Party ohne Ende: Eine Nacht beim After-Berg
26.5.2018, 15:15 UhrIn Massen strömen die Berg-Besucher nach unten, der alljährliche Erlanger Almabtrieb. Manche Nachbarn haben daraus schon ein Event gemacht, laden ihre Freunde zum Absacker mit Reality-Show ein. Vom Sofa aus kann man dann zusehen, wie Tausende in Lederhosen und Dirndl Richtung Innenstadt stolpern.
Ein Plakat mit nur einem Wort: Bier
Wer einmal im Strom mitstolpert, kennt aber auch die andere Seite. Die Freude, nach einer wunderbaren Zeit gemeinsam mit Freunden auf der Bierbank. Das Glück, jetzt noch nicht nach Hause gehen zu müssen. Die Aufregung, was in dieser einen Nacht noch alles passieren kann. Für viele gehört der "After-Berg" zur fünften Jahreszeit wie Bratwurst und Bier. Die Clubs und Kneipen in der Innenstadt wissen das natürlich, längst haben sich alle darauf eingestellt. Geht es einem nur um die Musik, kann man auch in jeden Imbiss-Laden an der Hauptstraße gehen. Überall dröhnt es heraus, der Gummi Wörner blinkt und blitzt. Ein großes Plakat weist den Weg. Nur ein Wort: Bier.
Am Martin-Luther-Platz sammelt sich erst einmal alles. Von dort strömen die Menschen in alle Himmelsrichtungen aus. Manche bleiben aber auch einfach hier. Vor dem Studentenclub Zirkel bildet sich schnell eine lange Schlange. Es ist Samstagabend. Pfingstsamstag. Ist das Wetter auch noch gut, gibt es kaum einen besseren Tag für einen überfüllten After-Berg.
Im Zirkel selbst ist es natürlich kein bisschen leerer. Das Kellergewölbe ist durch diese Riesen-Glühbirnen, die gerade überall Trend sind, spärlich beleuchtet. Weiter hinten strahlt der DJ-Pult. Nach der Schunkel- und Mitgröl-Musik am Berg ist jetzt klassisches Clubbing angesagt.
Ab und zu kann man den Refrain mitsingen, ansonsten wackelt man zu irgendeinem Remix mit den Hüften. Zumindest fällt man nicht von der Bank, wenn einem schwindelig wird. Hier stehen alle mit beiden Füßen auf dem Boden. An der Bar hängen ein paar Berg-Brezen von der Decke. Ansonsten weist nur die Kleidung der Mit-Tänzer auf die Jahreszeit hin. Dirndl und Lederhosen sind hier ebenso beliebt wie eine Tür weiter. Direkt nebenan hat sich das Restaurant Glüxrausch für zwölf Tage in die Talstation verwandelt. Wo es sonst Burger und Cocktails gibt, bekommt man nun Berg-Hits und Bier.
Verlässt man den Club, landet man wieder auf dem Martin-Luther-Platz. Immer noch sind überall Menschen, Servierten und Glasscherben sammeln sich bereits am Straßenrand. Grüppchen stehen herum, an einer Ecke weint ein Mädchen an der Schulter ihrer Freundin. Eigentlich ist es bereits stockfinster, doch der Platz ist hellgelb erleuchtet. In der Mitte steht ein Container, am Martin-Luther-Platz gibt es eine Wache des Rettungsdienstes, betreut vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Eine Rettungsinsel für Frauen ist dort integriert.
Polizisten sind ebenfalls immer vor Ort. Es ist eine Reaktion auf die steigende Zahl der Einsätze beim After-Berg. Von 22 Uhr bis 3 Uhr ist die Wache von fünf Ehrenamtlichen des ASB besetzt. An Pfingstsamstag war Sabrina Fischer eine davon. Die Arbeit im Rettungsdienst ist für die Erlangerin ein Hobby seitdem sie 15 Jahre alt ist. Ihren ersten Berg-Dienst hatte sie bereits vor fünf Jahren, doch 2018 ist Fischer erstmals auch im After-Berg-Einsatz dabei.
"Es gibt mehr zu tun, als ich mir vorgestellt habe. Ich dachte: Hier gehen doch alle nur vorbei. Doch genau auf dem Weg nach Hause passiert viel." Stürze, Schürfwunden, Schlägereien. Die Rettungskräfte haben viel zu tun. "Vor den Clubs und Kneipen sammeln sich zudem die Leute", sagt Richter. Deshalb ist immer Betrieb, nicht nur direkt nach 23 Uhr, wenn "der Schwarm kommt".
