So leiden Studierende in Erlangen unter der Pandemie
2.4.2021, 12:28 UhrFrau Provan-Klotz und Frau Gärtner, junge Menschen sollen psychisch besonders unter der Pandemie und den mit ihr verbundenen Schutzmaßnahmen leiden. Spiegelt sich das in Ihrer Arbeit wider?
Sigrid Gärtner: Während des ersten Lockdowns zeigte sich bei einigen Studierenden eine Art "Schockstarre", da sich aufgrund der neuen Situation vieles sehr plötzlich für sie geändert hat. Es bestand viel Unsicherheit, ob und wie die Sitzungen stattfinden können und bei manchen war zu Beginn noch die Stimmung: Das halte ich durch. Während des zweiten Lockdowns sind Nachfrage und Anmeldungen stark gestiegen.
Elizabeth Provan-Klotz: Besonders die Studierenden aus dem Ausland sind stark betroffen, weil sie weit weg von Zu Hause sind und sich Sorgen machen, wie es in der Heimat aussieht. Wir haben nicht nur viele Neuanmeldungen. Auch Studierende, die vor ein oder zwei Jahren Betreuung gebraucht haben, sind zurückgekommen.
Gibt es aktuell Hauptanliegen, mit denen sich die Studierenden an Sie wenden?
Provan-Klotz: Vor allem die Einsamkeit macht zu schaffen, was sich in vielen Symptomen und Störungsbildern ausdrückt. Man kann sehen, dass die Pandemie wie ein Katalysator wirkt. Was bereits vorhanden ist, wird oft verstärkt. Angst ist ein großes Thema. Angst, sich selbst oder Familienmitglieder anzustecken. Angst, finanziell nicht mehr über die Runden zu kommen, weil der Job in der Kneipe oder in der Bibliothek wegfällt. Angst, den Studienalltag mit den vielen Prüfungen nicht mehr bewältigen zu können. Dazu kommen noch Zukunftsängste, die bei jungen Menschen normal sind, aber nun noch verstärkt werden: Führt die Pandemie dazu, dass ich nach dem Studium keine Anstellung bekomme? Durch die stark eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten verbringen viele Studierende zu viel Zeit vor dem Bildschirm oder in den sozialen Netzwerken.
Gärtner: Gerade auch Studierende im ersten Semester können in Probleme geraten. Weil das Studentenleben in Erlangen durch die Pandemie ganz anders ist als es erwartet wurde und die Anschlussmöglichkeiten im Studium durch fehlende Präsenzveranstaltungen sehr erschwert sind.
Schränken die Corona-Schutzmaßnahmen auch Ihre Hilfsmöglichkeiten ein?
Provan-Klotz: Das Erarbeiten individueller Bewältigungsstrategien ist durch die momentanen Einschränkungen erschwert. Stressabbau im Fitnessstudio oder ein gemeinsames Mittagessen mit der Freundin in der Mensa – das geht ja zurzeit nicht. Trotzdem ermutige ich die Studierenden, so viel Zeit wie möglich an der frischen Luft zu verbringen und Routinen aufzubauen. Wichtig ist auch, die Arbeit und Freizeit räumlich voneinander zu trennen.
Wie hat sich Ihre Arbeit durch die Pandemie verändert?
Gärtner: Wir haben schnell umgestellt auf Telefon und Video. Die Studierenden waren froh, dass es trotzdem ein Angebot gibt, auch wenn sie lieber persönlich gekommen wären. Nur in Ausnahmefällen gibt es noch persönliche Treffen, etwa therapeutische Spaziergänge.
Welche Ausnahmefälle?
Gärtner: Zum Beispiel bei suizidalen Gedanken oder technischen Problemen. Der jeweilige Psychologe entscheidet im Einzelfall, ob ein persönliches Treffen angebracht ist.
Provan-Klotz: Wenn sich im Gespräch per Video oder Telefon herausstellt, dass der Betroffene traumatische Erfahrungen erlebt hat, ist es oft notwendig sich persönlich zu treffen, um ausreichend Sicherheit und Schutz zu bieten.
Was bleibt auf der Strecke, wenn Sie sich nicht mehr einfach so mit Ihren Schützlingen persönlich treffen können?
Provan-Klotz: Technische Probleme, das Bild friert ein oder der Ton ist weg, können das Videogespräch sehr stören. Auch, wenn ein Mitbewohner ohne zu klopfen ins Zimmer kommt. Die Ablenkung spielt ebenfalls eine Rolle, manchmal merkt man, dass der Studierende noch andere Programme auf dem Computer offen hat oder nebenbei aufräumt. Kleine Gesten, wie das Reichen eines Taschentuchs, sind über Video nicht möglich. Das kann den Beziehungsaufbau zum Psychologen erschweren.
Gärtner: Schwierig finde ich auch, dass der geschützte Raum wegfällt. In unserem Besprechungszimmer waren die Studierenden es immer gewöhnt, dass wir unter uns sind und nicht gestört werden. Man muss aber auch sagen, dass es manchen vielleicht leichter fällt, zum ersten Mal mit einem Psychologen über die eigenen Probleme zu sprechen, wenn sie das nicht persönlich machen müssen.
Für Sie war es ja ebenfalls neu, intimste Dinge über den PC-Bildschirm zu erfahren.
Provan-Klotz: Das war sehr ungewohnt. Und ich merke immer noch, dass es teilweise sehr anstrengend ist, den ganzen Tag per Video zu arbeiten. Wenn man nur den Oberkörper der Betroffenen sieht und ihre Stimme hört, fehlen Informationen. Diese Lücken muss man dann irgendwie füllen, das kostet Kraft und Energie.
Gibt es auch Aspekte der veränderten Arbeitsweise, die Sie nach der Pandemie gerne beibehalten würden?
Gärtner: Wir wollen, dass die Gespräche in erster Linie persönlich stattfinden, wenn es die Situation wieder erlaubt. Das Angebot, über Telefon oder Video zu sprechen, kann ich mir aber als Ergänzung gut vorstellen. Gerade für Studierende, die nicht das ganze Jahr über hier in Erlangen sind.
Haben Sie momentan genug Kapazitäten, um alle Studierenden, die Bedarf haben, zu betreuen?
Gärtner: Aufgrund personeller Veränderungen sind unsere Kapazitäten eingeschränkt. Wir geben aber unser Bestes.
Provan-Klotz: Wir haben kürzere Wartezeiten als niedergelassene Therapeuten. Und die Möglichkeit, in der offenen Sprechstunde für 15 oder 20 Minuten erstmalig mit uns zu sprechen, gibt es immer. Uns ist wichtig, dieses niedrigschwellige Angebot beizubehalten.
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