Im Interview

Röttenbacher rettet Menschen aus Seenot

6.6.2020, 11:00 Uhr
Röttenbacher rettet Menschen aus Seenot

© Alessandro Fucarini/ imago

Herr Stein, Sie haben zuletzt Anfang des Jahres für die Organisation Sea Eye eine dreiwöchige Rettungsmission auf der Alan Kurdi geleitet. Was haben Sie erlebt?

Wir waren – mit dem vorgeschriebenen Abstand – vor der libyschen Küste unterwegs, als uns ein Notruf aus einem kleinen 7,5 Meter langen Boot erreichte, bei dem der Motor versagt hatte. Mit 33 Menschen – darunter zwölf Kinder und zehn Frauen – war es völlig überladen.
Außerdem war schlechtes Wetter angesagt. Wir haben die Geflüchteten also aufgenommen.

Welchen europäischen Hafen wollten Sie dann anlaufen?

Wir hatten zwei medizinische Notfälle an Bord und haben zunächst Malta angefunkt. Eine schwangere Frau war so seekrank, dass ihr Körper dabei war zu dehydrieren. Von Malta hieß es dazu nur Seekrankheit sei kein Notfall – dann bekamen wir keine Antwort mehr. Es kommt meist keine offizielle Ablehnung, nur schlicht keine Erlaubnis zum Einlaufen. Wir sind dann in Richtung italienischer Gewässer gefahren, und ich bin in Kontakt getreten mit dem Bürgermeister von Palermo, der politisch eher links steht. Er hat dann mit seinem Kollegen in Pozallo an der Südküste Siziliens gesprochen, so dass wir dort einlaufen und die Menschen an Land bringen konnten.

Ihre Kollegen bei der April-Mission auf der Alan Kurdi sind noch höheren Hürden begegnet. Sie hatten 150 Geflüchtete gerettet und konnten sie erst nach tagelanger Irrfahrt einer italienischen Fähre übergeben, auf der sie wegen der Corona-Pandemie in Quarantäne kamen. Die Alan Kurdi liegt seither im Hafen von Palermo und darf nicht auslaufen. Als Grund hat das Verkehrsministerium technische Mängel angeführt . . .

Die italienische Küstenwache hat am 5. Mai eine Inspektion an Bord durchgeführt. Ich habe heute mit Gordon Isler telefoniert, dem Vorsitzenden von Sea Eye. Er hält die Gründe für fadenscheinig. Und für grotesk, denn Italien hat die Menschen ja vorher zwölf Tage lang an Bord warten lassen – ohne Sicherheitsbedenken.
Zwei tatsächliche Mängel, die es gab, sind bereits behoben. Eine Seekarte war abgelaufen – allerdings während die Alan Kurdi auf einen sicheren Hafen warten musste und nicht einlaufen durfte. Und eine Toilette war defekt.

Die Italiener haben aber darüber hinaus moniert, dass das Schiff nicht richtig ausgerüstet sei . . .

Das stimmt, da ging es um die Anzahl der Toiletten. Den Ausrüstungsstandard legt aber der Flaggenstaat fest – in unserem Fall also Deutschland. Und eine Änderung des Standards zu verlangen, liegt nicht im Ermessen der italienischen Behörden. Es geht nur darum, dass für die Crew genug Sanitäranlagen da sind. Wenn Geflüchtete zusätzlich aufgenommen werden, handelt es sich um einen Seenotfall – dafür müssen wir keine Toiletten vorsehen. Die deutschen Behörden haben den Bedenken ihrer italienischen Kollegen auch bereits widersprochen. In diesen Tagen soll es in den Ministerien beider Länder noch einmal Gespräche geben. Auch der Außenminister sollte sich dafür einsetzen, dass die Blockade des Schiffs aufgehoben wird. Sie gefährdet den geplanten Einsatz im Juni und damit Menschenleben.

Die private Seenotrettung ist aktuell komplett ausgehebelt. Das ändert aber nichts daran, dass Menschen über das Mittelmeer fliehen . . .

Natürlich nicht. Gordon Isler hat mir berichtet, dass aktuell zum Beispiel 100 Menschen vermisst sind. Flugzeuge hatten Boote geortet, doch die sind nie angekommen und es hat auch niemand geholfen.

Im September 2019 hatte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer mit seinen Kollegen aus Frankreich, Italien und Malta auf ein Verfahren bei der Seenotrettung geeinigt. Der Gewinn sollte sein, dass Rettungsschiffe mit Migranten an Bord nicht mehr tage- und wochenlang darauf warten müssen, an Land zu können, und dass ein Asylverfahren eröffnet wird. Alles hinfällig?

Die Einigung von Malta muss schnell erneuert und dauerhaft eingerichtet werden. Die Mitgliedstaaten der EU dürfen Italien und Malta bei der Aufnahme von geflüchteten Menschen nicht länger allein lassen. Es muss eine faire Verteilung geben. So steht es auch in einer Petition, die derzeit läuft – mit dem Ziel die Blockade der Alan Kurdi aufzuheben. Sie ist auf der Webseite www.sea-eye.org zu finden.

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