Ein Werk der Anteilnahme
29.7.2019, 18:58 UhrSchön erfuhr von diesen NS-Gräueln erstmals 1993 durch einen BR-Film. "Mir ist da fast die Luft weggeblieben", erzählt Peter Schön. Sein erstes Erschrecken darüber, dass ihm diese Geschichte so lange unbekannt bleiben konnte, münzte in eine nachhaltige Pflege der örtlichen Erinnerungsarbeit um.
Rund zehn Jahre hat der Hersbrucker an einem "Häftlingsbuch KZ Hersbruck" gearbeitet. Herausgegeben hat es der Verein Dokumentationsstätte Hersbruck, der kürzlich 20-jähriges Bestehen gefeiert hat. Er kümmerte sich besonders um die Verbindung zu Überlebenden. Gefördert hat das Buchprojekt unter anderem der Bezirk Mittelfranken.
In dem hochwertigen Band hat Peter Schön das Schicksal von 43 Häftlingen einfühlsam nachgezeichnet. Über der Geschichte eines jeden NS-Opfers stehen zunächst groß der jeweilige Name mit ein paar nüchternen biografischen Angaben, rechts daneben meist ein Foto. Wenn keines mehr zu finden war, bleibt die Stelle leer. Der Autor hat alte Akten ausgewertet, Gespräche mit Angehörigen ausgewertet, und, so fern sie noch lebten oder bis heute leben, Häftlinge befragt. Man merkt, dass es Peter Schön allein darum geht, diese Opfer bald 75 Jahre nach Kriegsende vor dem Vergessen zu bewahren. Man kann ihnen sozusagen direkt ins Gesicht schauen.
Ganz einfache Menschen aus der damaligen Tschechoslowakei, Polen, Italien, Slowenien, Frankreich oder Deutschland sind darunter, aber auch bekanntere wie der 1994 verstorbene Schriftsteller Bernt Engelmann. Im Kapitel "Andere Opfer" taucht tatsächlich auch ein Angehörige der SS auf. Schön hat ihn mit Bedacht aufgenommen.
Aussagekräftiger Bericht
Es geht um Hans-Friedrich Lenz, einen 1996 verstorbenen Pfarrer, Feldwebel der Wehrmacht und gegen Kriegsende der SS-Wachkompanie in Hersbruck überstellt. Lenz hat 1982 eine Biografie ("Sagen Sie, Herr Pfarrer, wie kommen Sie zur SS?") veröffentlicht. Diesem Bericht ist es mit zu verdanken, dass überhaupt so viel bekannt wurde über das, was im KZ Hersbruck geschehen ist.
Lenz wird in den Lebensberichten der Häftlinge in dem Buch oft erwähnt "und das immer im positiven Sinn", wie Schön anmerkt. Er nimmt Lenz als Beispiel dafür, wie junge Menschen in den Fängen der Nazi-Ideologie landen konnten. Der längste Beitrag im Häftlingsbuch ist Vittore Bocchetta gewidmet, einem inzwischen 100-jährigen Publizisten und Künstler. Er reichte 2003 Hersbruck die Hand zur Versöhnung und bot die Schaffung einer Skulptur am früheren KZ-Gelände an. Nach bitteren Diskussionen mit der Stadtverwaltung über Größe und Standort wurde das zwei Meter hohe Werk schließlich 2007 im Hersbrucker Rosengarten enthüllt.
Wie viele andere Städte tat sich auch Hersbruck sogar Jahrzehnte nach Ende der NS-Diktatur noch schwer mit der Aufarbeitung des Erbes dieser Zeit. Als vor allem die DGB-Jugend in den 1980er Jahren mit der Erforschung der Geschichte des KZ begann, gab es starke Abwehrhaltungen. 1983 wurde ein erster Gedenkstein enthüllt. Die Hersbrucker blieben der damit verbundenen Feier fast ausnahmslos fern.
Mit dem Abriss der früheren SS-Kommendatur und dem Neubau eines zentralen Finanzamtes sind die letzten sichtbaren Spuren des KZ-Außenlagers Hersbruck längst verschwunden. Erst seit 2016 gibt es einen Dokumentationsort, einen begehbaren Informationskubus. Dort scheinen in einer Projektion alle bekannten Namen der mehr als 9000 Häftlinge auf. Knapp die Hälfte starb unter den unmenschlichen Lagerbedingungen.
Peter Schön ist es wichtig, unter den vielen Millionen Opfern der NS-Menschheitsverbrechen einige mit ihrem ganz individuellen Schicksal herauszugreifen. So will er heute das Einfühlungsvermögen bei denen wachhalten, für die die NS-Zeit eine ferne Geschichte ist. Er versteht sein Werk nicht nur als Erinnerungs-, sonder auch als Lehrbuch.
Peter Schön: Häftlingsbuch KZ Hersbruck, Hersbruck 2019; Herausgeber: Dokumentationsstätte KZ Hersbruck e.V.; ISBN 978-3-9815005-1-6; 25 Euro
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen