TV-Reportage: Für die Kahles ist Bio nur noch ein Etikett
6.4.2014, 17:56 UhrNZ: Ende der 1980er Jahre sind Sie von Niedersachsen nach Baiersdorf gezogen und haben aus Ihrer Garage heraus biologisch produzierte Waren verkauft. Wie haben die Nachbarn reagiert?
Wolfram Kahle: Sie waren nicht begeistert von dem Betrieb in der vormals ruhigen Seitenstraße. Wir haben in der ersten Zeit ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Während die Alteingesessenen sehr verhalten reagierten, waren die ersten Kunden vor allem Zugezogene. Sie kannten Biolebensmittel bereits aus den Städten. Es hat lange gedauert, bis die Einheimischen in unseren Laden kamen.
NZ: Sie fühlten sich also wie Pioniere?
Wolfram Kahle: Ja. Wir haben für unseren kleinen Laden viel geworben und Handzettel verteilt. Das war mühsam. In unserem Garagenladen haben wir Naturkost und Naturwaren angeboten – von Schuhen über Spielzeug bis hin zu Umweltschutzpapier.
NZ: Warum gab es so viele Vorurteile?
Wolfram Kahle: Naturkost und Biovermarktung wurde mit den Grünen gleichgesetzt. Und die Partei hatte selbst mit vielen Vorbehalten zu kämpfen. Dabei haben viele Bürger in ihrer Kindheit eigentlich eine biologische Landwirtschaft erlebt, ohne Gift und Kunstdünger. Dass Bio das Ursprüngliche ist, das ist nicht in allen Köpfen angekommen.
NZ: Nach zwei Jahren haben Sie expandiert und einen Laden im Ort eröffnet.
Wolfram Kahle: Eine Familie hatte uns ein Geschäft an der Hauptstraße vermietet. Eines Tages kam eine Kundin herein und legte ihre Tasche auf den Tresen. Auf der Tasche klebte ein großer CSU-Aufkleber. Da hab ich gedacht: Jetzt sind wir mit unserer Idee angekommen. Der Slogan unseres ersten Ladens war: natur- und menschenfreundliche Produkte. Wir wollten nicht nur gesunde Produkte verkaufen, sondern auch eine bestimmte Haltung vermitteln: Die Natur sollte geschont werden.
Christina Kahle: In unserem Geschäft standen zum Beispiel Nachfüllkanister. Wer wollte, konnte seine leere Shampooflasche hier auffüllen. Zu unserer Philosophie gehört es auch, Müll zu vermeiden.
NZ: In den 1990er Jahren haben Sie mit Geschäftspartnern zahlreiche BioMarkt-Läden betrieben. Sie waren erfolgreich und sind dennoch im vergangenen Jahr ausgestiegen. Warum?
Wolfram Kahle: Die Qualität von Biolebensmitteln hat mit dem Preisdruck abgenommen. Das hat auch mit der Einführung der EG-Bio-Verordnung zu tun. Nach dieser dürfen Erzeuger heute Produkte „Bio“ nennen, die nach den Kriterien von demeter oder Bioland keineswegs den Titel bekommen würden. Die Kriterien wurden aufgeweicht. Biolebensmittel sind heute Massenware. Es ist ein Markt der Konzerne geworden. Der kleine Erzeuger oder Hofladen ist inzwischen die Ausnahme.
NZ: Was verstehen Sie unter dem Begriff Bio?
Christina Kahle: Bei der Produktion von Lebensmitteln soll es allen Beteiligten – dem Mensch, dem Tier, der Pflanze – gutgehen. Bewahrung der Bodenfruchtbarkeit und Respekt vor der Schöpfung sind wichtig. Massentierhaltung lehnen wir ab, egal ob Bio oder nicht. Wenn es möglich wäre, die Milch ohne die Kuh und nur noch mit Eutermaschinen zu produzieren, dann würde auch das gemacht werden. Tierisches Leid zählt nicht. Es geht heute darum, möglichst viel und mit einer hohen Gewinnspanne zu produzieren. So sieht die Realität aus.
NZ: Der Bauer soll sein Schwein also wieder kennen?
Christina Kahle: Genau. Regionalität ist sehr wichtig. Der Kunde soll wissen, wo die Lebensmittel herkommen und dass diese nicht durch halb Europa gefahren wurden. Der Kunde bestimmt durch seinen Einkauf das Angebot in den Geschäften.
Wolfram Kahle: In der Biobranche ist bei vielen die Überzeugung auf der Strecke geblieben – beim Erzeuger und beim Kunden. Alles muss billig sein, und so wird Bio zu einem reinen Lippenbekenntnis. Wir sind nicht mehr bereit, ein Rädchen im Getriebe einer falschen Entwicklung zu sein.
NZ: Im vergangenen Jahr haben Sie ihren letzten BioMarkt in ErlangenBuckenhof geschlossen. Haben Sie mit der Branche abgeschlossen?
Wolfram Kahle: Nein, wir stehen zu echtem Bio. Wir engagieren uns in einer Hofgemeinschaft und beraten kleine Betriebe. Im Sommer wird der BioMarkt Buckenhof unter neuer Leitung wieder eröffnet.
Die 54-minütige Reportage von Medien Praxis e. V. wird in zwei Teilen im FrankenFernsehen gezeigt. Am Sonntag läuft der erste Teil; am 13. April der zweite Teil – jeweils um 19.30 und 21.30 Uhr.
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