Eine Tour de Russland
19.8.2013, 17:43 UhrDas Ehepaar Höhle durchradelt die Welt. Das ist gleichsam ihr Lebenselixier, ihre unbedingte Leidenschaft. Seit 2006 haben die beiden alle fünf Kontinente durchquert, dabei 63 Länder und ihre Menschen kennen gelernt und soviel Schönes und Kurioses erlebt, dass sie tagelang davon erzählen könnten. Und jetzt noch Russland — zweifelsohne ein besonderes Kapitel im seitenstarken Reisetagebuch der Höhles.
Anfang April machten sie sich auf den Weg. Und der führte sie direkt in die Kälte. Nachts herrschten noch Minus-Temperaturen, die Seen lagen zugefroren da, die Landschaft schneebedeckt. „Wir sind im verspäteten Winter gestartet“, sagt Klaus Höhle. Erst in Petersburg wurde es deutlich freundlicher und ein Hauch von Frühling war zu spüren. Im Schnitt radelten sie 80 bis 150 Kilometer am Tag, ein durchaus normales Pensum für die beiden Rad-Exoten.
Jubelfeier in Wladimir
Ein gesetztes Etappenziel der Russland-Fahrt war natürlich die Partnerstadt Wladimir. Rund 150 Erlanger, darunter OB Siegfried Balleis, waren ebenfalls dort, um die 30-jährige Städtepartnerschaft gebührend zu feiern. Die Höhles wurden ganz besonders begrüßt, was sofort die einheimischen Presseleute und TV-Sender auf den Plan rief. Das Paar avancierte schnell zum Medienthema und musste reichlich Interviews geben.
Zusammen mit OB Balleis und seinem Amtskollegen Sergei Sacharow unternahmen sie eine Tour durch Wladimir – natürlich per Rad, pflanzten symbolische „Lebensbäume“ zum Jubiläum und standen einer Schulklasse Rede und Antwort. Späterhin wurden sie buchstäblich durch die Familien „gereicht“.
Große Gastfreundschaft
Und nicht nur dabei erfuhren die Höhles das, was durchweg für die ganze Reise zutrifft – „eine unbeschreibliche Gastfreundschaft“. „Die Leute haben uns einfach zum Essen eingeladen, sind mit dem Auto vorausgefahren und haben den Weg gezeigt, haben uns günstige Unterkünfte gegeben“.
Draußen auf dem Lande, wo die Bauern ihre Äcker noch mit Pferd und Pflug bestellten, durften sie ihr Zelt aufstellen oder bekamen Schlafräume angeboten. An der kleinen Grenzstation zur Insel Krim konnten es die Wärter kaum fassen, dass die Höhles plötzlich mit dem Rad vor ihnen standen. Sie überschlugen sich förmlich vor Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft – „das kann man sich gar nicht vorstellen“, schwärmt Doris Höhle, die noch zahllose Beispiele von herzlicher Gastfreundschaft parat hat.
Umweltschutz gleich Null
„Negative Erfahrungen“ haben sie während ihrer 553 Stunden im Sattel nicht gemacht – abgesehen von den russischen Straßen. Deren Zustand ist mit „schlecht“ noch überaus positiv beschrieben – ein großes, allgemeines Ärgernis. Auf diesen Hoppelpisten wurde ihnen der „Hintern wundgeklopft“. Und zum ersten Mal während ihrer langjährigen Weltumradelei ist es ihnen passiert, dass ein Tretlager und zwei Hinterachsen kaputt gingen.
Ziemlich „entsetzt“ war das Radler-Duo auch über den kruden Umgang mit der Natur. Umweltschutz wird dort offenbar weder groß noch klein geschrieben – er ist „gleich Null“. Die Menschen laden ihren gesamten Unrat im Wald ab, der auch für diverse Ölwechsel herhalten muss, und am Straßenrand liegen Tausende alter Autoreifen und überwuchern – für die beiden Radler ein geradezu schmerzhafter Anblick. Wie auch die schön verzierten und „wunderbar gearbeiteten Holzhäuser“, die langsam verrotten. „Schade, dass Russland so verfällt“.
Auf einem kleinen Benzinkocher bereiteten die Höhles ihre Speisen zu. „Während man in den Städten alles bekommt, muss man auf dem Land nehmen, was die Leute produzieren“, erzählt Klaus Höhle. Die Bauern stehen am Straßenrand und verkaufen ihre Sachen, Steinpilze gleich eimerweise für drei Euro, Milch, Honig, Säfte oder auch einheimischen Käse. Und die Erlanger ließen es sich schmecken. Nicht nur bei solchen Einkäufen halfen ihnen die Sprachkenntnisse, die sie sich zuvor in einem VHS-Grundkurs angeeignet hatten.
Kühe auf der Autobahn
„Russland war ein Erlebnis“ – nicht nur, weil dort Hähne um drei Uhr morgens krähen und Kühe wie Schafe auf der Autobahn herumspazieren dürfen. Nicht nur, weil man dort kostenlos in der Hochzeitssuite einer Ritterburg, in einem ehemaligen KGB-Motel mit goldenen Tassen und schallgedämmten Türen oder hoch oben in einem Glockenturm nächtigen konnte, wie eben die Höhles.
Fernweh und Abenteuerlust ist den Beiden von jeher gemeinsam. Der ehemalige Bauingenieur wird im Herbst 74 Jahre alt, seine Frau Doris ist 61. Sie gelten als das weltweit älteste Paar, das solcherart „Fernreisen“ unternimmt. Das Alter hält Klaus Höhle aber keineswegs davon ab, über eine weitere Tour nachzudenken. Ziel ungewiss. Radfahren als Lebenselixier. Für eine Welt-Erfahrung dieserart bleibt wohl noch genug Zeit und Energie. RAINER WICH
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