Eklat am Kirchweih-Samstag

„Erschüttert“: Heroldsberger Kärwaboum grölen rassistische Parolen - Bürgermeister stellt Anzeige

Azeglio Elia Hupfer

nordbayern-Redaktion

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29.10.2024, 05:00 Uhr
Beim Einholen des Kärwabaums am 21. September kam es zu einem Eklat, der die Gemeinde bis heute beschäftigt.

© privat Beim Einholen des Kärwabaums am 21. September kam es zu einem Eklat, der die Gemeinde bis heute beschäftigt.

Ende September wendet sich ein Bürger Heroldsbergs an die Redaktion. Er möchte anonym bleiben, weil er in Ruhe weiter in Heroldsberg leben möchte und keine Lust auf rassistische Anfeindungen hat, wir nennen ihn im folgenden Noah. Am Kirchweih-Samstag zur Mittagszeit begegnet Noah einem Teil der Heroldsberger Kärwaboum, der gerade dabei ist, den Kärwabaum einzuholen und auf der Heroldsberger Hauptstraße mit einem Traktor samt Anhänger unterwegs ist. Auf dem Hänger stehen 19 Personen.

"Von weitem sah das wie eine schöne Party aus. Umso näher wir uns kamen, desto mehr habe ich gecheckt, dass sie auf das Lied von Gigi D’Agostino ‚Deutschland den Deutschen, Ausländer raus‘ angestimmt haben", erzählt Noah in einer Sprachnachricht. Damit nicht genug, als die Kärwaboum Noah entdecken, sollen sie sich mit ihrem rassistischen Gegröle direkt an ihn gewendet haben. Noah kann als migrantisch gelesen werden. "Mit offenen, ausgestreckten Armen, wie bei so Hooligan-Fangesängen, richteten die das genau an mich. Sie sahen aus wie saure Köter. Der Chor war sehr laut, keiner hat diesen Scheiß gestoppt."

Schwere Vorwürfe - wie reagiert die Gemeinde?

Die Kirchweih in Heroldsberg ist eine Veranstaltung der Gemeinde und geht vier Tage. An drei der vier Tagen war in diesem Jahr auch der Bürgermeister von Heroldsberg, Jan König, aktiv beteiligt. Nach der Kirchweih ist der CSU-Politiker erst einmal im Urlaub. Mitte Oktober, in der Woche nach seiner Rückkehr, erfährt er von mehreren Seiten von den rassistischen Vorkommnissen.

"Ich bin wirklich erschüttert und zutiefst getroffen, weil ich ein derartiges Verhalten in Heroldsberg nicht erwartet hätte", sagt König im Gespräch mit unserer Redaktion. Der ehemalige Gymnasiallehrer wird nach den Schilderungen des rassistischen Vorfalls in seiner Gemeinde tätig. "Ich distanziere mich in aller Deutlichkeit von den Vorfällen und verurteile sie auf das Schärfste. Für derartiges Gedankengut habe ich null Verständnis. Deshalb habe ich in meiner Funktion als Erster Bürgermeister auch aufgrund der sich verdichtenden Hinweise Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen Unbekannt gestellt."

Bei dem Kontakt zur Polizei belässt es König nicht. Der Bürgermeister nimmt auch Kontakt zu Franziska Stein auf. Stein ist die erste Vorsitzende des seit 2017 bestehenden Kirchweihbrauchtumsvereins. "Ich habe ihr klargemacht, dass es keinen anderen Weg gibt als eine vollständige und vollumfängliche Aufarbeitung der Vorwürfe", sagt König. Kurz darauf besucht er die Kärwaboum und Kärwamadla und gibt im Vorfeld einer internen Versammlung des Vereins eine Stellungnahme ab. "Ich habe meine Position zum Ausdruck gebracht und angekündigt, dass ich am 14. Oktober Strafanzeige stellen werde. Zudem habe ich dazu aufgefordert, dass die Beteiligten über eine Selbstanzeige nachdenken und zu ihrem Fehlverhalten stehen sollen", so König.

Nach rassistischen Parolen: Wie reagieren die Heroldsberger Kärwaboum?

Um das Baumeinholen kümmern sich in Heroldsberg ausschließlich die Kärwaboum. Kärwamadla sind nicht dabei, so war auch die erste Vorsitzende des gemeinnützigen Brauchtumsvereins nicht anwesend. "Mir wurde der Vorfall durch eine dritte Person zugetragen. Ich persönlich bin immer noch erschüttert und enttäuscht. Wir wollten einfach eine schöne Kirchweih feiern. Dieses Verhalten hätte ich von keinem unserer Mitglieder erwartet und kann es auch nicht nachvollziehen", sagt Stein im Gespräch mit unserer Redaktion Mitte Oktober.

Die Vorstandschaft berät sich umgehend. "Alle waren über den Vorfall erschüttert und enttäuscht, weil das einfach nicht wir sind. Keiner hätte so ein Verhalten erwartet und keiner duldet so ein Verhalten", gibt Stein einen Einblick. Die Vorstandschaft beruft eine Sondersitzung ein, an der alle aktiven und passiven Mitglieder teilnehmen und der Bürgermeister wird eingeladen. Zunächst spricht König, im Anschluss folgt die Aufarbeitung intern ohne den Bürgermeister.

