Fall Peggy: Mögliche Polizeipanne wird geprüft

27.10.2016, 16:07 Uhr
Fall Peggy: Mögliche Polizeipanne wird geprüft

© NEWS5 / Fricke

Im Rätsel um eine DNA-Spur des mutmaßlichen NSU-Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt am Fundort der getöteten Schülerin Peggy gibt es neue Verwirrung.

"Es haben sich mögliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass durch die mit der Spurensicherung in beiden Fällen befasste Tatortgruppe der Polizei in Thüringen teilweise identisches Spurensicherungsgerät verwendet wurde", heißt es in einer Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Oberfranken. Dies habe sich bei einem Abgleich des Befundberichts von Peggys Fundort und des Obduktionsberichts zu Uwe Böhnhardt durch das Bundeskriminalamt und die SoKo Peggy ergeben.

Ob mit dem "identischen Gerät" auch Böhnhardts DNA-Spur übertragen wurde, ist unklar. "Eine Aussage zur Qualität der Spurensicherung und einer möglichen Kontamination kann erst nach weiteren umfassenden und zeitaufwändigen Ermittlungen getroffen werden", heißt es weiter. Weitere Informationen zu Einzelheiten könnten derzeit aus ermittlungstaktischen Gründen nicht erteilt werden.

Mehrere Medien berichten, im Einsatz gewesen sei bei beiden Fällen der gleiche Meterstab. Zuvor hatte der SWR auf Twitter gemeldet, dass Böhnhardts DNA-Spur im Mordfall Peggy "möglicherweise ein Fehler der Tatortgruppe des LKA Thüringen" gewesen sei. Auch Spiegel Online berichtete unter Berufung auf eigene Informationen von dieser Möglichkeit. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es aber zunächst nicht.

Peggy war 2001 im oberfränkischen Lichtenberg verschwunden. 15 Jahre später, im vergangenen Juli, wurden Skelettteile von ihr in einem Wald im benachbarten Bundesland Thüringen entdeckt. Mitte Oktober hatten dann Polizei und Staatsanwaltschaft in Oberfranken überraschend mitgeteilt, dass am Fundort genetisches Material von Böhnhardt nachgewiesen worden war.

Fall Peggy: Mögliche Polizeipanne wird geprüft

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Die Rechtsmedizin der Uni Jena, wo im November 2011 Böhnhardts Leichnam obduziert und im Juli Peggys Knochen untersucht worden waren, schloss eine versehentliche Übertragung von DNA am eigenen Institut aus. In mehreren Bundesländern werden seither ungeklärte Fälle von Kindstötungen oder -entführungen neu untersucht, so in Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen.

Verunreinigung der Probe nicht ausgeschlossen

Die Ermittler prüfen mögliche Verbindungen zum rechtsextremistischen "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU). Zuletzt hatte die federführende Staatsanwaltschaft Bayreuth eine Verunreinigung der Probe nicht ausgeschlossen. Die Ermittler wollten daher den Weg der Spur genau nachvollziehen. Es müsse zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass die DNA-Spur per Zufall oder aus Versehen mit dem Fall Peggy in Verbindung gebracht wurde. "Wir überprüfen alles akribisch im Rahmen der Qualitätssicherung", sagte Potzel.

Möglicherweise hängen nach den jüngsten Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes der Fall Peggy und die NSU-Mordserie also doch nicht zusammen. Doch beide großen Tatkomplexe, die die Nation seit Jahren in Atem halten, haben vieles gemeinsam: Nicht nur den gleichen Chef-Ermittler in beiden Fällen; Fehleinschätzungen und Fehler begleiteten die Polizisten bei der Arbeit. Elf Jahre lang wussten die Behörden nicht, wer hinter den Morden an türkisch- und griechischstämmigen Mitbürgern steckte und vermuteten stattdessen, die türkischen Familien seien in Glücksspiel oder organisierte Kriminalität verstrickt gewesen.

Abdulkerim Simsek, Sohn des im Jahr 2000 in Nürnberg getöteten Blumenhändlers Enver Simsek, dem ersten NSU-Opfer, empfindet es heute noch als "Unverschämtheit", dass man auch fünf oder sechs Jahre später, als weitere Morde an Ausländern verübt worden waren, seine eigene Familie immer noch verdächtigt wurde, etwas mit dem Verbrechen zu tun zu haben. Die Polizei habe sogar konstruiert, seine Mutter habe einen Mörder angeheuert, um sich an ihrem Mann für einen angeblichen Seitensprung zu rächen.

Nichts davon stimmte. "Meine Mutter war fertig. Sie weinte nur noch", sagte Simsek gestern Abend bei einer Diskussionsrunde zu den NSU-Verbrechen im Nürnberger Staatstheater. Dort war zuvor die preisgekrönte Inszenierung der israelischen Regisseurin Sapir Heller "Auch Deutsche unter den Opfern" zu sehen gewesen, die die Hintergründe, Pannen und Peinlichkeiten in der Aufarbeitung der Mordserie künstlerisch thematisierte.

Beckstein: Lange kein Hinweis auf Täter im rechtsradikalen Kreis

Auch mögliche Verbindungen zum Fall Peggy wurden dort angedeutet. Die Vernehmung der türkischen und griechischen Opferfamilien in dieser Weise sei "nicht zu rechtfertigen", sagte der Politologe und Buchautor ("Staatsaffäre NSU") Prof. Hajo Funke. Dem widersprach selbst der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein nicht, der noch als Innenminister die Sonderkommission nach der Mordserie eingesetzt hat.

Zeitweise habe die Soko 150 Mann gezählt, beschrieb Beckstein, doch man habe keine einzige Spur gehabt. Die Täter seien mit "äußerster Professionalität" vorgegangen. Um "Transparenz" in der Ermittlungsarbeit zu haben, habe man sogar Polizeibeamte aus der Türkei zugezogen. Es habe aber keinen einzigen Hinweis auf Täter in rechtsradikalen Kreisen gegeben, sagte Beckstein.

Er selbst jedoch hatte handschriftlich nach dem Simsek-Mord auf den entsprechenden Artikel der Nürnberger Zeitung geschrieben: "Ausländerfeindlicher Hintergrund denkbar?" Die Ermittler haben ihm dies nie bestätigt, bis zu dem Tag, als man 2011 die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in einem Wohnwagen in Eisenach fand und bei den Leichen die Pistole des Typs Ceska CZ 83, Kaliber 7.65 mm Browning lag. Mit ihr waren die ausländischen Mitbürger getötet worden. Die Mordserie sei gleichbedeutend mit der "schlimmsten Niederlage, die der Rechtsstaat in den letzten Jahren erlitten hatte", gestand ein sichtlich berührter Beckstein ein. Die Diskussionsrunde in Kooperation mit der Georg-von-Vollmar-Akademie leitete die Nürnberger Rechtsextremismus-Expertin Birgit Mair.

Dieser Artikel wurde um 15.15 Uhr aktualisiert

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