Erste Grünbrücke der Region: Hirsche überqueren die Autobahn

6.12.2020, 06:00 Uhr
Dass auch tatsächlich stattliche Rothirsche die Grünbrücken überqueren, lässt sich durch Fotos von Wildtierkameras belegen. Bei einer Auswertung im Spessart machte Rotwild sogar mehr als ein Viertel der gezählten Tiere aus.

© Autobahndirektion Nordbayern Dass auch tatsächlich stattliche Rothirsche die Grünbrücken überqueren, lässt sich durch Fotos von Wildtierkameras belegen. Bei einer Auswertung im Spessart machte Rotwild sogar mehr als ein Viertel der gezählten Tiere aus.

Wie der sprichwörtliche Ochse vor dem Berg stehen seit Jahrzehnten Luchse, Rothirsche oder Wölfe vor bayerischen Autobahnen. Ein dichtes Netz aus Fernstraßen, schier unüberwindlichen Hindernissen für die Wildtiere, ist entstanden, umgeben von hohen Wildschutzzäunen.


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Die Tiere können nicht mehr umherziehen und sich neue Lebensräume suchen. Kleine, isolierte Populationen drohen durch Inzucht geschädigt zu werden oder gar ganz auszusterben.

Bayern ist viel zu spät dran

Anderswo hat man dieses Problem schon lange erkannt. In der Schweiz gibt es ein großes Programm für Grünbrücken. Auch in Frankreich oder Tschechien wird viel unternommen. In Ostdeutschland wurden Wildbrücken immerhin beim Neubau vieler Autobahnen nach der Wende mitgedacht.

In Bayern dagegen ist lange nichts passiert, nur unter den großen Talbrücken hindurch konnte Wild gut auf die andere Seite der Autobahn gelangen. "Die Zeit war einfach nicht reif dafür", sagen Fachleute. 30 Jahre zu spät sei man dran gewesen. Dann aber, im Jahr 2008, legte das Landesamt für Umwelt (LfU) ein detailliertes Konzept für die Erhaltung und die Wiederherstellung von Wildtierkorridoren in Bayern vor.

Für Rothirsch und Luchs wurden die wahrscheinlichsten Wanderrouten zwischen den großen Waldgebieten Bayerns errechnet. Das wenig überraschende Ergebnis: Nur acht Prozent der untersuchten Fernstraßenabschnitte wurden als gut durchlässig für Wild eingestuft. Die Forderung deshalb: 65 Grünbrücken sollten an Bayerns Fernstraßen entstehen.

Rothirsch-Stau an der A93

Seither sind in Bayern gerade mal sechs solcher Grünbrücken gebaut worden (eine einzige gab es schon zuvor an der B2 zwischen Augsburg und Donauwörth). Die erste davon wurde an der A93 im Rehauer Forst im Landkreis Hof errichtet.

Wildschutzzäune entlang der Autobahn sollen Wildtiere zu den Grünbrücken führen, wo sie die Fernstraße gefahrlos überqueren können. Von den Scheinwerfern sind die Tiere durch einen hohen Blendschutz abgeschirmt. 

Wildschutzzäune entlang der Autobahn sollen Wildtiere zu den Grünbrücken führen, wo sie die Fernstraße gefahrlos überqueren können. Von den Scheinwerfern sind die Tiere durch einen hohen Blendschutz abgeschirmt.  © Autobahndirektion Nordbayern

Als hier 1997 die Autobahn entstand, stauten sich plötzlich die aus Sachsen und Tschechien herüberziehenden Rothirsche in den Wäldern um Rehau – und wurden geschossen. Erst die im Jahr 2011 fertiggestellte Grünbrücke eröffnete ihnen einen Ausweg.

Das Grünbrücken-Konzept des LfU hat keinerlei bindende Wirkung, zudem kostet ein solches Bauwerk bis zu zehn Millionen Euro. Es gibt kein systematisches Programm zur Abarbeitung der Vorschläge. Deshalb ist man beim LfU schon sehr froh, dass die vorgeschlagenen Grünbrücken-Standorte zumindest bei großen Neubau-Maßnahmen berücksichtigt werden, wie jetzt an der A3.


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Schon beim sechsstreifigen Ausbau im Spessart ist dort eine neue Grünbrücke entstanden, bei der jüngst begonnenen Erweiterung der A3 zwischen den Kreuzen Biebelried und Fürth/Erlangen werden zwei weitere errichtet. Beide werden im kommenden Jahr begonnen und im Jahr 2022 fertiggestellt.

Neue Grünbrücke bei Erlangen

Neben einer Grünbrücke zwischen Wiesentheid und Geiselwind entsteht dabei auch nordwestlich von Erlangen ein solches Bauwerk. Es vereint das jahrzehntelang zweigeteilte Waldgebiet Mönau – und ist die allererste Grünbrücke in Mittelfranken.

"Wir freuen uns, dass die Grünbrücke kommt und sind gespannt auf die Auswirkungen", sagt Stephan Keilholz, Leiter des für die Mönau verantwortlichen Forstbetriebs Forchheims. Zwar unterquert unweit der geplanten Grünbrücke eine Forststraße die Autobahn, doch durch lange, schmale Tunnel traut sich kaum ein Wildtier, schon gar kein Rothirsch.

Grünbrücken sind an der schmalsten Stelle 50 Meter breit, weiten sich an den Außenseiten zur Umgebung auf und sind von einem hohen Blendschutz gegen die Scheinwerfer von Autos und Lkw eingefasst. Sie werden mit einer mindestens einen Meter starken Vegetationsschicht überschüttet, so dass auch Gehölze wachsen können und die Tiere Deckungsmöglichkeiten finden.

Wildtierkameras erfassen Überquerungen

Dass die Grünbrücken wirklich genutzt werden, wird durch Wildtierkameras verifiziert. Für die jüngst gebaute Überführung im Spessart wurde erst im August eine detaillierte Auswertung vorgelegt. Am häufigsten erfasst wurden Rotwild (26,1 Prozent), Füchse, Rehwild, Hasen und Wildschweine.

Weitere Grünbrücken in der Region sind angedacht. Zunächst die Grünbrücke Dechenwald, die gebaut wird, wenn in einigen Jahren die sechsstreifige Erweiterung der A6 zwischen Schwabach und Neuendettelsau ansteht. "Erst wenn die prioritären Maßnahmen bei Neubauten abgearbeitet sind, gibt es Nachrüstungen an bestehenden Autobahnen", stellt Reinhard Pirner, Präsident der Autobahndirektion Nordbayern, klar.

"An der A93 könnten wir uns das gut vorstellen", fügt er hinzu. Bedarf gibt es zum Beispiel auch an der A9 in der nördlichen Frankenalb und an der A6 in der Oberpfälzer Alb.

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