Bundespräsident: Vorbehalte gegen AstraZeneca-Impfstoff sind "Luxusproblem"
25.2.2021, 16:26 UhrDass der Start der Impfkampagne alles andere als perfekt verlaufen ist, weiß auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Zum Auftakt eines gut einstündigen Videogesprächs mit zwei Medizinern und zwei Pflegekräften aus Bayern erinnerte Steinmeier bei allem Unmut über zu wenige zur Verfügung stehende Vakzine-Dosen aber auch daran, dass vor neun Monaten noch überhaupt nicht damit gerechnet werden konnte, dass zum jetzigen Zeitpunkt wirksame Impfstoffe zur Verfügung stehen.
"Eine Tatsache sollten wir nicht vergessen: Die Impfungen bringen die Wende im Kampf gegen die Pandemie", so Steinmeier zu Beginn des Regionalgesprächs.
Regelmäßige Konferenzen
In den letzten Wochen und Monaten hatte sich der Bundespräsident bereits mit Bürgerinnen und Bürgern anderer Bundesländer in Videokonferenzen über die Pandemie ausgetauscht.
"Jede einzelne Impfung bringt uns dem Alltag, nach dem wir uns sehnen, näher. Jeder Pieks ist ein kleiner Schritt heraus aus der Pandemie", so Steinmeier. Schneller zu impfen sei deshalb "das Gebot der Stunde."
Alle von der Europäischen Arzneimittel-Agentur genehmigten Impfstoffe seien wirksam und verträglich. Deswegen habe er auch kein Verständnis für Vorbehalte gegenüber dem ein oder anderen Impfstoff.
Steinmeier: "Das ist ein Luxusproblem"
"Das ist ein Luxusproblem", so Steinmeier. Zumal mit Blick auf viele Millionen Menschen, die noch auf die ersten Dosis warten oder in anderen Ländern überhaupt keine Aussicht darauf hätten, in diesem Jahr noch geimpft zu werden.
Auch Michael Hubmann, der seit zwanzig Jahren eine Kinderarztpraxis in Fürth hat und dort ärztlicher Leiter des Impfzentrums ist, kritisierte die Skepsis gegenüber dem Impfstoff von AstraZeneca.
"99 Prozent der Weltbevölkerung" würden sich wünschen, überhaupt eine Wahl zwischen verschiedenen Vakzinen zu haben.
Dennoch müsse es eine individuelle Entscheidung bleiben, sich impfen zu lassen, oder nicht. Nötig sei eine Herdenimmunität, dann könne es auch toleriert werden, wenn sich ein kleiner Teil der Bevölkerung gegen eine Impfung ausspricht.
Impfstau in Deutschland: 1,2 Millionen Dosen Astrazeneca ungenutzt
Mit guten Argumenten und emotionaler Ansprache seien die meisten Menschen zu überzeugen, das müsse das Ziel sein.
Beeindruckt von der "Dankbarkeit der Über-80-Jährigen"
Beeindruckt sei er von der "Dankbarkeit der Über-80-Jährigen", wenn sie geimpft werden, so Hubmann. "Wir nehmen immer die wahr, die laut und draußen sind und nicht diejenigen, die zuhause und leise sind."
Seit letztem Donnerstag habe man alle Bewohner von Altenheimen in Stadt und Landkreis Fürth mit einer zweiten Dosis versorgt.
Aktuell bestehe die "Herkulesaufgabe" nicht in der Impfung an sich, sondern in der "großen logistischen Herausforderung", etwa dem Datenabgleich zwischen Arztpraxen, Impfzentren und den Online-Registrierungen beim bayerischen Impfportal.
Jetzt sei "eine Stabilität in der Lieferkette" nötig, so Hubmann. Dann sei eine stabile Impfprognose möglich. "Die Menschen brauchen Verlässlichkeit."
Zilli Wagner, Altenpflegerin beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Forchheim, berichtete Steinmeier vor allem von dem mit der Pandemie schwierig gewordenen Arbeitsalltag.
Aufgrund der Kontaktbeschränkungen und dem Besuchsverbot müsse sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen "die soziale Betreuung der Angehörigen mit übernehmen."
Stolzenberg: "Einsamkeit ist ein großes Thema"
Sie kümmert sich vor allem um Menschen mit körperlicher oder psychischer Behinderung. "Ihnen das begreiflich zu machen, warum kein Besuch kommen darf, war schwierig", so Wagner. "Die Menschen dürfen nicht vereinsamen."
"Einsamkeit ist ein großes Thema", erklärte auch Gerhard Stolzenberg gegenüber Steinmeier. Unsicherheit, Ängste um Arbeit und Familie und auch Depressionen hätten stark zugenommen, so der Krankenpfleger an einer Münchner Tagesklinik.
Von Skepsis gegenüber einer Impfung sowohl im Patienten- als auch im Kollegenkreis berichtete auch Stolzenberg. Ebenso wie Michaela Hutzler, Medizinische Direktorin der Kliniken Nordoberpfalz AG in Weiden.
In den Köpfen festgesetzt
"Leider haben wir auch die Debatte über AstraZeneca", so Hutzler. In einigen Köpfen habe sich festgesetzt, dass der Impfstoff schlechter als andere sei, weshalb es auch zu Absagen von Impfterminen gekommen ist.
Hier können Sie Ihre Meinung zur Corona-Krise kundtun oder sich mit anderen Usern zum Thema austauschen. Alle Artikel zu Corona haben wir zudem für Sie auf einer Themenseite gesammelt.
Dabei sei Tirschenreuth aktuell wie auch bereits während der ersten Pandemiewelle ein Corona-Hotspot, die Stationen durchgehend mit Covid-19-Patienten belegt, von denen viele beatmet werden müssten.
Dennoch machten sich die Impfungen inzwischen bemerkbar, weil deutlich weniger Patienten aus Pflegeheimen aufgenommen werden müssten und das Durchschnittsalter der zu Behandelnden gesunken sei, was auch zu kürzeren Liegezeiten und damit zur Entlastung auf den Stationen führt.
Mehr Impfstoff nötig
Nötig sei jetzt mehr Impfstoff, sagte Hutzler wiederholt, die nach eigenen Angaben im Jahr 2020 "keinen einzigen Tag Urlaub" nehmen konnte. Aktuell seien 973 von 3000 Klinik-Mitarbeitern geimpft. "Ich wäre gerne viel schneller", so Hutzler, die auch auf die angespannte finanzielle Lage der Kliniken aufmerksam machte. "Lassen Sie uns bitte nicht im Stich", so Hutzler gegenüber dem Bundespräsidenten.