1700 Jahre jüdisches Leben

Erlangen: Charlotte Knobloch startet Gedenkjahr

Hans von Draminski

Erlanger Nachrichten

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18.7.2021, 05:57 Uhr
Charlotte Knobloch war Gesprächspartnerin bei der Erlanger Auftakt-Veranstaltung zu "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland".

© Sven Hoppe, dpa Charlotte Knobloch war Gesprächspartnerin bei der Erlanger Auftakt-Veranstaltung zu "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland".

Die 88-Jährige, die in ihrer Geburtsstadt München lebt, war per Video zu einer aufgrund der Corona-Regeln ohne Publikum aus dem Erlanger Rathaus via Youtube und Twitter gesendeten Gesprächsrunde zugeschaltet.

Zentrale Lebensereignisse

Erlangens OB Florian Janik und JKG-Vorsitzende Ester Limburg-Klaus sprachen Grußworte, danach war der Weg frei für einen rund eine Stunde dauernden Dialog zwischen der Wissenschaftlerin Birgit Mair und Charlotte Knobloch, die von Mair gebeten wurde, zentrale Ereignisse ihres Lebens Revue passieren zu lassen.

Nur knapp Holocaust überlebt

Dass Charlotte Knobloch den heute Lebenden Rede und Antwort stehen kann, verdankt sie Zufällen, einem vorausschauenden Vater - und einer Menge Glück. Die 1932 geborene Tochter des jüdischen Rechtsanwalts Fritz Neuland und einer nichtjüdischen Mutter überlebte die Nazizeit nur knapp, in den letzten Jahren vor Kriegsende versteckt in einem Dorf nahe dem mittelfränkischen Gunzenhausen, wo eine Einheimische sie als ihr uneheliches Kind ausgab und dafür dem Gespött der Dorfbewohner ausgeliefert war. So gelang es dem Vater, Charlottes Deportation ins Konzentrationslager zu verhindern. Ihre Bayreuther Großmutter wurde dagegen Opfer der Shoa, des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden Europas.

Keine schöne Kindheit

Charlotte Knobloch verlebte auch keine schöne Kindheit, denn die Schergen der Gestapo waren allgegenwärtig: "Sie kamen meist morgens um vier, inspizierten die Wohnung, stellten Fragen und gingen wieder", erinnert sich Knobloch. Bei einem dieser "Besuche", die die junge Charlotte "immer in Angst und Schrecken" versetzten, machte sich der Vater über den Hintereingang davon. Und weil die kleine Charlotte wahrheitsgemäß erklärte, nicht zu wissen, wo ihr Vater sei, wurde sie von einem Gestapo-Schläger geohrfeigt. "Da hat man keine gute Erinnerung an die Kinderjahre", betont Knobloch.

Schaurige Erinnerungen an die Reichspogromnacht

Ähnlich schaurig und bizarr sind ihre Erinnerungen an die Reichspogromnacht, als Synagogen und jüdische Geschäfte brannten. Was sich Charlotte Knobloch besonders einprägte, war die Erinnerung an "fröhliche Plünderer", die bestens gelaunt die Scheiben der jüdischen Geschäfte einschlugen und die ausgestellte Ware mitnahmen. "Da konnte keiner danach sagen, er habe nichts gewusst und nichts mitbekommen", sagt Charlotte Knobloch mit grimmigem Unterton.

Aus der Emigration wurde nichts

Auch nach dem Krieg sei es nicht einfach gewesen, als Vater und Tochter nach München zurückkehrten: "Die selben Menschen, die uns beleidigt und bedroht hatten, taten nun besonders freundlich, wenn sie uns auf der Straße begegneten. Ich wollte mit ihnen trotzdem nichts zu tun haben", erinnert sich Charlotte Knobloch. Mit ihrem polnischen Ehemann, den sie schon in jungen Jahren geheiratet hatte, wollte sie eigentlich emigrieren - aber dann kamen Kinder, "und aus diesen Plänen wurde nie etwas", so Knobloch. Auch die Mutter, die sich auf Druck der Nazis vom Vater getrennt hatte, sah sie nie wieder.

Kaum Kontakte im "Land der Mörder"

Für ihr Dableiben im "Land der Mörder" wurde Charlotte Knobloch in späteren Jahren bisweilen angefeindet, vor allem von jenen Menschen jüdischen Glaubens, die im Ausland lebten und nicht verstehen konnten, dass die Knoblochs weiter unter Deutschen leben konnten. "Ein Zusammenleben war das nicht", relativiert sie die Situation heute. Die Juden seien unter sich geblieben, Kontakte mit anderen Deutschen fanden beinahe nicht statt. Knobloch unterscheidet zwischen "Tätergruppen" und "Opfergruppen" - ein Konflikt, der sich lange Zeit nicht auflösen ließ in einem Deutschland, in dem die alten NS-Kader immer noch die Fäden zogen.

Antijüdische Skulpturen

Birgit Maier erinnerte daran, dass es Antisemitismus und Pogrome schon lange vor dem Hitler-Regime gab. Seit knapp 800 Jahren "zieren" antijüdische Skulpturen in Form von Wasserspeiern, Schnitzereien oder Reliefs christliche Kirchen: Sogenannte Judensäue, an deren Zitzen jüdische Menschen saugen. "Da kann ich die Kirchenoberen nicht verstehen. So etwas hat in der heutigen Gesellschaft nichts mehr zu suchen", erklärt Charlotte Knobloch hörbar zornig und fügt hinzu: "Wie sollen wir unseren jungen Menschen erklären, dass so etwas im 21. Jahrhundert juristisch geduldet wird?"

Rechtsextreme Umtriebe

Der Judenhass, die Schrecken und die Morde, sie endeten nicht mit Hitlers Drittem Reich: 1970 brannte ein jüdisches Altersheim in München, sieben Menschen starben, die Brandstifter wurden nie gefasst. Den Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke 1980 hat man in Erlangen noch in Erinnerung, das Oktoberfest-Attentat im selben Jahr erlebte Charlotte Knobloch praktisch hautnah mit, weil sie damals in der Nähe wohnte. Alle diese Taten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auf rechtsextreme Umtriebe zurückzuführen.

Das Andenken hochhalten

Umso wichtiger sei es, das Andenken hochzuhalten, niemals zu vergessen, was jüdischen Menschen angetan wurde. Charlotte Knobloch erwähnt die jüngst verstorbene Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano, die sich nie dem Druck beugte und so zum Vorbild für Generationen wurde. Außerdem sichert Knobloch der JKG Erlangen Unterstützung, wenngleich keine finanzielle, beim Aufbau ihrer neuen Synagoge zu: Optimismus und Lebensmut gegen Hass und Gewalt.

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