Doppelmord-Prozess: "Du willst diese Hass-Liebe-Kombi"

3.3.2019, 05:56 Uhr
Im Januar durchsuchte die Polizei das Anwesen in Schnaittach (weißes Haus hinten), unter anderem auch die Garage samt Anbau, in dem die beiden Leichen entdeckt wurden.

© Udo Schuster Im Januar durchsuchte die Polizei das Anwesen in Schnaittach (weißes Haus hinten), unter anderem auch die Garage samt Anbau, in dem die beiden Leichen entdeckt wurden.

In vier Monaten, im Juni 2019, wird Ingo P. 27 Jahre alt – seinen 26. Geburtstag verbrachte er bereits hinter Gittern, Ende Januar 2018 wurde er festgenommen, fünf Wochen später hielt man ihn in der U-Haft in Ansbach für suizidgefährdet und verlegte ihn zeitweise in die psychiatrische Abteilung der JVA Würzburg. Wird er wegen Mordes an seinen Eltern verurteilt, kommt er kaum vor seinem 50. Geburtstag aus dem Gefängnis. Lebenslang bedeutet in Bayern fast 22 Jahre hinter Gittern, wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt, sind es 23 bis 25 Jahre.

Die Leichen im Anbau:

22. Januar 2018, 12.46 Uhr – diese Uhrzeit gilt als offizieller Zeitpunkt des Leichenfunds. Großeinsatz in der Hedersdorfer Straße 17 in Schnaittach, die Polizei war mit Bagger und Presslufthämmern im Einsatz. Als die Spürhunde anschlugen, bargen sie die Leichen von Peter (70) und Elfriede P. (66). Eingemauert in einem Vorsprung eines Anbaus an der Garage, eingelegt in Salz – wohl um zu verhindern, dass Blut aus dem Mauerwerk drang. Davor ein fein säuberlich geschlichteter Stapel Holz.

Mehr als ein Jahr später schildern Polizisten und Rechtsmediziner vor Gericht, dass in den Mündern der Toten Müllsäcke steckten, die Leiber in Malerfolie gewickelt, über die Köpfe Plastiktüten gestülpt worden waren. Rund um die Hälse war Klebeband gewickelt – später wies ein Daktyloskop des Landeskriminalamtes am Klebeband den Abdruck des linken Zeigefingers von Ingo P. nach und die Ermittler entdeckten noch viel mehr: Aus einer Werkstattgrube in der Garage holten sie Kleidungsstücke, eine Handtasche und eine Reisetasche, mehrere volle blaue Müllsäcke, eine Matratze und blutverschmiertes Bettzeug – darin eingewickelt jener Zimmermannshammer, der als Mordwaffe gilt. Die Identifizierung von Elfriede P. war später nur mit Hilfe einer DNA-Bestimmung möglich, zu schwer waren ihre Verletzungen am Kopf. Sie war im Bett liegend mit mindestens 15 Schlägen totgeprügelt worden – Abwehrverletzungen an ihren Unterarmen zeigen, dass sie in den letzten Sekunden ihres Lebens versuchte, ihr Gesicht zu schützen.

Die Nachbarschaft:

"Natürlich ist all dies schwer zu verkraften", so eine Zeugin vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth. Die Polizei riet den Anwohnern, sich auszutauschen – schließlich geht ohnehin keinem aus dem Kopf, was hinter der perfekten Fassade der Familie P. passiert ist.

Elfriede P., so schildern es mehrere Nachbarn, sei launisch gewesen, eine Frau, die manchmal zu einem Schwätzchen aufgelegt war und an anderen Tagen nicht einmal grüßte. Ordnung, so ist vor der Schwurgerichtskammer immer wieder zu hören, sei in ihrem Fall nicht nur das halbe Leben gewesen, sondern Lebensinhalt – jeden Morgen befreite sie das Gartenhaus von eventuellen Spinnweben und kehrte die Straße vor ihrem Anwesen. "Kontrollfreaks" seien Herr und Frau P. gewesen und Elfriede habe "das Regiment" geführt.


Welches Strafmaß ist angemessen?


Nachbarn, das wird in diesem Prozess deutlich, sind ein Paradox: Fast niemand kann sie sich aussuchen, doch sie kommen einem so nah wie kaum jemand sonst. So ist auch zu hören, wie übermäßig behütet Ingo P. aufwuchs, wie die Mutter ihren kleinen Bub immer begleitete – ob er im Garten spielte oder Rad fuhr. Die Nachbarn beschreiben ein Verhalten, das heute "Helikopter-Eltern" zugeschrieben wird: "Ingo war nie allein, selbst als er die Realschule in Lauf besuchte, hat ihn die Mutter gefahren oder ihn gar in der Pause besucht." Noch im Alter von 17, 18 Jahren trug er Hemd und kurzärmelige Weste, er lief herum wie eine Miniaturausgabe des Vaters. Als Stephanie eingezogen war, und die tägliche Kaffeetafel auf der Terrasse gegen 15 Uhr stattfand, stellten die Nachbarn mit Blick auf diese Familienidylle fest, dass all dies "aufgesetzt und inszeniert" gewirkt habe. Hat Ingo P., der als "dicker Ingo" gehänselt wurde und keine Freunde hatte, nie gelernt, einen Konflikt auszutragen und sich zu streiten?

