Coronakrise: Erlanger sollen an die Nähmaschine
26.3.2020, 09:34 UhrSeit 2002 leitet Enno de Haan, 49, das Sozialzentrum der Arbeiterwohlfahrt in Erlangen-Büchenbach. 173 von 178 Plätzen sind in der Langzeit- und Kurzzeitpflege derzeit belegt – nicht nur durch Senioren, sondern auch durch Patienten, die an Multiple Sklerose erkrankt sind oder durch schwere Schädel-Hirnschädigungen Intensivpflege benötigen. "Ich erlebe derzeit die mit Abstand schwierigste Situation meines Arbeitslebens", sagt Enno de Hahn.
Alle Angestellten, so der Leiter der Einrichtung, sind sich der besonderen Fürsorgepflicht für die Bewohner und Patienten bewusst – allesamt gehören sie ja zur sogenannten Risikogruppe in der Coronakrise. Jeden Augenblick könnte der fürs bloße Auge unsichtbare Virus durch einen Bewohner oder einen Bediensteten ins Haus gelangen – egal, wie sorgfältig man versucht es zu verhindern. "Noch", sagt Enno de Hahn, "gibt es bei uns nicht einmal einen Verdachtsfall. Aber natürlich herrscht Verunsicherung, wie man mit leichten Erkältungssymptomen umgehen soll. Und auch die Frage, was auf uns zukommt im Falle eines Ausbruchs, sorgt für eine besondere Anspannung unter den Mitarbeitern."
Zwischen 35 und 100 Jahre alt
Die Bewohner selbst aber, zwischen 35 und bis zu 100 Jahre alt, gehen mit der schwierigen, für sie bedrohlichen Lage "erstaunlich positiv" um: In den vielen Gesprächen sei deutlich geworden, dass natürlich Ängste da seien, "aber keine extreme Anspannung herrscht", so de Haan. Zwar herrsche nach wie vor striktes Betretungsverbot, die Bewohner selbst aber dürfen unter Sicherheitsauflagen das Heim für Spaziergänge verlassen und auch innerhalb des Gebäudes wird niemand isoliert: "Wir haben aber strikte Anweisungen was den Abstand zueinander und auch was die Hygiene betrifft." Diese Anweisungen können sich in der dynamischen Situation täglich verändern – dazu steht der Einrichtungsleiter mit den übrigen elf Häusern und dem Bezirksträger im engen Austausch: "Wir desinfizieren und reinigen mehrmals täglich Türklinken und Handläufe, seit Freitag muss das Pflegepersonal nicht nur im engen Kontakt mit den Bewohnern stets Mundschutz tragen."
Letzteres hat die Einrichtung versucht, so lang es in der schwierigen Situation noch vertretbar war, zu vermeiden. Der Grund: Die Mundschutzreserven gehen rapide zur Neige. Die üblichen Bezugsquellen haben Liefernotstand. "Noch haben wir Einwegmundschutz in der Hinterhand", so de Haan, "aber bevor der ausgeht, wollen wir andere Wege gehen."
Männerhemden als Stoff
Waschbarer Mehrfachmundschutz soll nun überwiegend eingesetzt werden – und weil der nicht einmal über Umwege zu bekommen ist, startet die AWO Erlangen einen Aufruf an die Bevölkerung: Nach Anleitung soll aus einem dichten, aber atmungsaktiven Stoff wie etwa der von Männerhemden als Spende Mehrfachmundschutz genäht werden.
70 Exemplare hat die Fachbereichsleitung bereits in Heimarbeit hergestellt, auch die Mitarbeiter der trägereigenen Kindergärten wollen sich an die Nähmaschinen setzen. "Wir brauchen rund 1000 Exemplare", sagt Enno de Haan, da der Mundschutz aus Stoff schneller durchnässt und mehrfach pro Pflegeschicht und Mitarbeiter ausgetauscht werden muss. Etwa 200 Stück sind erst vorhanden. "Es wäre daher toll, wenn auch Leser der Zeitung uns unterstützen wollen – sollte am Ende unser Bedarf mehr als ausreichend gedeckt sein, würden wir selbstverständlich den nicht benötigten Mundschutz weitergeben an ähnliche Einrichtungen. Da sind wir sicher nicht die einzigen, die derzeit einen großen Bedarf haben."
Gut vorbereitet für den Ernstfall
Sollte es nicht gelingen, den Virus aus dem Pflegeheim heraus zu halten, ist die AWO auch vorbereitet: Schutzbrillen, Kittel und spezielle Masken liegen bereit und können im Bedarfsfall auch noch nachgeordert werden. "So schwierig die Situation auch ist", sagt Enno de Haan, "eine ältere Dame beruhigte mich kürzlich damit, dass die Zustände sie zwar ein wenig an die Zeiten des Krieges erinnern – aber sie bei Weitem noch nicht so schlimm seien." Das Wichtigste in dieser Situation, sagt de Haan auch, wollen sie sich sowieso nie nehmen lassen im Pflegeheim: "Wir schauen, dass wir auch weiterhin gemeinsam Lachen können."
Weitere Infos bei der AWO unter Telefon (09131)3070.
Der Awo-Landesverband appelliert außerdem an alle Handwerker/innen und Vereine, Atemschutzmasken vom Typ FFP2 oder FFP3 - falls vorhanden - Seniorenzentren und Ambulanten Diensten zur Verfügung zu stellen. "Schon drei Masken helfen, insgesamt drei Mitarbeiter/innen für den ganzen Tag auszurüstent", heißt es in einer Mitteilung.