Das Nachtleben kehrt zurück
Lange Schlangen vor den Eingängen: So lief der erste Tag in den Erlanger Discotheken
3.10.2021, 15:45 UhrDas gedämpfte Dröhnen des Basses ist schon aus weiter Entfernung zu hören. Die Musik vermischt sich mit Lachen und lauten Rufen. Irgendwo zerbricht eine Glasflasche. Die jungen Leute, die an diesem Freitagabend durch die Erlanger Straßen ziehen, haben alle ein Ziel: Feiern gehen.
Es ist kurz nach Mitternacht und Daniel Tröger und seine Freunde warten in der Nürnberger Straße vor dem „Paisley“ auf die erste Partynacht seit der Pandemie. Sehnsüchtig wirft der Pharmaziestudent einen Blick Richtung Einlass. Rund 20 Meter ist die Schlange vor ihm noch lang. „Ich fürchte, das kann noch etwas dauern“, sagt der 23-Jährige zu einem Begleiter. „Ich kann es kaum erwarten endlich wieder wegzugehen und neue Leute kennenzulernen.“ Auch wenn im Club keine Maskenpflicht und Abstandsregeln mehr eingehalten werden müssen, hat er keine Bedenken. „Ich bin geimpft und freue mich drauf, anderen Leuten wieder ohne Maske zu begegnen. Dank meines Studiums weiß ich über die Situation ziemlich genau Bescheid und will heute Abend einfach Spaß haben.“
567 Tage ohne Club-Betrieb
Weiter vorne steht Daniel Nowak hinter der Absperrung am Einlass. Zufrieden blickt der Mitinhaber des Clubs auf die Schlange. „Jetzt haben wir alles unter Kontrolle“, sagt der 36-Jährige. „Als wir um 22 Uhr aufgemacht haben, standen die Leute bis vor zur Kreuzung an den Arcaden. Da war es hektisch, aber nach kurzer Zeit hatten wir die Abläufe wieder verinnerlicht.“ Nach 567 Tagen ohne Club-Betrieb freut sich Daniel Nowak auf „ein tolles Wochenende“. Das vergangene Jahr war für den Mitinhaber des „Paisley“, des „Erlkönig“ und des „Flash“ nicht einfach. „Wir haben mehr gearbeitet als davor. Wir haben viel renoviert und es gab unglaublich viel Rechtliches zu klären. Aber eben ohne Geld zu verdienen“, so Nowak. „Finanziell war es wirklich kritisch. Die Hilfsgelder kamen nur schleppend, aber zum Glück ist uns beim Paisley und beim Erlkönig der Vermieter sehr entgegen gekommen.“
Jetzt sind die Gäste wieder da. Zeit für Daniel Nowak innen einen Blick auf die feiernde Menge zu werfen.„Die Stimmung ist heute definitiv eine andere als vor Corona. Die Leute sind viel positiver und flippen viel mehr aus“, sagt der Mitinhaber.
Er geht die Treppe nach unten und öffnet die schwere Metalltür. Sofort hämmern die Bässe auf das Trommelfell. Warme Luft schlägt einem entgegen. Junge Menschen warten an der Garderobe, zwei Frauen in luftigen Oberteilen und High Heels drängeln sich auf dem Weg zur Toilette vorbei. Auf der Tanzfläche springt und tanzt die Menge ausgelassen. Alle dicht an dicht. Ein Durchkommen ist kaum möglich. Bei jeder Bewegung berührt man die verschwitzte Haut der Nachbarn. Die Schuhe bleiben bei jedem Schritt am Boden kleben, Glasscherben knirschen unter den Sohlen.
Ortswechsel.
"Es war ein Kulturschock"
Im „Erlkönig“ ist der große Ansturm bereits vorbei, so Adrian Bigdeli. Nur noch wenige Gäste sitzen auf den Stühlen an der Bar. Für den 28-Jährigen, der seit 2017 hinter der Theke des Barclubs steht, ist das dennoch eine besondere Situation. Die letzten Monate durfte er seine Gäste nur an den Tischen bedienen. „Das war heute ein Kulturschock. Die Leute feiern wieder ausgelassen und man muss nicht mehr aufpassen, ob Abstände eingehalten werden. Es war zwar ungewohnt, aber die Interaktion zwischen Gast und Barkeeper habe ich vermisst.“
Im hinteren Bereich des Barclubs hat Christoph Gelbert noch gut zu tun. Zahlreiche Besucher bewegen sich im Takt seiner Musik. Seit der Wiedereröffnung haben die Inhaber Daniel Nowak, Andreas Zahn und Oliver Stockmann den Einlass auf Gäste über 25 Jahren beschränkt. „Wir wollen hier eine etwas andere Zielgruppe ansprechen“, sagt Nowak. Für DJ Gelbert macht das keinen Unterschied. „Die feiern genauso“, findet er. Dennoch: „Die Stimmung ist gut, aber es sind ein bisschen wenig Gäste.“ Er vermutet, dass die Angst vor Corona einige noch vom Clubbesuch abhält.
