Wie funktioniert Multikulti? Eine Mauritierin kennt sich aus

22.8.2015, 12:00 Uhr
Wie funktioniert Multikulti? Eine Mauritierin kennt sich aus

© F.: Julia Beeck

Für die islamkritische Pegida-Bewegung hat Bilkiss Atchia-Emmerich überhaupt kein Verständnis. „Für mich steht Deutschland für Toleranz und Weltoffenheit. Es ist schlimm, dass die Pegida-Bewegung ein so großes mediales und auch politisches Gewicht bekommen hat.“ Gott sei Dank gebe es aber auch genügend Gegendemonstrationen. Das mache ihr Mut.

Toleranz und Weltoffenheit sind Atchia-Emmerich wichtig. Schon als kleines Kind sind ihr diese Werte geläufig. Atchia-Emmerich stammt aus Mauritius. Ein Inselstaat im indischen Ozean, etwa 870 Kilometer östlich von Madagaskar gelegen. „Auf Mauritius leben viele Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und unterschiedlicher Religionszugehörigkeit friedlich miteinander. Mauritius ist gewissermaßen ein Vorbild für eine gelebte multikulturelle Gesellschaft. Damit bin ich aufgewachsen und das hat mich geprägt“, erklärt sie. In sechs Sprachen ist Atchia-Emmerich zu Hause; sie spricht fließend französisch, englisch und kreolisch. Hinzu kommen Urdu und Gujarati, die auch im Norden von Indien gesprochen werden. „Ein Teil meiner Verwandtschaft stammt aus Indien. Meine Mutter ist dort geboren und die Sprachen werden in meiner Familie immer noch gepflegt“, erklärt sie. Außerdem beherrscht sie die deutsche Sprache. „Deutsch ist meine besondere Leidenschaft“, sagt Atchia-Emmerich und lächelt. „Mein Vater, der umfassend humanistisch gebildet war, hätte sich damals gewünscht, dass ich Latein und Altgriechisch lerne“, erinnert sie sich. „Aber ich wollte die Werke von Goethe und Schiller im Original lesen“, erklärt sie ihr frühes Interesse.

Nach der Schule studiert sie Germanistik an der Universität in Antananarivo, in Madagaskar. Richtig wohl fühlt sie sich dort anfangs nicht. „Auf Madagaskar ist die Armut groß. Das war damals ein echter Schock. Ich kannte das nicht, denn der Lebensstandard ist auf Mauritius ganz anders.“ Sie engagiert sich unter anderem für die Alphabetisierung der Straßenkinder und setzt sich gegen die Brandrodung der Tropenwälder ein.

Während ihres Studiums kommt die heute 44-jährige zum ersten Mal nach Deutschland. Nach München, wo sie am Goethe-Institut eine mehrmonatige Lehrerfortbildung macht. „Das war eine sehr interessante Zeit, es war kurz nach dem Mauerfall.“ Sie besucht Prag und Budapest und natürlich Weimar. „Ich musste doch unbedingt das Wohnhaus von Schiller und das von Goethe besichtigen“, sagt sie.

Doktorarbeit in Erlangen

Nach ihrem Studium geht Atchia-Emmerich zurück nach Mauritius und arbeitet dort als Deutschlehrerin an einem Gymnasium. „Eine Sprache zu vermitteln und so andere Menschen dafür zu begeistern, macht einfach Spaß.“ Außerdem sei Mauritius eine wunderschöne, subtropische Insel. „Ich habe gerne dort gelebt. Die meisten Menschen haben ihre Häuser im höher gelegenen Landesinneren, da ist es etwas kühler. Außerdem weht immer eine erfrischende Meeresbrise“, sagt sie.

Trotz dieser vielen Vorzüge, entschließt sie sich nach einigen Jahren nach Deutschland zu gehen, um einen deutschen Universitätsabschluss zu machen; eine Doktorarbeit über Identitäten in multikulturellen Gesellschaften folgt. „Dass die Wahl damals auf Erlangen fiel, war eigentlich Zufall. Ein Bekannter von mir studierte damals hier und hat mir von Erlangen vorgeschwärmt“, erzählt sie. Während ihrer Promotion hält sie Seminare und Vorlesungen an der Friedrich- Alexander Universität und unterrichtet im Sprachenzentrum Deutsch als Fremdsprache. Sie lernt ihren jetzigen Mann, einen Unterfranken, kennen. Einige Zeit später heiraten sie und bekommen Zwillinge. Zwei Mädchen, die inzwischen sieben Jahre alt sind.

„Achtung und Respekt“

Heute ist Atchia-Emmerich im Vorstand des Ausländer- und Integrationsbeirates der Stadt Erlangen. Kein Wunder, denn sie ist praktische wie theoretische Expertin für das Leben in multikulturellen Gesellschaften.

„Im Grunde geht es immer um Toleranz“, weiß sie. „Es geht um die Achtung des Einzelnen und um den Respekt anderen Menschen gegenüber. Es geht aber auch darum, Religion und Staat zu trennen. Religion sollte Privatangelegenheit bleiben. Nur so kann ein Miteinander von verschiedenen Kulturen und Religionen funktionieren.“

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