Schule

Schule ohne Noten: Erlanger Lehrer regt Diskussion über Schulreform an

8.6.2021, 12:30 Uhr
Das staatliche Schulsystem ist auf Noten ausgelegt - und auf Zeugnisse am Schuljahresende. Corona hat dem Konzept in diesem Schuljahr allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht. 

© Sebastian Kahnert, NN Das staatliche Schulsystem ist auf Noten ausgelegt - und auf Zeugnisse am Schuljahresende. Corona hat dem Konzept in diesem Schuljahr allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht. 

Endspurt für Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer: Das Corona-Schuljahr neigt sich dem Ende zu. Ein verlorenes Schuljahr, meinen viele - auch wenn seit den Pfingstferien fast überall voller Präsenzunterricht stattfindet. In der langen Zeit des Distanzunterrichts kam, so viel steht fest, auf jeden Fall das soziale Miteinander zu kurz. Wie hoch hingegen die Lücken beim vermittelten Stoff sind, lässt sich weniger gut einschätzen. Das sollen nun die Lehrer in den nächsten Wochen herausfinden. Ohne Notendruck, betont das Kultusministerium. Gut so, findet Nicolas Schmidt. „Bei Noten geht es immer auch um Angst. Dass man versucht, diese jetzt zu nehmen, ist positiv für die Schülerinnen und Schüler, die im Homeschooling Schwierigkeiten hatten und befürchten, in der Schule zu versagen.“

Doch Schmidt, der an einem Erlanger Gymnasium Englisch, Sozialkunde und Geschichte unterrichtet, geht dies längst nicht weit genug. Der erklärte Notengegner sieht in der gegenwärtigen Situation die Chance für eine überfällige tiefergreifende Reform der staatlichen Schulen. Momentan vermisst er solche inhaltlichen Ansätze. Gesprochen wird über die Digitalisierung an den Schulen, über die sozialen Defizite, darüber, was Corona anrichtet. „Man sagt, das ist jetzt eine Ausnahmesituation und wir tasten uns nun heran und schauen, was bei den Schülern passiert ist. Aber sobald es geht, fangen wir wieder richtig mit Schule an.“

Lernen mit Interesse und Neugierde

Doch was ist das: „richtig Schule“? Was bringt eigentlich Kinder und Jugendliche dazu, mit Interesse, Neugierde, vielleicht sogar Hingabe Neues zu lernen? Vor einigen Jahren wurde Nicolas Schmidt mit dem „Deutschen Lehrerpreis“ ausgezeichnet. Schüler hatten ihn dafür vorgeschlagen.

Angstfrei und respektvoll sei sein Unterricht, er schaffe es, zugleich strenger Lehrer zu sein und ein Ansprechpartner, an den man sich vertrauensvoll wenden kann, führten sie an. Als Poetry-Slammer und mit zwei Büchern hat Schmidt als sein Alter Ego „Herr Schmied“ verdeutlicht, worauf es ihm ankommt: Dass „Lehrer sich trauen, als Menschen anzutreten und nicht primär als Pädagogen, und Schüler sich trauen, Fragen zu stellen und Antworten zu geben, die ihre eigenen sind und nicht die des Lehrers“.

Das sechsstufige Notensystem ist aus Schmidts Sicht für das Erbringen echter Leistungen jedenfalls eher hinderlich und gehört auf den Prüfstand. „Wir sollten diese unklare Zeit, in der alles im Fluss und im Wandel ist, nutzen, um Leistung und Leistungsbereitschaft neu zu denken“, sagt er. „Ich fände es wichtig, in eine breite Diskussion zu gehen darüber, wie man Leistung und Disziplin ohne das uralte Noten-Instrumentarium fördern kann.“ Im Grunde seien Noten oftmals sogar kontraproduktiv zu dem, was mit ihnen erreicht werden soll. „Die Fixierung auf Noten checken die Kids sehr schnell. Dann wird eben für eine mündliche Abfrage oder einen schriftlichen Test gelernt, aber sobald der rum ist, schalten sie ab und zwar sogar in Fächern, die sie eigentlich interessieren.“ Auch bei Kollegen, die viel Arbeit, Engagement und tolle Ideen in ihren Unterricht einbringen, nimmt Schmidt die Enttäuschung wahr, die sich breit macht, wenn Kinder bei einem spannenden Stoff eigentlich nur eines interessiert: Kommt das in der Schulaufgabe dran?

Nicolas Schmidt erhielt vor einigen Jahren den Deutschen Lehrerpreis.

Nicolas Schmidt erhielt vor einigen Jahren den Deutschen Lehrerpreis. © Harald Sippel

Angst überlagert die Freude an Dingen

Dass es mitunter eine Art von Druck braucht, damit sich Jugendliche auch in ihnen unliebsamen Fächern anstrengen und lernen, stellt Nicolas Schmidt dabei gar nicht in Frage. „Wenn jemand sagt, dass intrinsische Motivation den Druck von außen überflüssig macht, dann halte ich das für eine Illusion. Die Steuererklärung macht auch keiner freiwillig.“ Sehr schade, ja eigentlich traurig findet er indes, dass Angst und Druck, der über die Noten kommt, echtes Interesse, die Freude an den Dingen und Inspiration überlagern. „Wir Lehrer müssten ein anderes Instrumentarium zur Hand haben. Eines, das nicht so mit Macht besetzt ist.“ Die Noten einfach abschaffen und dann ist alles gut: Das ist es also nicht. Jetzt, wo die etablierten Mechanismen ausgehebelt sind, sei es an der Zeit, Schule neu zu denken. Es gebe andere Möglichkeiten als Noten, Schüler dazu zu bringen, sich mit erstmal als unangenehm empfundenen Stoffgebieten und Themen zu beschäftigen. Für Lehrer wiederum bindet die Planung und Durchführung des Notensystems im Schulalltag sehr viel Zeit und Energie.

Ein Schulsystem ohne Noten: Welche Möglichkeiten gibt es dann, die Absolventen einzuordnen? Und würde sich damit nicht das dreigliedrige Schulsystem erübrigen? „Da gibt es verschiedene Modelle“, sagt Nicolas Schmidt. Notengebung am Ende der Schulzeit oder hinterher in einem „Assessment Center“: Allen gemeinsam ist, dass viel Druck aus den Schulen herausgenommen wird. Klar habe auch das seine Kehrseiten, „aber das würde ich eher in Kauf nehmen als das, was das Dauerfeuer an Noten bei den Kindern anrichtet“.

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