Probleme hinweist, regt an, dass über Lösungen nachgedacht und an Lösungen gearbeitet wird.
Am Mittwoch haben Sie erklärt, Lehrer würden am Limit arbeiten. Was heißt "am Limit"?
Fleischmann: Der Lehrer soll Vieles leisten. Der Lehrplan gibt ihm vor, welches Wissen er wann vermitteln soll. Wenn es nur das wäre, würde ich nicht von Limit sprechen! Die Gesellschaft ist sich ziemlich einig, dass Schule mehr ist als Mathe, Deutsch und Chemie. Schule soll Kindern und Jugendlichen Alltagskompetenzen beibringen. Schule soll sie auf die Welt von morgen vorbereiten, in der teamfähige, agile und empathische Persönlichkeiten gesucht werden, die sich immer wieder neues Wissen aneignen. Die Schüler sollen Kenntnisse in der Informatik haben und politisch gebildet sind. Wann sollen die Lehrer diese Aufgaben erledigen? Diesen Anspruch und Druck spüren die Lehrer permanent. Es müsste klar definiert werden, was der Auftrag von Schule ist.
Wie viel Prozent der Lehrer befinden sich denn "am Limit"?
Fleischmann: Jeder Lehrer tickt anders. Es gibt Lehrer, die sich nicht kirremachen lassen und klar sagen, sie können nicht alle Aufgaben erledigen. Sie machen eben Abstriche. Es gibt aber auch Grundschullehrer, die tolle Projekte und Ausflüge mit den Kindern machen und die Experten in die Klasse holen etwa zum Thema Cybermobbing. Die Lehrer werden auch von Eltern auf Angebote außerhalb der Schule hingewiesen, die doch toll wären für ihre Kinder. Die Bedürfnisse überfordern die Lehrer, die nicht wissen, was sie zuerst machen sollen.
Experten empfehlen, bei schlechten Noten besonnen zu reagieren
Das ist aber doch eine Frage der Priorisierung. Noch einmal die Frage: Wie viel Prozent der Lehrer sind "am Limit"?
Fleischmann: Wie viel es sind, kann ich nicht genau sagen. Das hängt stark von der Schulart ab oder von der Altersstufe der Kinder. Ein Lehrer, der jetzt nicht am Limit ist, kann es im nächsten Jahr sein, weil sich die Klasse oder der Stundenplan geändert haben.
Müssen Grundschullehrer eine Woche mehr unterrichten?
Weil Lehrer fehlen, will Kultusminister Michael Piazolo, dass Lehrer an Grundschulen künftig eine Stunde pro Woche mehr unterrichten. Das hat viele Lehrer erzürnt. In anderen Branchen sind Überstunden jedoch Alltag. Niemand würde deswegen öffentlich protestieren.
Fleischmann: Ich habe viele Reaktion gelesen, die den Tenor hatten: Die Lehrer sollen mit dem Jammern aufhören. Den Lehrern geht es doch nicht um die eine Stunde Mehrarbeit. Das ist eine verkürzte Diskussion, denn die Stunde Mehrarbeit ist eine von vielen Maßnahmen. Zu diesen zählt auch, dass Lehrer nicht so früh in Rente gehen dürfen, wie sie geplant haben und auch kein Sabbatjahr mehr möglich ist. Es ist selbstverständlich, in Krisensituationen wie jetzt, wo Lehrer fehlen, zusammenzuhalten und auszuhelfen. Es fehlt aber nicht nur ein Schuldeingeständnis des Kultusministeriums, sich verplant zu haben, sondern auch eine Wertschätzung der Arbeit der Lehrer.
Das Schreiben des Kultusministeriums an die Lehrer von Grund- und Mittelschulen, das die einzelnen Maßnahmen auflistet, enthält Worte der Wertschätzung.
Fleischmann: Das ist richtig. Nur haben viele Lehrer von den Maßnahmen zuerst aus den Medien erfahren. Im Vergleich mit den anderen Schularten haben Grundschullehrer schon jetzt die meisten Unterrichtsstunden, aber die geringste Vergütung. Die Klassen von Grundschullehrern weisen die höchste Heterogenität auf. Sie müssen die Integration stemmen, die Inklusion und die Digitalisierung. Es geht um die Anerkennung dieser Arbeit in der Gesellschaft.
Zum nächsten Schuljahr fehlen 1400 Lehrer
Anderen Branchen geht es ähnlich. Auch Polizei und Feuerwehr beklagen die fehlende Würdigung.
Fleischmann: Stimmt, das macht die Situation nicht besser und löst auch nicht das Problem. Es fehlen zum nächsten Schuljahr 1400 Lehrer. Es sind nun die Grund- und Mittelschullehrer, die mit den vier Notmaßnahmen konfrontiert sind. Diese werden übrigens nicht reichen, damit zum Beginn des nächsten Schuljahres vor jeder Klasse ein Lehrer steht. Es braucht noch weitere Maßnahmen.
Warum gibt es so wenig Grundschullehrer?
Fleischmann: Die Arbeitsbedingungen und die Besoldung sind nicht attraktiv genug. Der Lehrer hat immer mehr Aufgaben zu bewerkstelligen, die Eltern und die Gesellschaft ihm auferlegen. In der Lehrerbildung haben wir eklatante Fehlentwicklungen, weil manche Kompetenzen nicht ausgebildet werden – zum Beispiel beim Thema digitale Lernwelt.
Auch hier geht es Arbeitnehmern in anderen Branchen ähnlich. Sie müssen sich das Wissen selbst beibringen.
Fleischmann: Ja, aber sie müssen es nicht sofort 26 anderen vermitteln. Das Studium bereitet nicht ausreichend auf den Beruf vor.
Kultusminister Piazolo hatte erklärt, alle Maßnahmen sollen "vorübergehend" sein. Haben Sie ihn schon gefragt, wie er vorübergehend definiert?
Fleischmann: Bis 2025 fehlen im Bereich der Grund-, Mittel- und Förderschulen Lehrer. Die Schülerzahlen steigen und es rücken nicht so viele Absolventen nach als Lehrer in Rente gehen. Vor diesem Hintergrund bedeutet für mich vorübergehend, dass die Maßnahmen sich über die nächsten fünf Jahre erstrecken. Vorübergehend ist eine Strategie, damit der Aufschrei unter den Lehrern nicht ganz so groß ist.
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