Schlägereien und Stürze
Häufig sitzen Fischer und ihre Kollegen vor der kleinen Wache und beobachten die Menge, ebenso wie die Polizeibeamten. Passiert etwas, können sie schnell einschreiten. Auch wenn sich jemand in den Clubs und Kneipen verletzt, helfen die ASBler. "Später gibt es Schlägereien oder jemand stürzt auch mal betrunken vom Stuhl", meint Fischer.
Für sie kommt während der Schicht noch eine weitere Aufgabe hinzu: Werden Frauen sexuell belästigt, können sie in der Rettungsinsel Schutz suchen. "Deshalb ist immer eine Frau vor Ort", sagt die 28-Jährige. Seit drei Jahren gibt es diese Maßnahme der Stadt Erlangen, mittlerweile sind die Rettungsinseln bekannter. Die Anzahl der Frauen, die sie in Anspruch nehmen, steigt. "Samstagnacht waren es drei Mädchen", sagt Fischer. Junge Frauen, begrapscht und belästigt. Und kein Einzelfall mehr. "Das kommt in diesem Jahr häufiger vor", weil sich die Opfer sexueller Belästigung und Gewalt nun auch wirklich melden.
Die Rettungskräfte wurden diesbezüglich intensiv geschult, auch Sabrina Fischer. "Das A und O ist, auf die Mädchen zu achten", meint sie. "Wenn eine rauchen oder vor Aufregung hin und her laufen will, dann gehen wir in unseren abgesperrten Bereich, bleiben aber an der frischen Luft. Andere wollen sich einfach auf die Liege setzen und weinen." Wie lange sich die ehrenamtliche Helferin um sie kümmert, unterscheidet sich ebenfalls. "Manche gehen nach einer Viertelstunde wieder, andere bringen wir direkt in die Frauenklinik", sagt Fischer. "Auch die Polizei ist da, extra eine Polizistin, falls jemand Anzeige erstatten will."
Die Feiernden ringsherum bekommen davon nichts mit. Geht es einem gut, zieht man weiter, vorbei an weiteren Disco-Döner-Läden Richtung Schlossplatz. Viele biegen dann rechts ab, das Berg-Werk ruft. Ebenfalls eine Institution beim After-Berg. Im gesamten E-Werk tummeln sich Dirndl- und Lederhosen-Träger. Die Area im Großen Saal ist voll, auf allen schwarz-weißen Bodenfließen tanzen Menschen zu allgemeinverträglicher Musik, Mainstream, tauglich für die Massen. Und die Massen kommen. Im ersten Stock wird’s rockiger, hier stehen vor allem Männer im Tanzkreis, manche wild, andere wippend, im Dirndl fällt man dort schon mehr auf. Das Berg-Werk ist wie ein Uhrwerk, immer weiter geht die Party, verlässlich tickend, ohne Pause. Ohne Ruhe.
Geht man zurück auf die Hauptstraße, geht es weiter mit der Döner-Laden-Musik, den grölenden Halbstarken, den torkelnden Grüppchen. Für die Polizeiinspektion Erlangen-Stadt bedeuten die zwölf Kirchweih-Tage Dauer-Einsatz, auch in den After-Berg-Stunden – und erst recht am Pfingstsamstag. "Diesmal hatten wir im Zeitraum zwischen 23 und 6 Uhr 45 Einsätze, etwa 25 davon im Rahmen des After-Bergs", sagt Ralf Rupp. Seit 25 Jahren ist der Polizei-Hauptkommissar in Erlangen auch für die Bergkirchweih zuständig. "Es war normal für einen Berg-Samstag."
"High Five" mit den Polizeibeamten
Insgesamt sei es in den ersten Tagen ein "entspannter Berg" gewesen. Grund dafür sei auch das Wetter: "Ist es zu heiß, sind die Leute dampfig, ist es zu kalt und es regnet, sind sie sauer", meint Rupp. Er und seine Kollegen bekommen das Wetter also deutlich zu spüren. Aufgefallen ist den Polizisten zudem die "Freundlichkeit der Berg-Besucher", manche klatschen mit den Beamten auf ein "High Five" ab. Dass auch die Party-Erlanger nett zu den Polizisten sind, "kommt bei mir und meinen Kollegen gut an", sagt Rupp. Während der Berg-Zeit sind deutlich mehr im Einsatz als sonst, genaue Zahlen nennt die Polizei nicht.
