Der Fall Horst G.: Im Alleingang gegen die Mächtigen

4.1.2014, 16:14 Uhr
Der Fall Horst G.: Im Alleingang gegen die Mächtigen

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Es ist eines der vielen Telefonate mit Horst G. Der ehemalige Polizist hat sich wieder zornig geredet und fragt: „Was hätten Sie denn getan an meiner Stelle?“

Tja, was? Hätte man selber die Kraft gefunden, jahrelang gegen Versicherungen anzukämpfen, Schmerzensgeld einzufordern? Vor allem aber: Wäre es einem wie Horst G. möglich gewesen, Politiker aller Fraktionen bis hinauf zur Bundesjustizministerin auf sich aufmerksam zu machen, an Abgeordnete und Referenten im Bundestag, an Juristen, Pressesprecher, Unternehmensvorstände und Journalisten heranzukommen, sie zu bearbeiten, bis sie einem zuhören? Alleine Gesetzesänderungen zu erwirken?

Die Geschichte von Horst G. beginnt im September 2003. Der privat versicherte Polizist leidet an einer akuten, eitrigen Entzündung der Nasennebenhöhlen. Die linke Kieferhöhle ist voller Sekret (akute eitrige Sinusitis maxillaris). Es ist eine äußerst schmerzhafte und alles andere als ungefährliche Erkrankung.

In der Klinik Vilshofen wird ihm gesagt, er müsse sich stationär behandeln lassen. Er stellt bei der Barmenia Krankenversicherung und auch bei seiner Allianz-Zusatzversicherung den Antrag auf Vorabzusage der Kostenübernahme für eine Chefarztbehandlung in der Schweiz.

Das hat einen Grund: Weil er Allergiker ist, Vorerkrankungen und eine Medikamentenunverträglichkeit hat, hatte Horst G. am 24. September 2003 beim damaligen medizinischen Servicezentrum der Allianz, der MD Medicus GmbH, nach einer Klinik mit ganzheitlichen Heilmethoden gefragt. In der Antwort heißt es, dass es eine solche Klinik in Deutschland nicht gibt und nur die Paracelsusklinik in St. Gallen oder die Aeskulap Klinik am Vierwaldstätter See „zu biologischen Heilverfahren auch noch ganzheitliche Zahnheilkunde anbieten“.

Doch bei der Barmenia wird der Antrag von Horst G. anders beurteilt, wie aus Gerichtsakten hervorgeht. Aus den vorgelegten Unterlagen würde nur die Notwendigkeit einer ambulanten Behandlung hervorgehen, schrieb die Assekuranz am 30. September an G.

Hickhack um die Kosten

Am 2. Oktober folgt ein weiteres Schreiben. Es wird die Kostenübernahme für die ambulante Behandlung zugesichert und eine Überprüfung der medizinischen Notwendigkeit für den Klinik-Aufenthalt. Es geht weiter hin und her. Erst am 5. Dezember erfolgt die Zusage für den Klinikaufenthalt in der Schweiz, die Zusatzversicherung bestätigt ebenfalls die Kostenübernahme. Horst G. wird operiert.

Zu spät. Er leidet an schwersten gesundheitlichen Folgeschäden, ist arbeitsunfähig und beginnt seinen langen Kampf. Bittet man die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger heute darum, diese Anstrengungen einzuordnen, fällt dieser Satz: „Horst G. hat klare Akzente in der deutschen Rechtsprechung gesetzt.“ So hat es auch einmal der emeritierte Dortmunder Rechtsprofessor Wolfgang Schünemann gesehen. Ebenso der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Wolfgang Nescovic.

Auf der Homepage des in diesem Jahr unerwartet verstorbenen FDP-Politikers und Justizstaatssekretärs Max Stadler findet sich heute noch ein Lob für den „hartnäckigen Bürger aus Ostbayern“. Auch Christoph Strässer, Sprecher der Arbeitsgruppe Menschenrechte der SPD-Bundestagsfraktion, würdigt Horst G. als einen Bürger, der „engagiert im Aufzeigen von Gerechtigkeits- und Gesetzeslücken“ ist und sich „durch eine Reihe von Petitionen erfolgreich“ für Gesetzesreformen eingesetzt hat.

