„Cristiano Ronaldo der Erlanger Medizintechnik“
23.9.2016, 19:00 UhrOb er wohl den Weg zu einem erfüllten, von hoher Kompetenz und öffentlicher Anerkennung gezeichneten Leben gefunden hätte, wenn er nicht drei Tage nach seiner zweijährigen Verpflichtung wegen seiner Augenschwäche wieder aus der Bundeswehr ausgeschieden wäre? Oder in Zeitnot „absolut unsicher“ sich unter drei Optionen nicht für das Studium der Elektrotechnik entschieden hätte? Oder die Wette um 40 Flaschen Wein um die schnellste Promotion gewonnen hätte? Stattdessen baute er am Institut für physikalische Elektronik in Stuttgart die Bildverarbeitung aus, warb viele Forschungsprojekte ein und ließ sich dafür sieben Jahre lang Zeit für den Doktor-Titel.
Ähnlich sein Einstieg bei Siemens, 1983. Einen Tag Umschau in der Entwicklungsabteilung – und für ihn stand fest: „Nie und nimmer gehe ich zu diesem Verein – zu sehr administrativ und zu wenig dynamisch.“ Trotzdem brachte er einen Vorschlag, 14 eng beschriebene Seiten lang, mit der Darstellung innovativer Themenfelder ein. Das hinterließ offenbar gewaltigen Eindruck – und Reinhardt erhielt als Konzernneuling (!) den Auftrag, als Leiter die Applikationsentwicklung in der Magnetresonanztomographie aufzubauen. Reinhardt: „Ich hatte damals von der Materie keine Ahnung.“ Ihm halfen allerdings die Kenntnisse aus seiner Diplomarbeit über optische Informationsspeicherung – erfolgreich abgeschlossen, „ohne eine Vorlesung gehört zu haben“.
Drei Jahre später: Leiter des MRT-Geschäftsgebietes. Dennoch: Seine Vorbehalte gegen Konzernstrukturen hielten noch einige Zeit an. Die Frage Balleis’, warum er damals nach Forchheim gezogen sei, beantwortete Reinhardt jetzt mit verblüffender Offenheit: „In Erlangen nur von Siemensianern umgeben zu sein, wollte ich auf keinen Fall.“ Und was erwartete ihn dann in Forchheim? „Links und rechts ein Siemensianer.“ So kann’s gehen, doch es waren angenehme Nachbarn . . .
Nächste Station, 1990: Direktor der Landesgesellschaft in Indien. Direkt nach dem Bezug des Hauses in Forchheim die „starke Empfehlung“ (der man nicht ausweichen konnte) des damals entscheidenden Vorstands. Die drei Jahre in Bombay sind ihm dennoch in bester Erinnerung geblieben: ein Penthouse-Appartement im 29. und 30. Stock eines Wolkenkratzers, mit Blick über die Millionenstadt. „Es war damals eine harte Arbeit, aber das Land hat mich fasziniert.“ 1994 erreichte ihn der Ruf an die Spitze von Siemens-Med – damals in den Augen der Fachpresse ein Bereich, der auf der Kippe stand. Fabrikschließungen wurden empfohlen. Reinhardt machte sich an den gewaltigen Prozess der Restrukturierung – an dessen Ende der Neubau der MRT-Fabrik stand.
Es gab Demos in der Henkestraße, einen mit dem Betriebsrat abgestimmten Sozialplan („Beispielcharakter für Deutschland“) und am 3. Oktober 1997 die Entscheidung für Erlangen als Standort – und damit die Weichenstellung für den heute noch gültigen Anspruch als Medical Valley. Reinhardt holte Siemens-Med aus dem tiefen Tal heraus – und packte im April 2008 dennoch seine Koffer. Im oberen Führungskreis waren Korruptionsfälle bekannt geworden – und Reinhardt übernahm quasi die politische Verantwortung. „Meine E-Mails wurden damals zehn Jahre zurückverfolgt – eine unglaubliche Detaillierung.“
Doch die akribisch arbeitenden Anwälte der New Yorker Kanzlei Debevoise stellten fest: Reinhardt war „in keiner Weise involviert“.
Für die Unternehmen der Medizintechnik in der Region sollte sich dieser Rücktritt als Segen erweisen. Reinhardt bündelte die Aktivitäten. Sie mündeten im mit 80 Millionen Euro Fördermitteln unterstützten Spitzen-Cluster – dessen Wirkung bis weit in die Zukunft der Erlanger und fränkischen Wirtschaft reichen dürfte.
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