Das Ergebnis der Aufarbeitung: "Es befanden sich 19 Personen auf dem Wagen, nicht alle waren an den Gesängen beteiligt. Es hätte die Möglichkeit für alle auf dem Wagen sitzenden gegeben, einzugreifen, dies wurde nicht getan. Wir wollten - zum Schutz des Vereins - einen klaren Schnitt und haben uns von allen Personen, die dabei waren, getrennt", sagt die Vorsitzende. Man werde so etwas nie dulden. Extremismus in jeder Form habe beim Heroldsberger Kärwabrauchtumsverein keinen Platz.

Kann der Verein nach den zahlreichen Trennungen weiter bestehen?

Vor dem Rassismus-Skandal hatte der Verein 90 Mitglieder, nun sind es noch 71. "Der Verein wird weiter bestehen, da wir uns über die letzten Jahre einen großen Mitgliederstamm aufgebaut haben. Und es gibt genügend Gründe, Traditionen der heutigen Zeit anzupassen und auch die Mädels mit anpacken zu lassen", sagt Stein, die auch im nächsten Jahr an der Kirchweih der Gemeinde mit dem Verein teilnehmen möchte: "Wir als Verein möchten auch im Jahr 2025 dabei sein. Denn was dieses Jahr passiert ist, sind nicht wir."

Verhaltenstipps bei Rassismus wie in Heroldsberg

"Eigentlich hatte ich bisher nur gute Erfahrungen mit den Leuten in Heroldsberg. Mir kommt das hier schon sehr bunt vor", erzählt Noah, der "keinen Bock" hatte, das rassistische Gegröle und die Fremdenfeindlichkeit so stehenzulassen und sich deshalb an die Presse wandte. König empfiehlt bei Vorkommnissen dieser Art, sich lieber an die Polizei zu wenden: "Zuständig für Ermittlungen sind Polizei und Staatsanwaltschaft. Deshalb empfehle ich dringend, sich umgehend an die Behörden zu wenden, wenn sie Zeuge einer möglichen Straftat werden."

Die Polizei Mittelfranken empfiehlt Menschen, die rassistische Vorfälle wie in Heroldsberg erleben, eine Anzeige zu erstatten. Anzeigen können auch nachträglich erstattet werden, eine unmittelbare Verständigung sei aber mit Blick auf die Identifizierung möglicher Tatverdächtiger hilfreich. Sich einer Gefährdung aussetzen, sollte man aber unter keinen Umständen, von einer direkten Konfrontation raten die Beamtinnen und Beamten ab.

Betroffene von rassistischer Gewalt in der Region können sich zusätzlich auch an die Beratungsstelle B.U.D. Bayern wenden. Hier erhalten Betroffene und Angehörige rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt eine kostenfreie, vertrauliche und auf Wunsch auch anonyme Beratung. B.U.D. arbeitet unabhängig von einer Anzeigenerstattung und staatlichen Behörden.

Strafbare Volksverhetzung in Heroldsberg? Staatsschutz ermittelt

Der Fall liegt jetzt bei der für Heroldsberg zuständigen Kriminalpolizei. Das Staatsschutz-Kommissariat der Kripo Erlangen hat die Ermittlungen übernommen. Aktuell prüfe die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, ob die Voraussetzungen für den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt sind, erklärte am Montag ein Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken auf Nachfrage. Demnach gebe es bislang in dem Fall auch nur eine Anzeige. Zu einer Selbstanzeige - wie von Bürgermeister König angeregt - ist es bislang also nicht gekommen.

"Volksverhetzung liegt nahe beim Singen dieses Liedes, hängt aber von den konkreten Umständen im Einzelfall ab, ob der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt ist", gibt Pressesprecherin und Oberstaatsanwältin Heike Klotzbücher von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth eine erste Einschätzung auf Nachfrage.

Bürgermeister König versichert: "Heroldsberg ist und bleibt eine weltoffene und vielfältige Gemeinde, die Hilfesuchenden Schutz und Unterstützung gewährt. Heroldsberg ist kein Ort für Hetze und Fremdenfeindlichkeit." Die Hilfsbereitschaft in der Gemeinde sei sehr groß und als Gemeinde betreibe man mit zwei Mitarbeitern auch ein "Flüchtlingsbüro", in dem Menschen mit Migrationshintergrund betreut werden und ihnen geholfen wird, sich schnellstmöglich "heimisch zu fühlen", so König. "Die Aktion einiger Personen am Kirchweihsamstag ist in keiner Weise repräsentativ für unseren Ort, dafür steht Heroldsberg definitiv nicht!" Und Noah? Noah freut sich, dass seine Nachricht an die Presse etwas bewirkt hat. Er möchte in Heroldsberg bleiben und eine gute Zeit haben.