Hierbei geht es vor allem um den Paragrafen 522 Absatz 2 der Zivilprozessordnung (Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss). Dort ist geregelt, dass eine Berufung schriftlich abgelehnt werden darf, wenn diese nach Ansicht der Richter keine Aussicht auf Erfolg hat. Ursprünglich sollte diese Regelung die Gerichte entlasten. In der Praxis folgt daraus aber, dass gerade komplizierte Fälle regelrecht aussortiert wurden, ohne dass die Kläger gehört werden, was Rechtsexperten immer wieder anprangerten.

Dieser Praxis schreibt es Horst G. zu, dass er mit seiner Klage gegen die Versicherungen nicht durchgedrungen ist. Erst scheitert zuerst vor der 3. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg im August 2007. Zwar erringt er einen Teilsieg im Verfahren zur fristlosen Kündigung des Versicherungsvertrags durch die Assekuranz. Die Klage auf Schmerzensgeld aber wird abgeschmettert.

Es sei zweifelhaft, ob dem Kläger überhaupt ein Anspruch auf vorherige Leistungszusage zugestanden hat, urteilt unter anderem die Regensburger Zivilkammer. Der renommierte deutsche Rechtswissenschaftler und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats beim Bund der Versicherten, Hans-Peter Schwintowski, hielt das Urteil für höchst fragwürdig. Doch die Berufung Anfang 2008 am Oberlandesgericht Nürnberg wird zurückgewiesen.

Eigene Gutachten

Horst G. führt das darauf zurück, dass er selber durch die Anwendung des Paragrafen 522 in der Berufung nicht gehört wird und somit auch von ihm selber in Auftrag gegebene fachärztliche Gutachten nicht gewürdigt worden seien. So bleibt ihm auch der Weg zu einer Verhandlung in nächster Instanz beim Bundesgerichtshof versperrt. Horst G. schreibt daraufhin Petition um Petition. legt Verfassungsbeschwerde gegen den Paragrafen ein. Er scheitert, doch das Thema kocht in der Politik endgültig hoch.

2011 wird das Gesetz reformiert. Seitdem kann der Zurückweisungsbeschluss eines Gerichts angefochten werden. Auch eine Änderung des Versicherungsvertrags-Gesetzes geht mit auf das Engagement von Horst G. zurück: Bei drängender Heilbehandlung muss der Versicherer spätestens nach zwei Wochen Auskunft zur Kostenübernahme erteilen. Und auch die im neuen Koalitionsvertrag festgeschriebenen Pläne von Union und SPD zur Gewährleistung der Qualität gerichtlich beigezogener Gutachter und zum Staatshaftungsrecht will G. mit erwirkt haben.

Doch bisher hat ihm all das selber nicht geholfen. Horst G. drängt mit aller Macht darauf, dass sein Fall nochmals geprüft und aufgearbeitet wird, diejenigen, „die mein Leben zerstört“ und „das Recht gebeugt“ haben, sich vor Gericht verantworten müssen. Leutheusser-Schnarrenberger fürchtet, dass die Erfolgsaussichten nicht sehr groß sind und hadert damit, dass es für Betroffene wie ihn keinen Hilfsfond gibt. Zuletzt rügte G. vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Verletzung seines Grundrechts auf rechtliches Gehör. Auch diese Beschwerde wurde jedoch abgelehnt.

Horst G. ist inzwischen hoch verschuldet, sein Gesundheitszustand schlecht. Wer ihm etwas spenden wolle, sei willkommen, sagt er. Trotzdem will er nicht aufgeben, weitermachen, anrufen, drängen, fordern, wütend werden, auch laut.

Seine Akte hat er dem bayerischen Justizministerium geschickt, der SPD-Abgeordnete Christoph Strässer hat den Fall bereits im September an die deutschen Mitglieder der parlamentarischen Versammlung des Europarats weitergereicht — damit sich der EGMR doch noch mit G. beschäftigt.

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