Doppelmord-Prozess:

© Fotos: Ralf Rödel

Stephanie und Ingo P.:

"Du hast mich zum Mord getrieben", schreibt Ingo am 22. November 2017 an Stephanie – die Liebesbriefe, die sich beide gegenseitig in ihre U-Haft-Zellen schickten, ihre Handynachrichten und E-Mails, all dies wird verlesen. Denn bevor es zu der Bluttat mit dem Hammer kam, soll es im Herbst 2017 bereits zu zwei Giftanschlägen auf Mutter und Vater gekommen sein. Am Ende der Beweisaufnahme werden auch diese Dialoge in das Gesamtbild der Richter einfließen, um am Ende Antworten auf drängende Fragen geben zu können: Hat sich Ingo P. in der 23-Jährigen getäuscht? Mehrere Zeugen schildern, dass Elfriede P. gegen die Beziehung zu der damals arbeitslosen Kinderpflegerin war. Hatte der einsame Ingo endlich seine Herzdame gefunden und wollte sich nicht mehr reinreden lassen? Ist Stephanie, wie der Staatsanwalt meint, die Kraft hinter den Morden? Trieb Ingo die Gier nach dem Geld der Eltern? Ingo P. soll Stephanie am 14. Dezember gestanden haben, dass er in der vorangegangenen Nacht seine Eltern erschlug – und fest steht, dass er Anfang Januar das Wohnmobil der Eltern für 18.500 Euro zum Verkauf anbot und sich informierte, wie ihm am schnellsten das Elternhaus übertragen würde.

Eine toxische Beziehung?

Trifft die Anklage zu, heckten beide den Plan aus, Mutter Elfriede P. mit Rizinus-Samen zu töten – im Herbst 2017 mit einem vergifteten Muffin. Wochen später wurde der Mutter angeblich GBL in eine Tasse Kaffee gemischt – bei der Substanz "Gamma-Butyrolacton" handelt es sich um ein Lösungsmittel, das in Klebstoff steckt.

Doppelmord-Prozess:

© Fotos: Ralf Rödel

Nachdem Elfriede P. den Muffin verzehrt hatte, kämpfte sie mit Durchfall und Erbrechen. Sie suchte im Herbst 2017 ihren Hausarzt auf, doch der Mediziner bestätigt im Zeugenstand keine Vergiftungserscheinungen. In der Laufer Gegend hätten damals viele unter einem Magen-Darm-Infekt gelitten, sagt er, an Gift habe er nicht gedacht. Im Gegensatz zu Stephanie, die Ingo P. im November 2017 antwortet: "Ich habe gesagt, das geht zu weit." Dazu wirft sie Ingo vor, dass er sie halb erdrosselt habe. Ingos Antwort: "Du willst doch diese extreme Hass-Liebe-Kombi." Sie kontert: "Du hast eine extreme Gewalt in dir." Er: "Vielleicht hätte ich doch dir den Muffin geben sollen. Ein Fehler."

Schon im Sommer hatte er ihr per Mail einen Heiratsantrag gemacht, sie investierten 1000 Euro in Eheringe, und besorgten Nahrungsergänzungsmittel, die versprachen, den Kinderwunsch zu beschleunigen. In jener Zeit soll Elfriede P. Ingos Zukunftspläne als "Spinnerei" abgetan haben.

Liebesbriefe, Lügen und Gift:

Die Suchbegriffe, die Ingo und Stephanie P. bei ihren Internet-Recherchen wählten, spiegeln eine emotionale Achterbahn. Im Netz suchten beide nach giftigen Pflanzensamen, nach ihrer Verhaftung zuckte Stephanie nur die Achseln. Selbst wenn all das Zeug über ihre E-Mail-Adresse bestellt worden sei, sie wundere das nicht. Ingo P. habe ihre Passwörter gekannt. Noch aus der Haft schickte Ingo P. Liebesschwüre an Stephanie – doch der Ton hat sich längst geändert. "Du lügst eben immer wieder gern", warf er ihr vor, "siehe Prozessakte". Tatsächlich ist nun zu hören, dass sich die 23-Jährige kurz nach der Hochzeit im Internet über "Eheauflösung" informierte. Und am 31. Dezember – zwei Tage nach ihrem Jawort – meldete sie sich im Internet bei einem Flirtportal an. "Bist eh nicht treu", schrieb ihr Ingo. "Du liebst es, mich zu verarschen." Lügt Stephanie auch über ihre Beteiligung an dem Verbrechen? Sie behauptet, Ingo P. habe sie nach der Bluttat unter Druck gesetzt, ihr gedroht, sie und ihre Eltern zu töten, wenn sie ihn nicht deckt. Er habe sie geschubst und gewürgt – doch Wunden oder Verletzungen, die diese Geschichte belegen, hat Stephanie nicht, stellt eine Rechtsmedizinerin fest.