Wie der Erlanger Stadtwerke-Kamin Hoffnung bringt
1.5.2018, 18:00 UhrEs ist mit das Schrecklichste, das Eltern erleben können: Das eigene Kind erhält die Diagnose Krebs. Den Dezember 2015 wird Virginie Pommel nie vergessen. Fünf Jahre war ihr Sohn damals alt, als festgestellt wurde, dass er Leukämie hat. Bis Juli 2017 dauerte die Behandlung, zwei Chemotherapien, Knochenmark-Transplantation, die meiste Zeit dieser eineinhalb Jahre war das Kind auf der onkologischen Station der Kinderklinik und die Eltern abwechselnd mit ihm.
Immer wieder sucht Virginie Pommel während der schweren Zeit der Therapie einen kleinen Ausgleich, macht Spaziergänge durch die Innenstadt — und greift zum Fotoapparat. Dabei gerät ihr der Kamin der Erlanger Stadtwerke zum Leitmotiv. Denn sie stellt fest, dass er von sehr vielen Stellen in der Stadt aus zu sehen ist.
"Ein wohlwollender Ankerpunkt"
Der Kamin sei für sie ein Symbol von Erlangen geworden, sagte sie hinterher — "ein Symbol der Stadt, die meinem Sohn hilft und ihn beschützt. Für mich ist der Kamin ein wohlwollender Ankerpunkt geworden." Die Erlanger Stadtwerke zeigten eine Ausstellung der Kamin-Fotos von Virginie Pommel, die sich den Künstlernamen elpom gegeben hat, im vergangenen Herbst. Und beim Tag der offenen Tür im Oktober wurde damit ein Suchspiel verknüpft: Die Besucher sollten erraten, von welchen Orten aus die Fotos entstanden waren. Teilnahmekarten gab es gegen eine Spende für die Initiative "Eltern krebskranker Kinder in Erlangen e.V.". 1000 Euro kamen schließlich zusammen.
"Die Geschichte", sagt Virginie Pommel heute, "geht weiter". Im Januar habe die Familie sich freuen können, dass die Knochenmark-Transplantation ihres Sohnes ein Jahr zurückliegt — ohne Rückfall, ein Grund zum Feiern. Jetzt hat Professor Markus Metzler, der Leiter der Kinderonkologie, Virginie Pommel eingeladen, ihre Fotos in der José-Carreras-Tagesklinik auszustellen. "Eine Premiere für uns", wie er sagt, eine Ausstellung habe man noch nicht gezeigt. Für sie sei das eine "Rückkehr zum Ursprung", erklärt die Fotografin.
Foto-Verkauf zugunsten der Initiative "Eltern krebskranker Kinder"
Am Freitag, bei der Vernissage, wurde eines der Fotos versteigert — für 300 Euro, die ebenfalls wieder im vollen Umfang der Elterninitiative zugute kommen, ebenso wie das Geld, das der Verkauf der Bilder einbringt. Sieben Bilder — es gibt sie in limitierter Auflage — für insgesamt 700 Euro wurden an diesem Tag verkauft.
Durch die Ausstellung wird also die Elterninitiative unterstützt und damit all diejenigen, die in einer ähnlichen Lage sind wie die Fotografin vor nicht allzu langer Zeit. Vor allem aber macht die Ausstellung Mut, besonders wenn man weiß, was dahinter steckt — nachdem man sich zuvor vielleicht gewundert hat, warum hier ausgerechnet ein schnöder Schornstein in Szene gesetzt wird. Virginie Pommel kann das alles erklären, jetzt vor allem, wo sie mit ihrer Familie "in einer neuen Normalität" lebt, in der Zeit nach der Krankheit. "Das bedeutet, dass wir alle wieder zusammenleben, dass wir uns als Familie wiederfinden", sagt sie, und dabei klingt an, dass hinter der Familie eine Zeit liegt, die eine Zerreißprobe für alle war — das Hin und Her zwischen der Klinik und dem Zuhause.
Trauer, Angst, Hoffnung
"Hier, in der Klinik, das ist für mich ein bisschen wie zuhause", sagt Virginie Pommel, die aus Frankreich stammt, seit 13 Jahren in Deutschland lebt und vor acht Jahren mit ihrem französischen Mann nach Erlangen kam, dann aber auch.
Verknüpft mit der Klinik sind für sie vielerlei Gefühle, "ich war traurig, ich hatte Angst". Auch Hoffnung war dabei, ihr Chef habe ihr — sie arbeitet als Ingenieurin — gesagt: "Du hast Glück im Unglück — diese Station ist die beste in Europa", erzählt sie.
Doch dies ist nur ein Teil der Wahrheit und kann die Verzweiflung der Betroffenen nicht überdecken. Jeden Morgen, wenn der Arzt zur Blutentnahme kam, habe ihr Sohn zu einer Abwehrstrategie gegriffen, er habe mit dem Finger zurück gepiekst. "Ich habe die Kunstabwehrstrategie gewählt", sagt Virginie Pommel, die dann eben zu "elpom" wurde. Und ihr Mann habe begonnen, Mini-Comics zu zeichnen.
Kunst kam dauerhaft in ihr Leben
Überhaupt kam durch die Krankheit die Kunst dauerhaft ins Leben der Familie. Virginie Pommel hat beschlossen, ihre Leidenschaft für Arbeiten mit Keramik auf neue Füße zu stellen. Sie hat nun ein Atelier im Kreativlabor in der Schiffstraße 7 — in der früheren Galerie "Hinz und Kunst" — bezogen. Neben ihrer bisherigen Ingenieursarbeit will sie als Keramikerin und weiterhin als Fotografin tätig sein. Unter dem Titel "Wiedergeburt" plant sie für den Herbst eine Ausstellung mit Keramik und Fotos in der Galerie Nordkurve in Nürnberg. "Es geht um Transplantation", sagt sie, "es ist sehr positiv, dass man damit Leben retten kann."
Erlangen sieht Virginie Pommel inzwischen mit neuen Augen, "diese Stadt hat viele Sachen, die wir erst allmählich entdecken", sagt sie. So wie den Kamin, der ihr vorher gar nicht so besonders aufgefallen war. An ihm konnten sich ihre Augen festhalten.
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