Sie muss das Sprechen wieder lernen

5.3.2018, 18:36 Uhr
Sie muss das Sprechen wieder lernen

© Rudolf Ott

 Eine ältere Dame betritt gut gelaunt den Behandlungsraum, sie lächelt. Freundlich begrüßt sie die Therapeutin. Seit zweieinhalb Jahren betreuen Studierende und Lehrlogopäden der Berufsfachschule in Erlangen Christine Schuch (Name geändert). Übungen helfen ihr, das Lesen und Formulieren von Sätzen wieder zu erlernen. Die Patientin soll in einem Satz ein Bild beschreiben. Es ist still, Schuch ist auf das Foto fixiert und bewegt ihre Lippen. "Der Hase fressen – und die, wie heißt die? (Pause) Möhren. Das ist schwörig." Die Therapeutin wiederholt: "Genau, der Hase frisst Möhren." Zufrieden lächelt Schuch.

Patienten nach einem Schlaganfall können Sprach- und Wortfindungsstörungen haben. Zusätzlich zur wöchentlich stattfindenden Therapiesitzung übt Schuch mehrfach täglich, um sich sprachlich wieder zu verständigen und Texte flüssig zu lesen.

1967 gründete der Phoniatrie-Klinikleiter Gerhard Kittel die Berufsfachschule für Logopädie (die Phoniatrie behandelt Stimm-, Sprech-, und Sprachstörungen). Die Anforderungen an die Tätigkeit veränderten sich in den vergangenen 50 Jahren durch wissenschaftlichen Fortschritt, gesellschaftlichen Wandel sowie bildungs- und gesundheitspolitische Veränderungen.

Neue Forschungsergebnisse in Medizin, Psychologie und Linguistik erfordern neue Behandlungswege: Logopäden arbeiten mit Sprach-, Stimm-, und Sprechstörungen. Heute gehören Schluckprobleme und Sprachtherapie bei Mehrsprachigkeit oder Demenz ebenfalls zu ihrem Aufgabenbereich. "Ein Drittel unserer Patienten benötigen therapeutische Unterstützung aufgrund einer Sprachentwicklungsstörung. Zunehmend kommen Kinder mit Mehrsprachigkeit in die Therapie", sagt Sabine Degenkolb-Weyers, Studiengangskoordinatorin und Schulleiterin in Erlangen.

Akademisierung

Logopäden bearbeiten Sprach- und Sprechstörungen mittlerweile unter wissenschaftlich fundierten Gesichtspunkten. Diagnostik und Therapiekonzepte entwickeln sie auch im interdisziplinären Team. Neue Tätigkeitsbereiche benötigen wissenschaftliche Forschung. Seit 2009 ermöglicht eine Modellklausel einen akademischen Ausbildungsweg. Von Anfang an lernen die Studenten dabei wissenschaftlich zu arbeiten. "Aus der Berufsfachschule ist ein anwendungsorientierter Bachelor Studiengang geworden. Der Schwerpunkt liegt in der Verbindung der theoretischen, praktischen und wissenschaftlichen Logopädie", so die Schulleiterin.

Sie muss das Sprechen wieder lernen

© Rudolf Ott

Bis 2021 soll die Regierung ein Berufsgesetz, das den akademisierten Ausbildungsweg festlegt, verabschieden. Der Deutsche Berufsverband für Logopädie (dbl) sieht diese Entwicklung positiv. "Angesichts der positiven Evaluation des Modellstudiengangs befürworten wir die hochschulische Ausbildung und fordern eine Novellierung des Berufsgesetzes", so Antje Krüger, Mitglied im Bundesvorstand des dbl.

Ziel der Akademisierung ist, den Beruf durch evidenzbasiertes Handeln weiterzuentwickeln und den Logopäden zu ermöglichen, eigenständig therapeutisch zu handeln.

Christine Brändle studiert im dritten Semester Logopädie in Erlangen. "Ich erhoffe mir bessere Berufs- und Aufstiegschancen durch die wissenschaftliche Ausbildung. Zusätzlich sollten Masterstudiengänge angeboten werden, die Forschung ermöglichen." Bis zum Ende der Modellphase haben die Studierenden einen Doppelstatus, denn sie sind gleichzeitig Schüler und Studenten. Möglich ist das durch eine Kooperation der medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität und der Berufsfachschule.

Auch in Zukunft werden sich der Beruf des Logopäden und die logopädische Ausbildung aufgrund neuer Forschungsergebnissen stetig verändern. Die 56-jährige Schuch wird noch mehrere Therapiesitzungen benötigen, um die Folgen ihres Schlaganfalls auszugleichen. In jeder Sitzung macht sie kleine Fortschritte, über die sie sich zusammen mit den Studierenden freut.

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