Vorlesetag in Erlangen: Menschen die ein bisschen anders sind
23.11.2015, 05:58 UhrUnter den Vorlesern war auch eine junge Frau mit Down-Syndrom. Conny Albert stand den Kindern nach der Lesung noch Rede und Antwort.
Zahlreiche Studien belegen die positiven Auswirkungen von Vorlesen. Es unterstützt die individuelle Entwicklung von Kindern und wirkt sich positiv auf die schulischen Leistungen aus. Es führt hin zum Selberlesen und ebnet somit den Weg zu Bildung. Und darüber hinaus zeigt eine aktuelle Studie, die die Initiatoren des bundesweiten Vorlesetags – die Stiftung Lesen, die Wochenzeitung Die Zeit und die Deutsche Bahn Stiftung – in Auftrag gegeben haben, dass regelmäßiges Vorlesen das soziale Empfinden und Verhalten von Kindern positiv prägt und somit den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt.
Oder auch: Vorlesen fördert den Austausch. Das war nun auch in der Erlanger Stadtbibliothek der Fall. Hier gab es Lesungen mit Büchern des hiesigen Stachelbart-Verlags. Die Helden dieser Bücher sind oft „ein bisschen anders“, wie es der Verlag selbst formuliert. So las am Vormittag Oberbürgermeister Florian Janik Kindern der Grundschule Büchenbach-Dorf aus einem Bilderbuch vor, das davon erzählt, wie eine blinde Mutter ihren Lebensalltag meistert.
Im Anschluss las Conny Albert Viertklässlern der Loschge-Grundschule aus dem Buch „Warum Vampire nicht gern rennen“ vor. Eine der Hauptfiguren des Buchs, die kleine Carolin, hat das Down-Syndrom. So wie Conny Albert, die souveräne Vorleserin. Klar, dass sie im Anschluss etliche Fragen zu beantworten hat – gemeinsam mit dem Autor des Buchs und Professor für Kinderheilkunde Holm Schneider. Dieser stellt klar, dass es die Figuren aus dem Buch im echten Leben gibt.
Nichts daran ist schlimm
Und Conny Albert erklärt, dass das einzige, was an der Carolin aus der Geschichte anders sei, das Down-Syndrom ist. „Das ist halt in ihr drin.“ Schlimm sei daran nichts. Das leuchtet den Kindern ein. Ein Mädchen sagt: „Jeder hat eben seine Stärken und Schwächen.“ Warum Carolin schräg liegende Augen habe, möchte ein anderes Kind wissen. „Das liegt an ihrer Besonderheit“, sagt Conny Albert. „Menschen mit Down-Syndrom sehen halt ein bisschen anders aus, aber ansonsten sind die auch nicht schlecht.“
Das Kind im Buch, die kleine Carolin, könne eben „gut trösten“, greift Conny Albert einen Satz aus dem Buch auf. Das fällt ihr leicht, sie habe ein fotografisches Gedächtnis, sagt sie – nach der Lesung. Hier gibt die 27-Jährige gegenüber den Erlanger Nachrichten Auskunft über sich selbst. Und das hört sich fast nach einer eigenen Geschichte an.
Bücher liebt Conny Albert über alles. Seit ihrer Kindheit schreibt sie selbst Geschichten, am liebsten Krimis, seit einigen Jahren besucht sie eine Schreibwerkstatt in der Volkshochschule. „Noch mal lesen“ sei der Standardsatz ihrer kleinen Tochter beim Vorlesen gewesen, erinnert sich ihre Mutter Gabriele Albert. Später, während ihrer Schullaufbahn, erzielte Conny Albert nicht nur im Fach Deutsch oftmals sehr gute Leistungen.
Viele Bewerbungen und viele Absagen
Nach dem Besuch einer Diagnose- und Förderklasse an der Jean-Paul-Schule besuchte sie Regelschulen – zuerst die Heinrich-Kirchner-Grundschule, danach die Hauptschule, schließlich die Wirtschaftsschule, wo sie die Mittlere Reife machte. Danach absolvierte sie bei der Oberfinanzdirektion in Nürnberg eine Ausbildung zur Fachangestellten für Bürokommunikation. Es folgten viele Bewerbungen, unter anderem bei der Stadt Erlangen, und viele Absagen.
Eine Stelle bekam sie schließlich bei der Verkehrspolizei. Dort ist man mit der jungen Frau sehr zufrieden, schätze ihre rasche Auffassungsgabe beispielsweise beim Auswerten von Excel-Tabellen, sagen ihre Eltern. Und fürchten, dass die befristete Stelle nicht verlängert werden kann. „Sie ist der Aufgabe definitiv gewachsen“, bekräftigt Professor Holm Schneider.
Doch das sind Dinge aus der Erwachsenenwelt. Vor den Kindern der Loschgeschule dagegen muss Conny Albert aus ihrer Kindheit erzählen. Wie im Buch sei es auch bei ihr so gewesen, dass andere Kinder in der Schule sie geärgert haben, bekennt sie. Von Seiten der Lehrer, das wird bei ihren Worten deutlich, gab es nie eine richtige Aufklärung darüber, was es mit ihr und dem Down-Syndrom auf sich hat.
Vielleicht deshalb, und nicht nur, weil sie Bücher liebt, war Conny Albert nun gern Vorleserin. Austausch fördern – das kann Vorlesen.
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