Aus dem Tritt geraten
5.7.2013, 18:41 UhrWer es mit Hubertus Hilgers zu tun bekommt, gerät unter Umständen erst mal ein bisschen durcheinander. Bei der Vereinbarung eines Zeitpunktes für ein Treffen zum Beispiel. „Bis morgen um 16.30 Uhr im Café“, wird man vielleicht sagen. Und er wird antworten: „Ja, bis morgen um 15.30 Uhr.“
Wie bitte? Wann nun? Aufklärung ist schnell geschaffen. 16.30 Uhr sei die Sommerzeit — Ende März wurden die Uhren in Deutschland eine Stunde vorgestellt — , 15.30 Uhr die Normalzeit, sagt Hubertus Hilgers. Faktisch ist es das gleiche. Und tatsächlich: Das Treffen klappt, wir kommen gleichzeitig an, er um 15.30 Uhr, die Autorin dieses Artikels um 16.30 Uhr — jeder so, wie er eben tickt.
Richtig tickt nur, wer in der Normalzeit lebt, findet Hubertus Hilgers. Er ist nicht der Erste, der so argumentiert. Und er ist auch nicht der Erste, der diesbezüglich aktiv wird: Petitionen, die sich für eine Abschaffung der Sommerzeitverordnung stark machen, gab es bereits zuvor. Sie scheiterten, weil sich nicht genügend Unterstützer fanden. Diesmal werde das anders sein, meint der Initiator, die Zeichen der Zeit stünden günstig. Andere Länder hätten sich bereits umgestellt: Russland hat die Sommerzeitverordnung im letzten Jahr abgeschafft, die Türkei will dies im Herbst tun.
Keine Energieeinsparung
Längst habe sich gezeigt, dass sich mit der Sommerzeit keine Energie einsparen lasse, so Hilgers — dies war eines der Hauptargumente bei der Einführung. Und längst sei klar, dass die Zeitumstellung krank mache. Das beobachte er bei seinen Patienten. Und es sei wissenschaftlich belegt.
Hilgers verweist bei seiner Argumentation zum Beispiel auf den früheren Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie an der Fakultät für Klinische Medizin Mannheim. Björn Lemmer hat sich über die so genannten inneren Uhren geäußert, die die Körperfunktionen aller Lebewesen rhythmisch steuern. „Da die inneren Uhren biologische Nervenstrukturen sind, lassen sie sich nicht umstellen wie eine Armbanduhr“, zitiert Hilgers den Mediziner und Pharmakologen. Das bedeute, dass es bei der Zeitumstellung zu einer Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus’ komme. Till Roenneberg, Professor am Institut für Medizinische Psychologie der Ludwigs-Maximilians-Universität München, berichtet laut Hilgers in einer Studie darüber hinaus von einem deutlichen Anstieg an depressiven Verstimmungen, Schwankungen der Herzfrequenz, Konzentrationsschwäche, Gereiztheit, Appetitlosigkeit und Verdauungsproblemen. Der Erlanger Arzt zitiert den Münchner Biologen: „Das Argument, bei der Zeitumstellung handle es sich ,nur‘ um eine Stunde, trügt. Wir waren selbst überrascht, wie stark die Effekte sind.“
Auf das Konto der Sommerzeit schreibt Hilgers eine Reihe weiterer Dinge: eine Zunahme von Unfällen in den Sommermonaten, den signifikanten Anstieg von ADHS bei Kindern und Jugendlichen, eine erhöhte Infektanfälligkeit — und einen drastischen Anstieg von Wildunfällen. Hubertus Hilgers hat seine Petition für die Beibehaltung der Normalzeit am 23. Mai gestartet, bis 22. November kann man unterschreiben, bevor sie an den Deutschen Bundestag geht. 50.000 Stimmen werden benötigt, derzeit gibt es über 2300 Unterzeichner.
Das Gespräch im Café ist beendet. Hubertus Hilgers bestellt noch einen Kaffee beim Kellner. „Es ist gleich 18 Uhr, da machen wir zu“, sagt dieser. Hubertus Hilgers blickt auf seine Armbanduhr. „Stimmt nicht, es ist erst 17 Uhr“, sagt er. „In der Normalzeit.“ Der Kellner hat ein Einsehen. Zeit für einen letzten Kaffee.
Hier kommen Sie zur Petition.
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