"Mega Vorfreude"
Auf den Straßen ist von dieser Angst nicht viel zu spüren. Die 22-jährige Christina war mit ihrer Clique zum Vorglühen im „ Bogarts“ . Jetzt geht es zum Feiern in einen Club. „Wir sind alle geimpft, die Kontrollen an den Eingängen sind streng und wenn alle ihren Teil dazu beitragen, sollte dass das Risiko minimieren können.“ Es ist vor allem die „mega Vorfreude, das erste Mal wieder feiern zu gehen“, die sie antreibt.
Doch die gute Laune wird bei vielen durch lange Wartezeiten getrübt. Vor dem „Flash“ an der Ecke Hauptstraße – Friedrichstraße bilden sich um zwei Uhr immer noch Schlangen. Daniel Nowak kann verstehen, dass die Leute genervt sind. Aber es dauere , von jedem Gast den Impfstatus zu prüfen und zu kontrollieren, ob er über die Luca-App eingecheckt hat. „Es ist viel Verwaltungsaufwand, aber wir arbeiten schon an Verbesserungen.“ Der Einlass soll künftig noch besser strukturiert werden.
Die unvorhergesehene Wiedereröffnung stellte die Clubbetreiber noch vor eine weitere Herausforderung, berichtet Mitinhaber Andreas Zahn: die Personalsituation. „Wir hatten zwar noch ein paar alte, aber vor allem viele neue Mitarbeiter, die heute zum ersten Mal mit dabei sind. Und das ist sehr schwierig, die an einem solchen Tag auf Spur zu bekommen“, sagt Zahn. „Heute ist wie Weihnachten und Silvester zusammen und ist es kaum möglich, neue Kollegen richtig einzuarbeiten. Aber wir waren dennoch schnell im Normalstatus, jetzt müssen wir nur die Routine wieder reinbekommen“, sagt der 37-Jährige.
"Die Leute haben ein Lächeln im Gesicht"
Die Gäste bekommen davon nicht viel mit. Auch zu später Stunde ist es im „Flash“ noch brechend voll. Vor allem die jüngere Generation drängt sich auf dem Dancefloor im Untergeschoss. Wie am Fließband wandern Bier, Cocktails und Longdrinks über die Theke. Ein Blitzlicht erhellt immer wieder den diesigen Raum. Daniel Dostal fotografiert, was ihm vor die Linse kommt. Seit zwölf Jahren arbeitet er als Partyfotograf mit den Inhabern Nowak, Zahn und Stockmann zusammen.In der Regel kennt er einen Großteil der Clubbesucher, doch „heute sind sehr viele Gäste anwesend, die noch nie in einer Disco waren und das Nachtleben jetzt erst kennenlernen.“ Aber auch sonst sind dem 28-Jährigen Unterschiede zur Vor-Corona-Zeit aufgefallen. „Anhand von den Fotos kann man sehen, dass die Leute mit einem Lächeln reingehen und Spaß haben wollen und nicht wie vorher, um gesehen zu werden.“ Der Ansturm heute überrascht ihn nicht. „Jedem im Nachtleben war klar, dass am ersten Wochenende mit sehr vielen Leuten zu rechnen ist. Und es sind heute deutlich mehr als vor der Pandemie. Aber ich hätte mit noch mehr gerechnet.“
Der Mitbetreiber des „Zirkel“, Jorgos Liapouris, hatte ebenfalls einen größeren Ansturm für den ersten Tag der Wiedereröffnung erwartet. „Die Schlange war zwar lang, aber es dauert durch die Kontrollen einfach deutlich länger an der Kasse.“ Doch das schreckte auch im Norden der Innenstadt niemanden davon ab, sich in das Partygedränge zu stürzen.
Im Gewölbekeller des Clubs staut sich die Hitze, künstlicher Nebel verschleiert die Sicht und alle drängen sich vor das DJ-Pult. „Ich fand es faszinierend“, so Liapouris, „die ersten 20 Gäste sind sofort auf die Tanzfläche gestürmt.
Die Leute haben es vermisst.“ Auch er hat festgestellt, dass das Publikum an dem Wochenendejünger war als gewöhnlich. „Die 18- und 19-Jährigen sind total fasziniert. Die waren noch nie in so einem Laden.“ Liapouris ist zufrieden mit der Wiedereröffnung. „Die Stimmung ist gut und auch 3G hat ohne Probleme geklappt. Alle haben es akzeptiert, keiner hat gemotzt. Die Leute sind informiert, wie es läuft.“
"Wir sind die ersten, die wieder geschlossen sind"
Um 5 Uhr verklingen die Bässe und es kehrt wieder Ruhe ein. Denn auch der schönste Abend geht irgendwann zu Ende. „Wir hätten auf jeden Fall noch länger machen können“, sagt Daniel Nowak am nächsten Tag am Telefon. „Ich habe mich so gefreut, dass wieder Action ist und alle Mitarbeiter wieder zu sehen. Es fühlt sich einfach gut an.“ Doch die Sorge, dass es wegen Corona schnell wieder vorbei sein könnte, schwingt bei Nowak immer mit. „Das ist meine größte Befürchtung. Wir sind die ersten, die wieder geschlossen werden.“ Ohne Clubs und Partys kann Nowak es sich nicht mehr vorstellen. Die Zeit während der Pandemie hat ihm gezeigt: „Das ist ein großer Teil meines Lebens.“
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