Doch auch für sie gilt: Nach 23 Uhr ist auf der Bergwache Schluss – in der Innenstadt aber geht es weiter. Nicht für alle übrigens in Dirndl und Lederhosen. Im Wort & Klang zahlt man einen Euro Aufpreis für Trachten. Ganz ohne Eintritt feiern geht auch, zum Beispiel direkt auf der Straße. Am Hugenottenplatz hat sich eine Menschentraube gebildet, in der Mitte eine große Box. Jodel-Rufe übertönen die Musik, einige tanzen einfach auf den Pflastersteinen mit.
In gewohnter Club-Atmosphäre geht es im Erlkönig weiter. Bis 24 Uhr haben hier Frauen freien Eintritt, wer den Weg vom Berg bis hierhin in einer Stunde schafft, spart etwas Geld. Investieren kann man das dann in ein schönes Dirndl. Dann fühlt man sich in dieser Disco in bester Gesellschaft. An einer großen Bar vorbei geht es auf die Tanzfläche. Auch hier: Club-Musik. Keine 99 Luftballons, kein Saufen, keine Rosi. Doch das hat man bestenfalls ja schon einmal an diesem Abend gehört. Ein Pfeffi für zwei Euro sollte drin sein, dann spart man sich nach mehr als zwölf Stunden Bergkirchweih — rechnet man bei manchen den Frühschoppen mit ein, sind es sogar noch mehr — das Zähneputzen. Oder zumindest lindert es das Verlangen danach.
An der La Brasserie sitzen die Berg-Gänger draußen an den Tischen, an denen in wiederum weniger als acht Stunden andere schon wieder frühstücken. Es beginnt zu regnen, erst ein paar Tropfen, dann immer mehr. Was der Bergkirchweih über Pfingsten erspart blieb, erwischt nun eben den After-Berg. Zeit für den nächsten Club: das Paisley. Knapp zwei Kilometer ist man mittlerweile schon zu Fuß gegangen, von der Bergkirchweih hier herunter. Vielleicht ist dieser weite Weg auch ein Grund dafür, dass sich am Samstagabend mehr Stamm-Publikum als sonst an einem Berg-Tag im Club tummelt.
Die Tanzfläche ist voll, eine Mischung aus Dirndl, Lederhosen, High Heels, edlen T-Shirts. Doch es reicht auch ein Blick in die Gesichter, um zu sehen, wer vom Berg kommt. Von "Make-Up längst zwischen der zweiten und dritten Maß verwüstet" bis hin zu "Lippenstift erst vor zwei Minuten auf der Toilette aufgefrischt" ist alles dabei. Geknutscht wird auch. Und gefeiert. Immer weiter.
Zurück am Martin-Luther-Platz fahren um 3 Uhr Sabrina Fischer und ihre Kollegen zurück zur ASB-Rettungswache. Dass sich die 28-Jährige an diesem Abend gleich um drei Mädchen hat kümmern müssen, die sexuell belästigt worden waren, beschäftigt sie noch. "Es war emotional anstrengend", sagt Fischer. Deshalb spricht sie mit einem Kollegen darüber. "Wir sind ein super Team." Reden hilft. Auch den Helfern. "Doch ich mache das gerne, will helfen", sagt Fischer. "Irgendwann bin ich aber auch froh, wieder im eigenen Bett zu liegen." Vorher müssen die Rettungskräfte ihr Fahrzeug aufräumen. "Und zum Abschluss essen wir noch ein Eis." Dann ist der After-Berg beendet. Zumindest für diese Schicht
In den Clubs und Kneipen ist noch nicht Schluss. Macht man ein paar an einem Abend durch, hat man eine schöne Sammlung an Eintritts-Stempeln auf dem Handrücken "Ein Prosit", ein großes "E", das offizielle "Berg-Werk"-Logo und ein "Hi-Life". Die Füße spüren die Tour mittlerweile deutlich, in den Ohren hat man ein andauerndes Rauschen.
Spätestens wenn es hell wird, ist dann auch der After-Berg beendet, wenige Stunden, bevor es am echten Berg wieder los geht. Was bleibt, ist ein Spaß-Gefühl, das Wissen, dass die Party immer irgendwo weitergeht. Die echte Bergkirchweih aber hat man nur oben auf den Kellern. Was danach kommt, kann da nie und nimmer mithalten. Aber wer will nach dem Abend seines Lebens schon um 23 Uhr nach Hause gehen?
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