Zwischenlandungen beim BarriereSprung in Erlangen

1.7.2019, 11:00 Uhr
Zwischenlandungen beim BarriereSprung in Erlangen

© Peter Millian

Wenn der Behindertenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Holger Kiesel, bei der Eröffnung der Sonderausstellung "BarriereSprung. Leben mit Behinderung" im Stadtmuseum Erlangen einen von Ironie und Sarkasmus triefenden Sketch spielen kann, der die eigene Behinderung in einen gesellschaftlichen Kontext stellt und dabei schallend gelacht werden darf, geht das in diese Richtung .

Behindertenwitze? Kein Problem sagt Holger Kiesel alias Robert Rollinger (als BR5-Reporter), wenn diese von einer paritätisch aus allen Behindertengruppen besetzten 30-köpfigen Kommission freigeben sind.

Die Ausstellung selbst ist aber keineswegs ein Witz – aber sie ist auch nur dort todernst, wo Behinderung – gerade in Erlangen – zu einem tödlichen Handikap wurde und die Nazis ihre Rassenhygiene-Politik gnadenlos durchsetzten.

Dieses Kapitel der Geschichte von körperlicher und geistiger Behinderung wird in der Schau ebenso dokumentiert wie der Blick in die Vergangenheit und damit auf den gesellschaftlichen und medizinischen Wandel in der Wahrnehmung von Behinderung. Von den körperlichen und geistigen Gebrechen als vermeintliche Strafe Gottes im Mittelalter bis zur Institutionalisierung der Psychiatrie und des Hilfsschulwesens im 19. Jahrhundert sowie die "Krüppelfürsorge" nach dem Ersten Weltkrieg reichen umfassend die Fragestellungen und Debatten.

Allein die Entdeckung des Wahnsinns als Krankheit des Geistes – hier hat sich der Erlanger Arzt und Gründer des ersten Kreisirrenanstalt, Johann Michael Leupold, bleibende Verdienste erworben und wurde deswegen auch zum Ehrenbürger der Stadt erhoben – hat das Bild des "Irren" komplett verändert, konnten Irrsinn und geistige Behinderung in therapeutische Einrichtung und Pädagogik eingegliedert werden.

Inklusion als gesamtgesellschaftlicher Verpflichtung mit dem Ziel eines besseren alltäglichen Miteinanders hat einen juristischen und einen sozialen Aspekt. Der politische Kampf um Anerkennung, Selbstbestimmung und Teilhabe, der ab den 1980er Jahren mit großem Engagement geführt wurde, schlägt sich auch konkret vor Ort nieder.

Mit der Gründung des Vereins Lebenshilfe (als einer der ersten Einrichtungen in der Bundesrepublik) und der Gründung des Wohn- und Betreuungsprojekts Dreycedern 1977 sowie Selbsthilfeorganisationen wie dem Zentrum für selbstbestimmtes Leben (ZSL) der heutigen Ehrenbürgerin Dinah Radtke habe Erlangen bereits früh auf diese neue Sichtweise und die damit verbundenen Herausforderungen reagiert, sagte Oberbürgermeister Florian Janik bei der Eröffnung in der – gottlob kühlen – Martin-Luther-Kirche. Bei aller Zufriedenheit mit dem bereits Erreichten müsse man sich aber stets auch fragen, was denn noch zu tun sei, um dem Anspruch der Teilhabe am städtischen Leben für Behinderte gerecht zu werden. Dabei helfe es schon, wenn man altes Schwarz-Weiß- Denken aufweiche und die Frage nach dem Gehalt von Normalität und Behinderung stelle. Eindeutigkeiten gebe es nämlich nur selten.

Holger Kiesel, der die Nachhaltigkeit der Teilhabe-Politik infrage stellte und von "Errungenschaften statt Geschenken" sprach, machte in seinem Sketch deutlich, dass Behinderte ein Anrecht auf einen gesellschaftlichen Umgang hätten, der für alle selbstverständlich sein müsse: Achtsamm miteinander umgehen.

InfoBarriereSprung. Vom Leben mit Behinderung, Stadtmuseum am Martin-Luther-Platz, bis 6. Januar 2020

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