Flüchtlingsunterkunft in Zirndorf: "Mehr als unwürdig"
26.6.2014, 09:36 UhrIn der Nacht kommen über 100. Meist Familien aus Syrien, Frauen, Männer, Kinder aus Serbien, Mazedonien, Äthiopien. Mit ein paar Habseligkeiten stehen sie vor den Drehschleusen an der Eingangspforte der Zirndorfer Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber. Wer hier landet, der hat eine schlimme Zeit hinter sich, manchmal eine lebensbedrohliche, vor allem eine strapaziöse und braucht jetzt erst einmal ein Bett. Doch genau das gibt es in der staatlichen Flüchtlingsunterkunft bald gar nicht mehr.
Zwei Busgaragen haben die Mitarbeiter inzwischen zu einem „Transitraum“ hergerichtet. Hier verbringen die Neuankömmlinge nebeneinander geschlichtet ihre erste Nacht, ehe sie registriert, auf ansteckende Krankheiten hin untersucht werden und ihr Asylantrag aufgenommen wird. Danach findet man vielleicht ein leeres Zimmer für sie auf dem Gelände: Dann, wenn an diesem Tag 100 andere Asylbewerber, deren Verfahren schon in Gang gebracht worden ist, irgendwo in Gemeinschaftsunterkünften der Kommunen unterkommen.
Matratzen in der Kapelle
Mittags, abends, nachts drängen schon wieder neue Flüchtlinge herein, auch sie brauchen einen Schlafplatz. Zuletzt wurde sogar die Kapelle mit Matratzen ausgelegt. Ein Zustand, „an den man sich nicht gewöhnen darf und der für unsere Land mehr als unwürdig ist“, mahnt Erwin Bartsch, der evangelische Gemeindepädagoge aus Zirndorf, der seit bald 27 Jahren Flüchtlinge im Aufnahmelager betreut.
Bartsch hat wahrlich schon viel erlebt, doch jetzt ist auch für ihn eine Grenze erreicht. Die Kapelle sei für die Unterbringung gar nicht zulässig sagt er, der über 50 Jahre alte Holzbau zudem „brandgefährlich“. Es gibt nur eine Fluchttür, die Fenster lassen sich nicht öffnen. Obwohl es verboten ist, wird doch geraucht und auf alten Wasserkochern Tee gebrüht. Man bringe Flüchtlinge unnötig in Gefahr, kritisiert Bartsch.
Eine junge Familie sitzt mit Taschen und Decken im Hof auf dem Pflaster, Dixi-Klos sind eilig herbeigeschafft worden, denn längst sind auch die sanitären Einrichtungen überlastet. Immer mehr Flüchtlinge kommen krank hier an.
Jetzt sind die „politisch Verantwortlichen gefordert“, sagt der Gemeindepädagoge. Denn der Flüchtlingsstrom nimmt kein Ende, mindestens 50 sind es pro Nacht, die Einlass begehren. Seit dieser Woche werden ihnen die Tore ohnehin nur noch in Zirndorf geöffnet. Die zweite staatliche Aufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne in München hat seit Montag „null Betten“ zur Verfügung, das Sozialministerium und die Regierung von Oberbayern erklärten sie für „nicht mehr aufnahmefähig“. Mit 2200 Menschen habe man die „absolute Kapazitätsgrenze“ erreicht, heißt es in München. Nichts geht mehr.
Die Folge: Alle neuen Flüchtlinge, die Bayern nach dem Länderschlüssel aufnehmen muss, werden nach Zirndorf dirigiert. Doch Werner Staritz, der Leiter der Zirndorfer Unterkunft, kann auch keine Zimmer herbeizaubern. Also schickt er Menschen aus den afrikanischen Staaten wie Somalia oder Eritrea, deren Asylanträge ohnehin in München bearbeitet werden, auch zurück zur Bayernkaserne in der Landeshauptstadt. Die muss die Menschen dann beherbergen und sucht ihrerseits um Hilfe.
Verfügbare Hotels wurden angemietet, jetzt rüstet man in München gerade eine Halle zum Lager auf, um „Zugangsspitzen abfangen zu können“, wie Florian Schlämmer von der Regierung in Oberbayern formuliert. Ein unendlicher Verschiebebahnhof entsteht, der zu keinem Ergebnis führt, solange nicht endlich eine dritte oder vierte Zentrale Flüchtlingsunterkunft eröffnet wird.
30 000 werden erwartet
Sozialministerin Emilia Müller ist in der Pflicht, sie hat vergangenen Herbst in Zirndorf verkündet, bald für Entlastung zu sorgen. Passiert ist nichts, die Probleme werden immer größer. Bis zu 30.000 neue Asylbewerber werden heuer in Bayern erwartet, aus allen Krisenherden der Welt.
Doch wohin? Der Standort Würzburg ist inzwischen vom Tisch, Bayreuth hat bei einer möglichen Immobilie jüngst Eigenbedarf angemeldet und das ausgeguckte Gebäude in Deggendorf soll erst in einigen Monaten bereitstehen. Allein die neue rot-grüne Stadtspitze in Regensburg hat sich jetzt gesprächsbereit gezeigt, entschieden ist aber noch lange nichts.
„Wir kommen so nicht weiter“, mahnen Erwin Bartsch und seine Mitstreiter. Auch die Mitarbeiter der Behörde, die seit drei Jahren die immense Belastung schultern müssen, sind am Ende.
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