Faktencheck: Hier liegen die Reichsbürger falsch
13.12.2016, 06:00 UhrManchmal kommt es vor, dass Angeklagte vor dem Amtsgericht oder dem Landgericht Nürnberg-Fürth mit einem selbst erstellten Fantasieausweis wedeln: Reichsbürger, die davon überzeugt sind, dass die Staatsbediensteten der "BRD GmbH" gar nichts zu sagen haben.
Die "Reichs"-Ideologie umfasst eine ziemlich wilde Mischung: Sie hat Anhänger unter allen Bildungsschichten, die "jüdisch-freimaurerische" Verschwörungstheorien ebenso mühelos in ihre Gedankenwelt aufnehmen wie die angebliche Existenz von Nazi-Ufos und die gern vertretene These, dass die Nasa die Mondlandung nur vortäuschte.
All dies machte es leicht, die Szene als versponnen zu ignorieren – doch weil deren Weltbild auch behauptet, dass die Deutschen unter Fremdherrschaft stehen, wird es auch von Rechtspopulisten verwendet, wie der Politikwissenschaftler Jan Rathje nachgewiesen hat. Er engagiert sich in der Amadeu-Antonio-Stiftung gegen Rechtsextremismus und erläuterte bereits 2014 unter dem Titel "Wir sind wieder da - die Reichsbürger", dass es sich bei der Bewegung nicht um eine einheitliche Gruppe handelt.
Und spätestens seit ein "Reichsbürger" im Oktober in Georgensgmünd einen Polizisten tödlich verwundete, zeigt sich, dass sich in diesem Milieu auch Menschen finden, die zu gefährlichen Straftätern werden können.
"Den Reichsbürger gibt es nicht", sagt Professor Andreas Funke. Zu seinen Forschungsgebieten gehören unter anderem die Grundlagen des Verfassungs- und Verwaltungsrechts. Er lehrt Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Wie "Reichsbürger" den Staat infrage stellen, das durchleuchtet er in letzter Zeit regelmäßig mit seinen Studenten.
Kern dieses Weltbilds ist, die Existenz der Bundesrepublik zu leugnen, und zu begründen, dass das Deutsche Reich in seinen Grenzen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg weiterbestehe. Daher rührt auch der Name "Reichsbürger" und deren Folgerung, die Staatsbediensteten der "BRD GmbH" hätten, mangels Legitimation, nichts zu sagen. Im Alltag geraten "Reichsbürger" deshalb mit der Polizei, den Verwaltungsbehörden und der Justiz aneinander und wettern im Internet gegen "die Lügenpresse".
Sie haben dem Staat und seinen Institutionen, aus ihrer Sicht, gekündigt. Ihre E-Mails, die bei Behörden und immer wieder auch in unserer Redaktion landen, sind – aufgrund vieler kopierter Hinweise aus dem Internet – meist lang, weisen aggressiv auf vermutete Ungerechtigkeiten hin, und häufig bleibt der Eindruck zurück, der Schreiber würde Deutschland am liebsten schlagen, wenn er nur wüsste wohin. Stattdessen nimmt er den Staat dann mit Hilfe juristischer Argumentation auseinander.
So sei die Bundesrepublik schon deshalb nicht souverän, weil es keinen Friedensvertrag mit den Alliierten gibt. Am Staat zweifeln sie auch, weil das Grundgesetz, nicht nur dem Namen nach, keine echte Verfassung sei.
Dafür wird auch Artikel 146 Grundgesetz angeführt, wo es heißt: "Dieses Grundgesetz, das nach der Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."
Die Frage, ob das Deutsche Reich heute tatsächlich noch besteht, beantwortet man am besten mit einem Blick auf die Geschichte der Neuzeit, sagt Professor Funke, hängt doch die Entstehung der Bundesrepublik, wie wir sie heute kennen, wesentlich mit der Entstehung des Grundgesetzes zusammen.
"In der Tat gab es keine Volksabstimmung über die Wiedervereinigung und keine Volksabstimmung über das Grundgesetz", so Funke. Das Grundgesetz wurde ursprünglich als Provisorium ausgestaltet, im Artikel 146 klingt dieser Grundgedanke an.
Doch 1990 schlossen Frankreich, Großbritannien, die USA und die Sowjetunion, also die vier einstigen Besatzungsmächte, mit den zwei deutschen Staaten, der DDR und der Bundesrepublik, den Zwei-plus-Vier-Vertrag ab. Darin steht ausdrücklich: "Das vereinte Deutschland hat volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten."
Doch besteht das Deutsche Reich weiter? "Der Übergang vom Dritten Reich zur Bundesrepublik war rechtlich sehr kompliziert, nach 1950 wurde in den Staatsrechtswissenschaften lange gestritten", erklärt Jurist Funke, "etwa über die Frage, ob das Deutsche Reich mit der Kapitulation 1945 unterging oder fortbestand und ob die Bundesrepublik Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs wurde oder nicht."
Eine akademische Diskussion? Funke liefert ein aktuelles Beispiel: In Libyen gibt es derzeit drei konkurrierende Regierungen – und so führt etwa der Kampf der drei Regierungen gegen die Terrormiliz IS zu unkoordinierten Aktionen und Verwirrung. Doch es bestehe kein Zweifel daran, dass Libyen als Staat existiert.
Die "Reichsbürger" fühlen sich in ihrem Glauben, dass das Deutsche Reich in seinen alten Grenzen von 1871 oder 1937 fortbesteht, auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Tatsächlich stellten die höchsten deutschen Richter am 31. Juli 1973 (Az.: 2 BvF 1/73) fest, dass das "Deutsche Reich" nicht untergegangen, die Bundesrepublik nicht sein Rechtsnachfolger sei.
Doch weitere, entscheidende Sätze des Urteils machen klar, dass die BRD mit dem Deutschen Reich als Völkerrechtssubjekt identisch ist: In Bezug auf die räumliche Ausdehnung, die Grenzen, allerdings "teilidentisch". Man könnte auch sagen: Die Bundesrepublik ist ein neuer Name für dasselbe Staatsgebilde, "allerdings in einer demokratischen Regierungsform und mit anderen Strukturen", so Funke.
Und wie steht's mit der Behauptung, dass es sich bei unserem Staat nur um eine Firma handelt? Als Beweis dient der Eintrag "Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH" beim Amtsgericht Frankfurt. Tatsächlich wurde diese Gesellschaft 1990 vom Bund gegründet, der Firmensitz ist Frankfurt am Main und die 250 Mitarbeiter sind als Dienstleister für die Kreditaufnahme des deutschen Staates und dessen Schuldenmanagement zuständig. Die Behauptung, dass wir Staatsbürger nur das "Personal" der BRD GmbH sind, was sich angeblich durch unsere "Personal"-Ausweise noch bestätigt, ist also schlicht absurd.
Wie sich die Ideologie der "Reichsbürger" entwickelt, ist offen – doch auffällig ist die weltweit zunehmende Empfänglichkeit für Verschwörungstheorien, so Politikwissenschaftler Rathje. Durch das Internet verbreiten sie sich schnell und können, finden sie genügend Anhänger, die Fundamente einer demokratischen Gesellschaft erschüttern.
"Doch die Rechtswissenschaft ist keine exakte, beweisbare Naturwissenschaft", sagt Professor Funke. "Der Rechtsstaat bedeutet nicht nur, dass sich der Einzelne auf die bestehenden Gesetze verlassen können muss. Er basiert auch darauf, dass der Einzelne die bestehenden Rechtsnormen anerkennt."
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