Erlanger Experten warnen vor Hetze gegen Muslime
9.1.2015, 06:00 UhrVöllig fassungslos waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Deutsch-Französischen Instituts (DFI). "Wir stehen alle unter Schock", sagte eine von ihrer Trauer immer wieder überwältigte Chefin Rachel Gillio. Den vom französischen Staatschef François Hollande ausgerufenen Staatstrauertag nahm das DFI – wie ganz Frankreich – um zwölf Uhr zum Anlass für eine Schweigeminute.
Das Team hatte in seine Fenster im ersten Stock des Egloffsteinschen Palais Plakate geklebt mit dem Satz "Nous somme Charlie" ("Wir sind Charlie"), um seine Verbundenheit mit den Hinterbliebenen der getöteten Redakteure und Zeichner, der Polizisten und der Zeitschrift Ausdruck zu verleihen.
Frage der Fairness
Für Rachel Gillio ist der Terroranschlag vor allem Verpflichtung, "jetzt erst recht zusammenzustehen". Die französische Gesellschaft sei nun aufgefordert, sich nicht spalten zu lassen und nicht auf die Mär vom Religionskrieg hereinzufallen: "Es geht um Terrorismus, nicht um einen angeblich gefährlichen Islam." Es müsse klar werden, dass Islamophobie kein guter Ratgeber sei, zumal die übergroße Mehrheit der Franzosen mit dem Islam keine Probleme habe – "die meisten Muslime sind schließlich auch Franzosen".
Vor einer Pauschalverurteilung aller Muslime warnt auch Heiner Bielefeldt, Lehrstuhlinhaber für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Erlanger Uni und UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit. "Man muss deutlich zwischen Islam, Islamismus und Terror unterscheiden." Diese Differenzierung gebiete schon die Fairness. "Die überwiegende Zahl der Muslime lehnt — ebenso wie die meisten Christen und Juden — Gewalttaten und den heiligen Krieg ab."
Auch nach dem schlimmen Verbrechen dürfe die pluralistische, weltoffene Gesellschaft nicht in Frage gestellt werden, "weder bei uns, noch in Frankreich oder irgendwo anders auf der Welt."
Deshalb wäre es mehr als fatal, mit dem jüngsten Anschlag die These des inzwischen verstorbenen amerikanischen Politologen Samuel Huntington vom "Clash of civilization", vom "Kampf der Kulturen" im Nachhinein zu legitimieren und untermauern: "Die Gewalttat ist keine Frage des Kulturkampfes, sondern politischer Terror." Diesen müsse man besonnen, aber "nicht naiv" entgegenwirken, betonte der Professor.
Konkret bedeutet das für den Menschenrechts-Experten: "Es müssen nun Mittel der Terrorbekämpfung angewandt werden — nämlich polizeiliche Ermittlungen einerseits und die Aspekte der Sicherheit andererseits."
Neben der Strafverfolgung kommt für Bielefeldt der Prävention aber eine mindestens ebenso wichtige Rolle zu: "Gespräche zwischen den verschiedenen Religionen und Kulturen sind der beste Weg, Hass und Vorurteile zu beseitigen."
Auch der 17 Jahre lang als Chefredakteur von Charlie Hebdo fungierende Journalist, Philippe Val, hatte nach dem Attentat an die Franzosen appelliert, sich keine Angst einjagen zu lassen. Für die Erlanger DFI-Chefin Rachel Gillio ist Val daher ein Vorbild.
Sie ist mit ihm und der französischen Comic-Szene einig, "dass man über alles lachen darf, und man muss über alles lachen dürfen". Die angeblichen Motive der Täter, einen "beleidigten Islam" rächen zu müssen, seien unglaubwürdig: "Die Karikaturisten haben die Religion nicht herabgesetzt, sie haben nichts Böses getan."
Auch für sie selbst sei der Anschlag eine Zäsur in ihrem Leben, "schließlich bin ich mit Satirikern und Karikaturisten wie Wolinski (einer der erschossenen Hebdo-Zeichner, Anm. d. Red.), die mit Humor gegen Dummheit und Vorurteile ankämpften, groß geworden. Mit meinem Bruder habe ich im Studium Charlie Hebdo regelmäßig gelesen. Für uns waren diese Redakteure schon so etwas wie Familienmitglieder."
Etwas Trost erfahre sie in diesen Stunden nur durch die überwältigende internationale Solidarität und den Zuspruch aus ihrer Umgebung. Die Attentäter hätten zwar ihr kurzfristiges Ziel, den Tod ihrer vermeintlichen Widersacher erreicht, seien aber letztlich nicht erfolgreich: "Sie wollten Charlie Hebdo töten – jetzt ist die Zeitschrift unsterblich geworden."
Medien in der Verantwortung
Das in Erlangen und Berlin beheimatete Institut für Medienverantwortung der Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer warnt — ebenso wie DFI-Chefin Gillio und der Erlanger Lehrstuhlinhaber Bielefeldt — vor vorschnellen Zuschreibungen der Verantwortung für den verheerenden Anschlag. Wer zudem nicht zur Kenntnis nehme, dass die Muslime über die Tat ebenso empört seien wie alle anderen auch und von ihnen eine gesonderte Distanzierung verlange, gliedere sie aus der Gesellschaft aus.
Wichtig sei jetzt, dass die Medien als so genannte Vierte Gewalt nicht vorschnell urteilten und weiter Stereotype bedienten, sondern konsequente Rechtsstaatlichkeit einforderten. Die französische Satirezeitschrift habe als linke Satirezeitschrift zwar immer provoziert, "aber konsequent gegen alle und jeden polemisiert – das ist in jedem Fall zu verteidigen", teilte die Institutsleiterin mit.
Der aus Erlangen kommende bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) rief nach dem Attentat dazu auf, der Gewalt und dem Hass von Terroristen die Werte von Freiheit und Toleranz entgegenzusetzen, gleichzeitig aber auch die Sicherheitsbehörden zu stärken.
Es wäre naiv, wolle man die Gefahren für Deutschland, die von Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat oder Al Qaida ausgehen, unterschätzen, betonte der Minister. Es lägen aber dem Landesamt für Verfassungsschutz keine konkreten Erkenntnisse über mögliche Aktivitäten vor.
Lutfye Yaver, die Vorsitzende des Erlanger Ausländer- und Integrationsbeirates, sprach von einem "feigen Anschlag" und einem "barbarischen Akt". Yaver betonte die Notwendigkeit zu unterscheiden zwischen dem Terroranschlag und dem Islam: "Mit dem Islam hat das nichts zu tun".
Die Ausländerbeiratsvorsitzende rief dazu auf, besonnen zu reagieren, um Eskalationen — wie sie in Frankreich schon zu beobachten seien — zu vermeiden. Yaver befürchtet vor allem, dass die Pegida–Bewegung den Anschlag instrumentalisieren werde, um noch mehr Menschen für islamfeindliche Parolen zu gewinnen.
Das Deutsch-Französische Institut veranstaltet am Sonntag, 11. Januar, um 12 Uhr in seinen Räumen in der Südlichen Stadtmauerstraße 28 eine öffentliche Zusammenkunft, in der der Toten des Anschlags gedacht wird, in der es aber auch einen Gedankenaustausch zum Attentat und seinen Folgen gibt.
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