Erlanger Professor: An Universitäten wird extrem gegängelt
9.7.2015, 16:15 UhrHerr Professor Munske, Ihr Buch heißt "Unsere Universität im Abstieg?" Sind wir nicht eine Erfolgsuni mit wachsenden Studentenzahlen und ausreichend Geld für Neubauten?
Horst Haider Munske: Das ist unbestritten auch eine bemerkenswerte Leistung der Erlanger Hochschulleitung. Mir geht es um etwas anderes: die Praxis von Lehre und Forschung und von erfolgreichem Studieren. Hier ist der Abstieg seit Einführung der Bologna-Reformen eklatant.
Ist es wirklich so schlimm?
Munske: Ich sage es in Stichworten: Extreme Gängelung der Studierenden und der Lehrenden durch überregulierte Studiengänge, durch ständige Prüfungen vom ersten Semester an, wenig Zeit für Jobs, keine Zeit für ein freieres Studium. Die Universität wird zur Fachoberschule.
Aber die Bologna-Reformen hatten doch gute Ziele: Verbesserung der Mobilität, mehr Praxisbezug, Beschleunigung des Studiums und weniger Abbrecher.
Munske: Mit den Versprechen wurden die Reformen durchgesetzt. Aber erreicht ist keines. Im Gegenteil: Fachwechsel und Ortswechsel sind schwieriger geworden, die Mobilität ist gesunken. Wir steuern auf eine Provinzialisierung der Universitäten zu, zurück ins 19. Jahrhundert. Auch schneller geworden ist das Studieren nicht. Das ist alles nur auf dem Papier.
Das Bafög soll erhöht werden. Dennoch nennen Sie ein Kapitel in Ihrem Buch „Tschüss Bafög“. Warum?
Munske: Weil nur gut 20 Prozent der Studierenden eine solche Förderung erhalten. Alle anderen müssen jobben oder von den Eltern leben. Die Regeln für Bafög ähneln denen von Hartz IV: Förderung der Bedürftigen. Und die Armut muss genauestens nachgewiesen werden. Wer schummelt, bekommt es mit dem Staatsanwalt zu tun — wegen Sozialbetrug.
Wissen Sie etwas Besseres?
Munske: Ja, das System der skandinavischen Länder. Jeder schwedische Studierende erhält unabhängig vom Einkommen der Eltern, und das ist der Knackpunkt, ein Studiengeld von rund 340 Euro, dazu einen günstigen Studienkredit von bis zu 720 Euro. Das stärkt die Motivation zu zügigem Studium und befreit vom Zwang zum Geldverdienen. Jetzt, wo der Bund erstmals alleine verantwortlich ist, besteht eine gute Chance, das bewährte System aus dem europäischen Norden auch bei uns einzuführen.
Wie viel Erlanger Erfahrungen sind denn in Ihr Buch eingeflossen?
Munske: Natürlich eine Menge. Denn die FAU liefert seit 40 Jahren die Basis meiner Beobachtungen. Andererseits bin ich auch viel herumgekommen. Mit dem Titel „Unsere Universität“ meine ich vor allem eines: Wir alle, Professoren, Studierende, Mitarbeiter und Ministerialbeamte sind verantwortlich für das künftige Schicksal der Universität. Meckern allein genügt nicht, man muss sich das Herz nehmen, Verbesserungen aktiv umzusetzen.
Vielen sind Sie neben der Dialektforschung als Kritiker der Rechtschreibreform bekannt. Ist das Thema heute erledigt?
Munske: Leider nicht. Zwar wurden inzwischen durch den neuen Rechtsschreibrat die übelsten Mängel beseitigt, aber geblieben ist eine negative Folge: Der Wert richtigen Schreibens ist extrem gesunken. Das zeigt sich auch in den jüngsten Plänen einiger Bundesländer, die bisherige Schreibschrift in den Schulen abzuschaffen. Die deutsche Sprache gilt den Deutschen wenig, so scheint es. Das muss den Germanisten beunruhigen.
Spiegelt sich das auch in der Einführung englischer Studiengänge an unserer Universität?
Munske: In der Tat. Damit geben wir langfristig die deutsche Wissenschaftssprache auf. Sie ist seit 300 Jahren das Fundament wissenschaftlicher Innovation. Auch unsere ausländischen Studierenden sollen davon profitieren, indem sie Deutsch lernen.
Horst Haider Munske: Unsere Universität im Abstieg? Bologna, Bafög, Bachelor. Beobachtungen und Ratschläge. Frank & Timme: Berlin 2014, 190 S., 19,80 Euro
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