Erlangen: Realschule am Limit

4.2.2016, 11:00 Uhr
Erlangen: Realschule am Limit

© Foto: Harald Sippel

Laut Statistik hat Erlangen verglichen mit den anderen Kommunen in Mittelfranken die niedrigste Übertrittsquote von Grundschülern an Realschulen. Mit dieser Tatsache muss sich Michael Bayer, Beratungslehrer an der Realschule am Europakanal, in seiner Arbeit immer wieder auseinandersetzen. Und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Schon allein dann, wenn es um ebendiesen Übertritt von Grundschülern geht. Den Eltern von Viertklässlern musste er kürzlich wieder bei Infoabenden Rede und Antwort stehen. „Ist es wahr, dass Sie keinen Platz haben?“, wurde er gefragt.

Da steckt er in einem Dilemma. Denn eigentlich will er durchaus für seine Schulart werben. Eigentlich würde er gern sagen: „Überlegen Sie sich genau, ob Ihr Kind ans Gymnasium gehen soll oder ob nicht vielleicht die Realschule die geeignete Schulart wäre.“ Stattdessen beschränkt er sich darauf, sachlich-neutral zu informieren. „Es wäre unprofessionell, wenn ich so tue, als ob wir jedes Kind aufnehmen könnten“, sagt er. Denn er weiß, dass die Aufnahmekapazität seiner Schule begrenzt und der Andrang groß ist. Und meint deshalb: „Das ist ein fieser Spagat, den wir da machen müssen.“

Keine geradlinige Schulkarriere

Doch damit ist es nicht getan. Das Problem setzt sich fort. Dann nämlich, wenn ihn die Eltern von Gymnasiasten in seiner Sprechstunde aufsuchen. Deutlich mehr externe als eigene Eltern kommen zur Beratung. Derzeit hat Michael Bayer ein Beratungsgespräch pro Woche, in dem es darum geht, ob der Wechsel vom Gymnasium an die Realschule möglich ist. „Es gibt immer mehr Schüler, die keine geradlinige Schulkarriere haben“, beobachtet er. Gegen Schuljahresende, das kann er sich jetzt schon ausrechnen, werden es vier solcher Gespräche pro Woche sein.

„Unser Kind ist am Verzweifeln“, heißt es da beispielsweise. Von „Schulangst“ oder auch von „Prüfungsangst“ ist die Rede. Da gebe es Kinder, „die längere Zeit faul waren“, so Michael Bayer, und die dann unter Druck lernen, aber den stofflichen Rückstand nicht mehr aufholen können. Und andere, die zwar daheim schon immer gelernt haben, dann aber in Prüfungssituationen nicht klar kommen. „Je länger ein Kind in einer Abwärtsspirale drin ist, desto länger dauert es, bis es wieder hoch kommt.“

Der Druck, der von Eltern, aber auch von Klassenkameraden ausgeübt wird, hinterlässt seine Spuren. „Misserfolge beeinträchtigen schon, auch wenn manche Kinder das nicht zugeben“, sagt Markus Bölling. „Einige Kinder flüchten sich dann in Coolness.“ Nicht selten beeinflussen schulische Probleme das gesamte Leben in der Familie.

Schwierige Mittelstufe

Vor allem aus der siebten und achten Klassenstufe wechseln Schüler aus dem Gymnasium in die Realschule. In der Mittelstufe kommen im Gymnasium mehrere neue Fächer hinzu. Und es ist die schwierige Zeit der Pubertät.

Ein Schulwechsel könne die Möglichkeit eröffnen, „dass Schüler Erfolgserlebnisse haben“, sagt Markus Bölling, Rektor der Realschule am Europakanal. Und er konstatiert: „Bisher haben wir es in Erlangen immer geschafft, die Schüler aus Erlangen, die vom Gymnasium abgehen, an einer der beiden Realschulen unterzubringen.“

Die Eltern hätten zwar einen gesetzlichen Anspruch auf einen Realschulplatz für ihr Kind, aber nicht auf einen Platz in der „Wunschrealschule“. Die zwei Erlanger Realschulen stimmen sich bei der Vergabe von Plätzen miteinander ab.

Nicht daran zu rütteln ist indes, dass beide Schulen räumlich ausgelastet sind. Von „zwei Wanderklassen“, die keine eigenen Klassenräume haben, sondern in Gruppenräumen untergebracht sind, berichtet die Rektorin der Werner-von-Siemens-Realschule Klaudia Böhmetzrieder. Nächstes Schuljahr, das prophezeit die Rektorin jetzt schon, „wird es noch zwei weitere Wanderklassen geben müssen.“

An der Realschule am Europakanal ist die räumliche Erweiterung durch zwei Container längst zum Dauerzustand geworden. „Wir lasten die Räume aus bis zu den letzten Möglichkeiten“, sagt der Schulleiter. Im laufenden Schuljahr habe man von fünf auf sechs Eingangsklassen erweitert. Dies wird im nächsten Jahr jedoch nicht mehr möglich sein. Die Schule sei „übervoll“ und damit „am Limit“, bestätigt auch Johann Seitz, Ministerialbeauftragter für die mittelfränkischen Realschulen.

Neue Klassenräume bauen

Einen Ausweg wüsste Markus Bölling schon. „Man könnte das Problem beseitigen, indem man bei uns vier Klassenräume baut“, sagt er. Eine Aufstockung des Atriums der Werner-von-Siemens-Realschule bringt Klaudia Böhmetzrieder ins Spiel. „Ich hab’ so viele Träume, aber keinen, der sie mir verwirklicht“, kehrt die Schulleiterin auf den Boden der Tatsachen zurück.

Unterdessen teilt Michael Bayer Eltern von „Gymnasialwechslern“ in E-Mails weiterhin mit, „dass die Möglichkeit einer Aufnahme bei uns sehr begrenzt ist“. Und träumt einen ganz anderen Traum: den von einer dritten Realschule. Und von nicht ganz so großen Klassen.

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